P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
4. Von den fremden sünden
Hüten wir uns Verführer und Mörder von Seelen zu werden
Welcher Christ, dem sein ewiges Heil am Herzen liegt, sollte nach reiflicher Erwägung dessen, was von den fremden Sünden gesagt worden sich nicht gedrungen fühlen, mit dem königlichen Propheten auszurufen: „Von meinen verborgenen Sünden reinige mich (o Herr) und vor fremden behüte deinen Knecht“? (Ps. 18, 13) Schwer, über alle Maßen schwer wird dereinst auf dem Sterbebett (siehe: Die furchtbarste Stunde ist die Sterbestunde) die Menge derselben auf das Gewissen desjenigen fallen, der sich in gesunden Tagen leichtfertiger Weise darüber hinweg setzte, der, vielleicht ohne es gerade zu beabsichtigen, durch seine Worte und Schriften oder auf sonstige Weise zum Mörder zahlreicher Seelen wurde. Die Kirchengeschichte liefert uns einen handgreiflichen Beleg hierfür. Berengar, Archidiakon zu Angers, hatte das Unglück, das Gift der Ketzerei zu verbreiten; er hatte viele irre geführt. Gegen sein Lebensende bekehrte er sich und schwor seine Irrtümer ab. Als er bereits mit dem Tode rang, ward er plötzlich sehr unruhig; Entsetzen und Angst erfaßten ihn. „Warum, mein Bruder, bist du auf einmal so unruhig? Was soll dieser schrecken?“ fragte der ihm beistehende Priester; „Gott ist die Barmherzigkeit selbst, hoffe auf ihn!“ „Ich weiß es“, erwiderte der Sterbende, „und ich hege das Vertrauen, er werde mir meine eigenen Sünden vergeben; wird er mir aber auch die Sünden verzeihen, zu denen ich andern Anlaß gab? Es kommt mir vor, als ob die durch mich irre geleiteten und verloren gegangenen Seelen mich am Richterstuhl Gottes erwarteten, um Rache zu fordern; als ließe Jesus Christus im Innersten meines Herzens die schreckbare Stimme ertönen: Wo sind die Seelen, welche du ins ewige Verderben gestürzt hast? Was werde ich antworten? Wehe mir!“ … Nur mit Mühe gelang es dem Priester, den Sterbenden zu beruhigen. –
Damit nun in jenem unausbleiblichen, für die Ewigkeit entscheidenden Augenblick nicht auch uns eine ähnliche Gewissensangst befalle und die Bitterkeit unserer Auflösung noch vermehre, lasset uns behutsam wandeln! Hüten wir uns, Verführer unseres Nächsten zu werden; seien wir vielmehr darauf bedacht, ihn nach Möglichkeit von der Sünde zurück zu halten und durch Wort und Beispiel auf dem Wege des Guten voran zu bringen! Wohl uns, wenn wir in dem großen Kampf um die Seelen, den Christus und Satan miteinander führen, auf Seiten des Erlösers und nicht auf Seiten des Verderbers stehen; denn wessen der endliche Sieg sein wird, das kann keinem Zweifel unterliegen. –
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 369-370