P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
4. Von den fremden sünden
Die verschiedenen fremden Sünden
7. Die Sünde anderer nicht strafen
Eltern und Vorgesetzte sollen ihre Kinder und Untergebenen nicht nur ernstlich von der Sünde abmahnen, sie haben auch die Pflicht, dieselben, wenn es nötig ist, zu strafen. Unterlassen sie aus Nachlässigkeit oder Weichlichkeit die Erfüllung dieser Pflicht, so nehmen sie teil an der an der fremden Sünde, welche durch die Ungestraftheit gleich einem Krebsschaden immer weiter um sich greift. So machte sich der Hohepriester Heli der Frevel seiner Söhne schuldig, „weil er wußte, daß dieselben Schändliches taten, und sie nicht bestrafte.“ (1. Kön. 3, 13) Denselben Fehler verweist auch der hl. Paulus den Korinthern, weil sie den Unzüchtigen, der in ihrer Mitte lebte und durch sein ärgerliches Beispiel andern leicht schaden konnte, nicht zur strafe gezogen hatten. (1. Kor. 5) Nicht mit Unrecht sagt der hl. Augustin (Geg. Julian, Bch. 5, Kap. 3): Wenn wir jene, über die wir Gewalt haben, allerlei Sünden vor unsern Augen tun lassen, so sind wir nicht besser als sie.“
8. Andern zur Sünde helfen
Solches tut der, welcher mit Wissen und Willen andere bei einer sündhaften Tat irgendwie unterstützt. Dieses geschieht z. B., wenn man Dieben an die Hand geht, ihnen Leitern, Werkzeuge zum Aufbrechen der Fenster und Türen, Waffen zur Verteidigung u. dgl. darbietet; wenn man Wache hält, damit sie nicht überrascht und ergriffen werden, sie von den Nachspürungen der weltlichen Gerechtigkeit in Kenntnis setzt oder sie vor denselben verbirgt; wenn man zu Betrügereien in Maß und Gewicht oder zu sonstigen Übervorteilungen die Hand bietet, wenn man Trunkenbolden nach Wunsch und Gelüsten geistige Getränke ausschenkt, wenn man unerlaubten Verhältnissen durch Hin- und Hertragen von Liebesbriefen oder auf sonstige Weise wissentlich Vorschub leistet, verbotene Spielgesellschaften unterhält, ausgelassene Tänze abhalten läßt, bei demselben aufspielt usw. Diese alle laden als Mitgenossen der Sünder den Zorn Gottes auf sich.
9. Die Sünde anderer verteidigen
Wenn schon der sich fremder Sünden mitschuldig macht, welcher sie im herzen billigt, dann um so mehr jener, welcher sie durch Wort oder Tat in Schutz nimmt und so fördert. Solches ist häufig der Fall bei Eltern, welche die Fehler ihrer Kinder gegen ihr besseres Wissen vor Lehrern und Seelsorgern verteidigen, um sie der wohl verdienten Züchtigung zu entziehen; – desgleichen bei Advokaten, welche die Führung ungerechter Prozesse übernehmen; – ganz besonders die Zeitungs-Schreibern und andern Schriftstellern, die im Namen des Fortschrittes und der Aufklärung jeglicher Auflehnung gegen die rechtmäßige Obrigkeit, jeglichem Eingriff in die Rechte der Kirche, jeder Pflichtverletzung im häuslichen und gesellschaftlichen Kreise, bald schlau verdeckt, bald offen und unverhohlen das Wort reden. Der Geist Gottes ruft solchen Verteidigern des Unrechtes ein drohendes Wehe zu, indem er durch seinen Propheten spricht: „Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute böse nennt, die Finsternis zu Licht und das Licht zu Finsternis macht!“ (Is.5, 20) Unsägliches, nie genug zu beklagendes Unheil entsteht aus diesem verdammlichen Verfahren. Der Sinn für Recht und Gerechtigkeit, für Religion und Tugend verschwindet so allmählich aus der Masse des Volkes, geht endlich ganz verloren. Wehe aber dem Volk, welchem Rechtssinn und Tugendliebe abhanden gekommen: es geht unaufhaltsam dem kläglichsten Ruin entgegen. –
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 368-369
siehe auch den Beitrag: Petrus Canisius über fremde Sünden