F. X. Weninger SJ: Katholizismus, Protestantismus und Unglaube
Erster Abschnitt – Gegenüberstellung der Lehrsätze
11. Der Zustand des Menschen nach dem Tode
Bald ist dieses irdische Leben vorüber und wir gehen ein in die Ewigkeit.
Der Christ, im Bewusstsein seiner Unvollkommenheit, fühlt es, dass er, so wie er ist, noch nicht wert sei, vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen. Er weiß sich anderseits doch keiner schweren Sünde bewusst, die er nicht aus seinem Gewissen durch den würdigen Empfang des Sakramentes der Buße vertilgt hätte; deshalb wirft er sich mit Vertrauen in die Arme der unendlichen Barmherzigkeit und wünscht und hofft, Gott werde ihn, wenn er in dieser Welt noch nicht zur vollkommenen Heiligkeit gelangte, doch in jener Welt noch von jedem Staub und Makel der Sünde reinigen.
Der katholische Glaube bekräftigt ihn in dieser Hoffnung; denn dieser lehrt: Es gibt einen Reinigungsort in jener Welt, das Fegfeuer genannt, wo die Seelen vollständig gereinigt werden. Er lehrt, dass diejenigen, die dort sind, mit den Lebendigen auf Erden durch das Band heiliger Liebe vereinigt bleiben und dass die Vereinigung eine wirksame sei. Er lehrt, dass die Gläubigen auf Erden durch das Gebet, durch das Opfer der heiligen Messe und andere gute Werke den Verstorbenen beistehen, ihre Strafen lindern und abkürzen können, und dass die Seelen im Fegefeuer hinwieder Gott für uns bitten und unsere Hilfe uns vergelten, besonders wenn sie in das Reich der Glorie eingegangen und vor Gottes Thron erscheinen sind.
Welch ein Trost liegt in dieser Lehre für das durch den Tod unserer lieben Angehörigen und Freunde verwundete Herz! Zu welchem Trost gereicht es uns, diejenigen, die wir liebten, auch nach ihrem Tod, die Aufrichtigkeit unserer Liebe zu beweisen. –
Diese Sorge und diese Möglichkeit flößt zugleich die ganze Süßigkeit christlicher Hoffnung in unser Herz und hat außerdem den für uns wichtigen Vorteil, dass sie uns mächtig an unsere letzten Dinge und an die nahende Ewigkeit erinnert. Daher die heilige Schrift selbst bezeugt: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie befreit werden von ihren Sünden.“ (2. Makk. 12, 46) –
Ja wohl heilig und heilsam, aber auch ungemein tröstlich zugleich. – Trostvollere Tränen werden über Dahingeschiedene nie geweint, als diejenigen, welche im Gebet für deren Seelenruhe über ihren Gräbern geweint werden. Fragt jenen Sohn, jene Tochter, die über dem Grab ihres Vaters oder ihrer Mutter gebetet, fragt diese Witwe, die über dem Grab ihres verstorbenen Gatten ihr Herz im Gebet ausgegossen, fragt diese Eltern, die über den Gräbern ihrer Kinder diese Pflicht erfüllten, ob sie sich dadurch nicht mehr als durch sonst irgendeinen Zuspruch getröstet fühlen? –
Man möchte sagen, selbst diejenigen, welche andere über den Gräbern der Eltern, Bekannten und Verwandten beten sehen, fühlen gleichsam mit ihnen den Trost, der ihre Herzen erquickt.
Der Protestantismus raubt euch diesen Trost. – Er leugnet, dass es ein Fegefeuer gebe und somit auch, dass das Gebet für die Verstorbenen denselben irgendwie nütze. Er lässt dem Tod für die Herzen der Zurückgebliebenen seine ganze trostlose Bitterkeit. Außerdem aber, welch eine Verkehrtheit aller Begriffe von Verdienst und Strafe liegt in dieser Leugnung eines Mittelzustandes zwischen Himmel und Hölle! Denn wenn es keinen Reinigungsort in jener Welt gibt, wohin kommen dann diejenigen, die nicht vollkommen rein aus dieser Welt geschieden, und die anderseits doch auch nicht so schlecht und sündhaft gewesen, dass sie die Hölle verdienen?
Mit Sünde befleckt wären sie noch so gering, können sie nicht in den Himmel eingehen. Todsünden haben sie auch nicht auf sich, derentwegen sie die Hölle verdienten; also, was geschieht mit ihnen, wenn es keinen solchen Reinigungsort gibt? Muss nicht selbst ein Ungläubiger, wenn er bloß dem Ausspruch seiner Vernunft folgen will und den Streit zwischen Katholiken und Protestanten schlichten wollte, sagen: wenn es einen Himmel und eine Hölle gibt, wie ihr beide annehmt, dann muss es auch ein Fegefeuer geben, wenn ihr Protestanten nicht annehmen wollt, dass jede Sünde des Menschen eine Todsünde sei, und die Hölle verdiene.
Freilich sind die ersten Protestanten wirklich so weit gegangen; und dann allerdings mussten sie auch das Fegefeuer leugnen. Allein ich zweifle sehr, ob einer aus euch, Amerikaner, heute noch so weit geht zu behaupten: jede Unvollkommenheit, z. B. jedes unnütze, jedes ungeduldige Wort sei eine Todsünde und verdiene die Hölle. –
Jeder einigermaßen denkende Mensch wird sich von selbst geneigt fühlen, diesen Mittelzustand anzunehmen, und lieber leugnet der Ungläubige die Hölle als das Fegfeuer. Muss er nicht staunen, wenn er im Gegenteil sieht, dass der Protestant die Hölle glaubt und das Fegefeuer leugnet; welchen Trost hat er doch davon? –
aus: F. X. Weninger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869. S. 47 – S. 49
Folgebeitrag: Die Gemeinschaft der Heiligen
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- F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube – Inhaltsangabe des Buches
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