F. X. Weninger SJ: Katholizismus, Protestantismus und Unglaube
Erster Abschnitt – Gegenüberstellung der Lehrsätze
10. Die guten Werke
Mit Hilfe der erwähnten Mittel und Quellen der Gnaden und durch die unmittelbaren Wirkungen und Erleuchtungen des heiligen Geistes fühlt sich der Katholik stark genug, jede Versuchung des Bösen zu überwinden und durch die Übung guter Werke auf dem Weg der Tugend vorwärts zu wandeln, Christo ähnlicher zu werden, und durch diese Werke sich mit jedem Tag und jeder Stunde und jedem Augenblick eine Krone der Vergeltung im Himmel zu erringen. –
Welch ein Trost für ein gottliebendes tugendeifriges Herz; Ich kann alles durch den, der mich stärkt und wenn ich nur will, ist es mir möglich, Christo mit dem Eifer der Heiligen nachzufolgen, um mich dann auch mit ihnen in überströmendem Maß der ewigen Vergeltung und Verherrlichung durch endlose Ewigkeiten zu erfreuen.
Der Protestantismus raubt euch diesen Trost. Er sagt: Das kannst du nicht, denn du kannst gar nichts wirklich Gutes tun, selbst nicht mit dem Beistand der Gnade Christi. Das, was dir gut scheinen mag, ist vor Gott doch nur Sünde.
So mancher aus euch, der dies liest, und nichts von der ursprünglichen Lehre der Reformatoren weiß, sondern in der Tat mehr ein Naturmensch als ein Protestant ist, wird sich denken, das sei eine Verleumdung.
Es ist aber leider nur zu wahr; wer es nicht glaubt, dass der Protestantismus, folgend der ursprünglichen Lehre der Reformatoren, die Möglichkeit der Übung wirklich guter Werke leugnet, der schlage das Buch Luthers auf: Da heißt es Wort für Wort: „Jedes gute Werk, sei es noch so gut getan, ist eine lässliche Sünde.“ „Ja, jedes Werk des Gerechten ist verdammlich und ist eine Todsünde.“ [Assert. Omn. Art. Opp. Tom. II. Cfr. Antilatom. (confut. Luth. Rat. Latom.) fol. 406 et 407]
Melanchthon drückt sich nicht minder unbeschränkt aus. Er sagt: „Alle unsere Werke und jede unserer Bemühungen ist Sünde.“ (Melanchthon Loc. Theol., p. 108) Ja, er sagt, selbst essen, trinken, arbeiten, lehren, alles sei Sünde. (P. 92) Calvin redet in demselben Sinne. Er sagt: „Nie hat je ein Frommer irgendein gutes Werk getan, das vor Gott nicht verdammlich gewesen wäre.“ (Calv. Instit. I. II. c. 8. §. 59., I. III. c. 4. §. 28. et cap. 14. §. 11.)
Ich frage: Wie kann bei einer solchen Ansicht noch von einem Streben nach Vollkommenheit und von einem Eifer zur Heiligung des Lebens die Rede sein? Muss diese Unmöglichkeit, etwas wirklich vor Gott Wohlgefälliges zu tun, nicht jeden Versuch, es zu tun, in uns ertöten? Und wie sehr muss eine solche Unmöglichkeit ein moralisch gesinntes Herz betrüben und trostlos niederbeuten?
Aber wird man fragen: Welche Hoffnung kann dann der Mensch noch haben, selig zu werden, wenn er nie und nimmer im Stande ist, etwas wahrhaft Gutes zu tun – und doch verspricht der Protestantismus seinen Anhängern den Himmel! Worauf mag sich denn eine solche Hoffnung stützen?
Die Reformatoren antworten und der konsequente Protestantismus wiederholt es bis auf diese Stunde: Der durch und durch sündhafte Mensch wird selig durch den Glauben allein. Ist dieser Gedanke vorhanden, dann bedarf es keiner guten Werke und dann schadet keine Sünde. –
Wohl mag sich auch hier wieder so mancher aus euch denken: Das ist doch eine abscheuliche Verleumdung. Wann haben die Reformatoren je so etwas Widersinniges und Lästerliches gelehrt? Allein schlagt auf das Buch Luthers: „Von der Babylonischen Gefangenschaft“ (De capt. Babyl. Witt. Lat. T. II. f. 284), da steht es geschrieben.
Ja wohl noch mehr hat der Stifter des Protestantismus seinem Freund und Glaubensgenossen, Melanchthon, dem Mitstifter des Protestantismus geschrieben. Er schreibt: „Sündige immerhin, aber glaube um so fester. – Sündigen müssen wir, so lange wir auf Erden sind. Es ist genug, wenn wir fest an Christus glauben, das Lamm Gottes, welches hinweg nimmt die Sünden der Welt. Von diesem wird uns die Sünde nicht trennen, wenn wir auch tausendmal in einem Tag die schwersten Sünden begingen.“ (Epist. Dr. Mart. Luth. a Joh. Aurifabro coll. I. I. Jena 1536)
Einige der Nachfolger dieses Reformators gingen so weit, dass sie sogar behaupteten, gute Werke seien zur Erlangung der Seligkeit schädlich, da sie das Vertrauen auf den allein seligmachenden Glauben schwächten. – Diesen Satz verteidigte im Jahr 1559 Nikolaus von Amsdorf, der alte Freund Luthers, als echt lutherische Lehre.
Allerdings mag nicht einer unter euch sein, der eben so denkt und eben so lehren wollte; allein eines steht doch fest: dass die Urheber der nie genug zu beklagenden Trennung von der Mutterkirche dieses gelehrt, und gerade diese Lehren zum Fundament und Mittelpunkt ihres religiösen Systems gemacht haben. –
aus: F. X. Weninger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869. S. 44 – S. 47
Folgebeitrag: Der Zustand des Menschen nach dem Tode
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- F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube – Inhaltsangabe des Buches
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