Porträt von Papst Leo XII.

Lehrschreiben der Päpste

Über die Sekte der Toleranz und des Indifferentismus

Auszug des Schreibens von Papst Leo XII.: Ubi primum v. 5. Mai 1824

12. Aber worauf zielen diese Bemerkungen ab? Eine bestimmte Sekte, die Ihr sicherlich kennt, hat sich zu Unrecht den Namen der Philosophie angemaßt und aus der Asche die ungeordneten Reihen praktisch aller Fehler hervorgerufen. Unter dem sanften Schein von Frömmigkeit und Liberalität bekennt sich diese Sekte zu dem, was sie Toleranz oder Indifferentismus nennt. Sie predigt, dass Gott nicht nur in zivilen Angelegenheiten, die hier nicht Unser Anliegen sind, sondern auch in der Religion jedem Einzelnen eine große Freiheit eingeräumt hat, jede Sekte oder Meinung, die ihn auf der Grundlage seines privaten Urteils anspricht, ohne Gefahr für sein Seelenheil zu umarmen und zu übernehmen. Der Apostel Paulus warnt uns vor der Gottlosigkeit dieser Verrückten. „Ich bitte euch aber, Brüder, dass ihr euch in Acht nehmet vor denen, welche Trennung und Ärgernisse anrichten wider die Lehre, die ihr gelernt habt, und meidet sie.“ [1].

13. Natürlich ist dieser Irrtum nicht neu, aber in Unseren Tagen wütet er mit einer neuen Hast gegen die Beständigkeit und Integrität des katholischen Glaubens. Eusebius zitiert Rhodo als seine Quelle, um zu sagen, dass der Ketzer Apelles im zweiten Jahrhundert bereits die verrückte Theorie hervorgebracht hätten, dass der Glaube nicht erforscht werden sollte, sondern dass jeder Mensch an dem Glauben festhalten sollte, in dem er erzogen wurde [2]. Sogar diejenigen, die an einen Gekreuzigten glaubten, sollten gerettet werden, so Apelles, vorausgesetzt, sie leisteten gute Werke. Rhetorius pflegte auch, wie Wir von St. Augustin lernen, zu behaupten, dass alle Ketzer auf dem richtigen Weg gingen und die Wahrheit sagten. Aber Augustinus fügt hinzu, dass dies ein solcher Unsinn ist, dass er es nicht glauben kann. [3] Die gegenwärtige Gleichgültigkeit (siehe auch: Gregor XVI. Der Indifferentismus ist ein verderblicher Irrtum) hat sich so weit entwickelt, dass sie argumentiert, dass jeder auf dem richtigen Weg ist. Dies schließt nicht nur all jene Sekten ein, die außerhalb der katholischen Kirche die Offenbarung verbal als Grundlage akzeptieren, sondern auch jene Gruppen, die die Idee der göttlichen Offenbarung ablehnen und sich zu einem reinen Deismus oder gar einem reinen Naturalismus bekennen. Die Gleichgültigkeit von Rhetorius schien dem heiligen Augustinus absurd, und das zu Recht, aber sie erkannte bestimmte Grenzen an. Aber eine Toleranz, die sich auf Deismus und Naturalismus erstreckt und die selbst die alten Ketzer ablehnten, kann niemals von jemandem gebilligt werden, der seine Vernunft benutzt. Dennoch – leider für die Zeit, leider für diese lügnerische Philosophie – wird eine solche Toleranz von diesen Pseudophilosophen gebilligt, verteidigt und gepriesen.

14. Sicherlich haben sich viele bemerkenswerte Autoren, Anhänger der wahren Philosophie, die Mühe gegeben, diese seltsame Sichtweise anzugreifen und zu zerstören. Die Sache ist aber so selbstverständlich, dass es überflüssig ist, zusätzliche Argumente anzugeben. Es ist unmöglich, dass der wahrhaftigste Gott, der die Wahrheit selbst ist, der Beste, der weiseste Versorger und der Belohner der guten Menschen, alle Sekten billigt, die sich zu falschen Lehren bekennen, die oft unvereinbar und widersprüchlich sind, und ihren Mitgliedern ewige Belohnungen verleiht. Denn wir haben ein sichereres Wort des Propheten, und indem Wir Euch schreiben, sprechen Wir Weisheit unter den Vollkommenen; nicht die Weisheit dieser Welt, sondern die Weisheit Gottes in einem Geheimnis. Durch sie werden wir gelehrt, und durch den göttlichen Glauben halten wir fest einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe, und dass den Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben wird als der Name Jesu Christi von Nazareth, in dem wir gerettet werden müssen. Deshalb bekennen wir, dass es außerhalb der Kirche keine Erlösung gibt.

15. Aber oh! die Tiefe des Reichtums der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unverständlich Seine Urteile! [4] Gott, der die Weisheit der Weisen zerstört, hat den Feinden Seiner Kirche, die die übernatürliche Offenbarung verachten, eindeutig einen pervertierten Geist [5] gegeben, der dem Symbol der Gräueltat entspricht, das in der Apokalypse auf die Stirn der bösen Frau geschrieben wurde. Denn was für einen größeren Frevel gibt es als für diese stolzen Menschen, nicht nur die wahre Religion aufzugeben, sondern auch zu versuchen, die Unbedachten mit Kritik jeder Art zu verleiten, in Reden und Schriften, die mit allem Betrug gefüllt sind! Möge Gott aufstehen und in Schranken halten, nichtig machen und diese ungezügelte Freiheit in all ihren Erscheinungsformen zerstören.

16. Darüber hinaus ist die Bosheit unserer Feinde, ganz abgesehen von der Flut böser Bücher, die der Religion an sich feindlich gesinnt sind, so weit gegangen, dass sie versuchen, die heiligen Schriften, die uns göttlich für den Aufbau der Religion gegeben wurden, gegen die Religion zu wenden.

Anmerkungen:

[1] Röm 16, 17 (zitiert nach Allioli)
[2] Hist. Eccl., 5.
[3] De haeresibus, no. 72.
[4] 1. Kor. 1
[5] Röm. 1, 28

Übersetzung von Leo XII. Ubi primum

Der gesamte Text findet sich hier: Papal encyclicals online