Katechismus des hl. Petrus Canisius
Über die fremden Sünden
Summe christlicher Lehre – Summa doctrinae christianae (1555) – Von der christlichen Gerechtigkeit
I. Welche heißt man fremde Sünden?
Diejenigen, welche, obschon sie durch anderer Hände und Werke geschehen, doch uns billig zugerechnet werden, und unser Gewissen vor Gott der Verdammnis schuldig machen. Deshalb kann von diesen Sünden verstanden werden, was die Schrift gebietet: Mache dich nicht fremder Sünden, teilhaftig, und was der königliche Prophet betet: Von meinen verborgenen Sünden reinige mich, o Herr! und wegen der fremden verschone deinen Knecht. Dahin auch deutet Basilius der Große, was St. Paulus an die Epheser geschrieben hat: Habt nicht Teil an den unfruchtbaren Werken der Finsternis, sondern strafet sie viel mehr. Dann das Wort des nämlichen Apostels: Entziehet euch jedem Bruder, welcher unordentlich wandelt, und nicht nach der Satzung, die sie von uns empfangen haben.
VIII. Wann kommt die fremde Sünde aus Schuld des Stillschweigens auf uns?
Wann unser unzeitiges Stillschweigen entweder einem Untergebenen oder irgend einem anderen Schaden bringt. Zum Beispiel, wenn uns das Amt obliegt, einen Bruder oder das Volk zu lehren, zu ermahnen und zu strafen, und wir unterdessen, da wir nützen können, ohne Ursache es unterlassen. Daher bezeugt der Herr durch Jesaias jedem, der das Evangelium verkündigt: Schreie, höre nicht auf, erhebe deine Stimme wie eine Posaune, und verkündige meinem Volk seine Laster, und dem Hause Jakob seine Sünden (Jes. 58, 1) Höre ferner die Gefahr derjenigen, welche nicht ohne Ursache stumme Hunde genannt werden, die nicht bellen können (Jes. 56, 10): Wenn ich zu dem Gottlosen sage, spricht der Herr, du musst des Todes sterben, und du verkündest ihm solches nicht und redest nicht (zu ihm), dass er sich von seinem gottlosen Weg bekehre und lebe: so wird dieser Gottlose in seiner Sünde sterben; aber sein Blut will ich von der Hand fordern. (Ez. 3,18) Sehr notwendig ist zu merken, was Paulus nicht ohne ernstes Flehen begehrt: Predige das Wort, halte an, es sei zur rechten Zeit, (oder) zur Unzeit, strafe, ermahne züchtige in aller Geduld und Lehre. (2.Tim. 4, 2) Und an einem andern Ort spricht der Nämliche: Die da sündigen, strafe vor Allen, damit auch die Andern Furcht haben. (1. Tim. 5,20)
IX. Wann werden wir durch unser Wegschauen der fremden Sünden schuldig ?
So oft wir das, was durch unsere Macht und Ansehen gestraft und gebessert werden kann und soll, doch ungestraft hingehen und schlimmer werden lassen… Hier kann auch die Sünde angeführt werden, die man Unterlassung der brüderlichen Strafe, Ermahnung oder Zurechtweisung zu nennen pflegt, weil auch Christus uns ermahnt, dass wir den Bruder ein und zwei und drei Mal strafen sollen, damit wir den, welcher sündigt, gewinnen mögen, obschon Einige zwischen einer solchen Unterlassung und dem Übersehen, davon wir zuvor gesagt haben, unterscheiden, so, dass sie daraus zweierlei Arten der fremden Sünde machen.
XI. Wie begehen wir eine fremde Sünde durch unsere Verteidigung ?
Wenn wir entweder Übeltäter in Schutz nehmen, oder die Lehre eines andern, obgleich sie verkehrt und gottlos ist, verteidigen oder verbreiten; dann auch, wenn wir uns alle Mühe und Fleiß geben, das, was wider Recht und Billigkeit ist, zu befördern und zu verfechten. Wider diese spricht das göttliche Wort: Wehe euch, die ihr Böses gut, und Gutes böse heißet, die ihr Finsternis zu Licht, und Licht zu Finsternis machet, die ihr aus Sauer süß und aus Süß sauer machet. (Jes. 5,20) Und wiederum: Du sollst nicht dem Haufen folgen, Böses zu tun, noch sollst du im Gericht in den Spruch der Mehreren willigen, dass du von dem Wahren abweichest. (Jes. 10, 1)
Dies sei genug von den, wie man sie nennt, fremden Sünden, die jetzt wahrlich weit und breit im Schwung sind, und täglich ohne alle Scheu, vorzüglich von den Großen, begangen werden. Ja man scheut sich derselben allenthalben nicht, so, daß die allermeisten sie gar nicht für Sünden halten und gering achten, wenn sie schon ihre und Anderer Gewissen oft mit dem Unflat dieser Sünden beflecken, und der ewigen Strafen sich schuldig machen. Alle eben gemeldeten Arten (der Sünden) können ungefähr in drei Hauptgattungen, wie der große Basilius es zeigt, gebracht und kurz gefaßt werden. Denn daß wir eines fremden Irrtums oder Sünde teilhaftig werden, das geschieht entweder im Werke, oder mit dem Willen und mit dem festen Vorsatze allein, oder mit Trägheit und Unachtsamkeit, wenn wir Andern unsere Wohltat, zu ermahnen und zu bessern, entziehen. –
aus: Kurzer Inbegriff der christlichen Lehre oder Katechismus des ehrwürdigen Lehrers Petrus Canisius, 1824, S. 170-179
siehe auch den Beitrag: Deharbe`s Katechismus-Erklärung Von den fremden Sünden