P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
4. Von den fremden sünden
Was versteht man unter fremden Sünden?
Fremde Sünden heißen jene sündhaften Handlungen, durch welche wir uns der Sünden anderer mitschuldig machen. Schon beim fünften und siebten Gebot Gottes haben wir verschiedene weisen kennen gelernt, wie man sich der Sünden anderer mitschuldig machen kann. Solches tut z. B. der Verführer, indem er andern zu einer Sünde rät oder sie dazu anreizt; desgleichen der Hehler, der gestohlenes Gut verbirgt, damit der Dieb nicht entdeckt werde. Manche glauben zwar, Sünden, die sie nicht selbst begangen haben, könnten ihnen auch nicht angerechnet werden. Das ist ein großer Irrtum; wer die Sünden anderer freiwillig veranlaßt oder dabei hilft oder ihnen auch nur Beifall spendet, nimmt eben dadurch teil an diesen Sünden und macht sich zum Mitschuldigen derselben. Ja, mag auch die Sünde des andern noch nicht verübt worden sein, so haben wir uns doch schon einer fremden Sünde schuldig gemacht, falls wir nur die Absicht hatten, auf was immer für eine Weise denselben zu einer Sünde zu bestimmen oder ihm dabei behilflich zu sein. Bei Gott wird nämlich, wie schon anderswo bemerkt worden, der böse Wille für die böse Tat selbst angerechnet. Vor dieser Gattung von Sünde warnt der hl. Paulus mit den Worten: „Mache dich nicht fremder Sünden teilhaftig.“ (Tim. 5, 22) Und im Brief an die Römer (1, 32) lehrt er, daß nicht allein jene, die wie die Heiden Böses tun, „des (ewigen) Todes würdig sind, sondern auch, die denen Beifall geben, welche es tun.“ – Keiner halte sich demnach für sündenfrei, wenn er mit wissen und Willen Ursache war, daß andere sündigten. „Wie kannst du glauben, ohne Sünde zu sein“, spricht der hl. Chrysostomus (Opusc. Quod regulkares feminae etc. T. 1. Montf.) zu einem solchen, „da du doch der Urheber des ganzen Vergehens bist? Des andern Sünde ist dein Werk. Du hast das Schwert geschärft, du die Hand bewaffnet und mit der bewaffneten Hand die unglückliche Seele getötet; wie kannst du der Strafe, womit Gott den Mord bedroht, entfliehen? Sage mir einmal, wen hassen, wen verabscheuen wir? Wen bestrafen die Gesetzgeber und Richter? Sind es die, welche den vergifteten Becher trinken, oder die, welche ihn gemischt haben, um andere zu verderben? Bedauern wir nicht die, welche ihn trinken, als solche, denen man übel mitspielt, und verdammen wir nicht die Giftmischer auf alle weise? … Du Unglückseliger, du hast den Becher der Sünde gemischt, du hast ihn deinem Mitbruder dargeboten, du hast ihm den tödlichen Trank gereicht; und nachdem er denselben getrunken und dem Tod verfallen ist, glaubst du dich wohl damit rein waschen zu können, daß du selbst nicht getrunken, sondern nur den Giftbecher dargereicht habest? Schrecklicher als der Tod des Leibes ist der Tod der Seele; schrecklicher wird dafür auch die Strafe sein.“
Die Gottesgelehrten zählen gewöhnlich neun Arten auf, wie man sich der Sünden anderer mitschuldig machen kann.
1. Zur Sünde raten
2. Andere sündigen heißen
3. In die Sünde anderer einwilligen
4. Andere zur Sünde reizen
5. Die Sünde anderer loben
6. Zur Sünde anderer stillschweigen
7. Die Sünden anderer nicht strafen
8. Andern zur Sünde helfen
9. Die Sünde anderer verteidigen
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 365-366