Apokalypse

Die zwei Zeugen. Kap. 11, Vers 4-6. Gottes Werkzeuge Seiner strafenden Gerechtigkeit

In freier Verwendung der Weissagung des Zacharias nennt Johannes die zwei Zeugen „die beiden Ölbäume und die beiden Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen“ (Zach. 4, 3 u. 11-14). Diese und die folgenden Worte sind nicht mehr von Gott oder Christus gesprochen, sondern Prophezeiung des Sehers (10, 11). Zacharias schaute in seinen Nachtgesichten einen goldenen Leuchter mit sieben Lampen zwischen zwei Ölbäumen. Der Engel der Herrn deutete ihm die Ölbäume als „die zwei Gesalbten, die als Diener vor dem Herrn der ganzen Erde stehen“. Gemeint sind damit gewesen der Fürst Zorobabel und der Hohepriester Josue. Johannes ändert das Bild und macht aus dem einen Leuchter zwei. Seine zwei Zeugen sind zugleich Ölbäume und Leuchter, von Gott Gesalbte und Himmelslichter der Wahrheit. Der Ölzweig des Friedens ist in ihrer Hand und das Wort Gottes in ihrem Mund. Sie stehen ständig in der schützenden Gegenwart des Allherrschers, nur seines Winks gewärtig. Das verleiht ihnen die Ehrfurcht gebietende Würde des Gott verbundenen, nicht sich selbst oder das Irdische suchenden, sondern ganz im Dienst des Allerhöchsten aufgehenden und für dessen Ehre eintretenden Menschen.

Gott ist mächtig genug, seine Diener zu schützen und die Immunität seiner Gesandten sicher zu stellen: „Ihr dürft die mir Geweihten nicht antasten und meinen Sehern nichts zuleide tun“ (Ps. 105 [104], 15). Was hier in der Apokalypse zum Schutz der zwei Zeugen verheißen wird, hat sich ähnlich in der Geschichte des Elias abgespielt, als Ochozias den Propheten wollte verhaften lassen (4. Kön. 1, 9-12). Es brauchte nicht bis zur ungerechten Tat zu kommen; die böse Absicht genügte. Fiel bei Elias das Feuer vom Himmel, öffnete sich bei der Empörung des Kore, Dathan und Abiron der Abgrund und verschlang die Aufrührer, worauf ebenfalls „ein Feuer vom Herrn ausging und die 250 Männer verzehrte, die das Räucherwerk darbringen sollten“ (4. Mos. 16, 25ff), so wird in der Endzeit das Feuer aus dem Mund der zwei Zeugen ausgehen und ihre Feinde vernichten. Das steigert ihre Autorität und stellt sie neben den großen Propheten Jeremias. Auch ihn verlachten die ungläubigen Spötter als „windigen Schwätzer“ und wünschten ihm selbst das Urteil, das er als Gottesbote ihnen androhte. Noch spürten sie ja nichts von der Erfüllung. „Darum spricht Jahwe, der Gott der Heerscharen: Weil ihr solche Rede führt, so will ich meine Worte in deinem Mund zu Feuer machen und dieses Volk zu Brennholz, auf daß es sie verzehre“ (Jer. 5, 12-14). Damit nur keiner glaube, es sei eine leere Drohung, ein bloßes Schreckmittel, wiederholt Johannes die göttliche Sanktion. Der Herr wird seine Zeugen zum Werkzeug seiner strafenden Gerechtigkeit machen, wie er es in der sechsten Posaunen-Vision mit den Rossen des Riesenheeres tat, aus deren Rachen Feuer ausging und ein Drittel der Menschen tötete. Der Seher mag sich bei dieser Vision daran erinnert haben, wie er einst selbst mit seinem Bruder Jakobus den Herrn um die Vollmacht gebeten hatte, das ungastliche Samariterdorf in ähnlicher Weise zu strafen, wie es die zwei Zeugen tun dürfen: „Herr, willst du, daß wir sagen, es solle Feuer vom Himmel fallen und sie vernichten?“ (Luk. 9, 54) Damals hatte sich der Meister von ihnen abgewandt und sie wegen ihrer Bitte gescholten; denn sie kam aus einem Herzen voll Rachsucht und ungeläutertem Eifer.

Die endzeitlichen Zeugen Gottes stehen jedoch einer ganz anderen seelischen Haltung gegenüber. Nicht gegen solche, die aus Schwäche irren, sollen sie von ihrer Wundermacht Gebrauch machen, nur die Verstockten trifft ihr Strafurteil. Wie einst Elias eine Dürre von dreieinhalb Jahren über das vom Götzendienst nicht ablassende Land verhängte, so haben sie von Gott die Vollmacht, während ihrer Missionsarbeit den Himmel zu verschließen, so daß kein Regen fällt (3. Kön. 17, 1f: Luk. 4, 25; Jak. 5, 17). Auch vermögen sie das Wasser in Blut zu verwandeln und andere Plagen zu verhängen, wie Moses sie im Auftrag Gottes über den widerspenstigen Pharao und sein Volk herauf beschwor (2. Mos. 7, 14ff). Gerade diese Wunder sprechen dafür, in den Zeugen Nachbilder von Moses und Elias zu sehen. Obwohl sie imstande sind, Wunder zu wirken, „wann immer sie wollen“, so werden sie es doch nie nach Willkür tun. Das widerspräche dem Zweck ihrer Sendung. Sie dürfen indes sicher sein, stets von Gott erhört zu werden, so dass ihre Wunderkraft nie versagt, so oft sie ihn darum bitten. Bei dem Bild vom Schließen des Himmels spricht die bei den Alten geläufige Vorstellung mit, dass der Regen ähnlich wie der Wind in Himmelskammern aufbewahrt werde. Der Schlüssel dazu liegt in Gottes Hand, der ihn seinem Bevollmächtigen aushändigt, wie er auch den Schlüssel zur Unterwelt überträgt (1, 18; 3, 7).

Die Liturgie hat mit einigen Textänderungen den Vers 4 im ersten Responsorium, und wiederum in Verbindung mit Vers 6 in der Antiphon zum Magnifikat der zweiten Vesper am Fest der heiligen Johannes und Paulus (26. Juni) verwendet. Diese beiden Brüder haben unter Julian dem Abtrünnigen ihre Glaubenstreue mit dem Tod besiegelt und sind so zu zwei Zeugen Christi geworden. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 161 – S. 163
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