P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
3. Von den himmelschreienden sünden
Zwei weitere himmelschreiende Sünden
Unterdrückung der Armen – Vorenthaltung des Arbeitslohnes
3. Die Unterdrückung der Armen, Witwen und Waisen
Den Armen und Hilfsbedürftigen, wie es Witwen und Waisen in der Regel sind, sollen wir nach Kräften beistehen, namentlich durch die Werke der Barmherzigkeit. Solches nicht tun ist lieblos; dieselben aber dazu noch bedrücken, sie in ihren Rechten kränken und ihres Eigentums berauben, eben weil sie schutzlos sind, das ist eine wahrhaft unmenschliche Herzlosigkeit, ein Unrecht, das die göttliche Strafgerechtigkeit geradezu herausfordert. Dieser Sünde machen sich insbesondere Pflegeeltern und Vormünder schuldig, welche das Vermögen der Pflegekinder und Mündel zu ihrem eigenen Vorteil ausbeuten; Gemeindevorsteher und Richter, welche sich bestechen lassen und wehrlose Arme, Witwen und Waisen gegen ungerechte Bedrückung von Seiten habsüchtiger Reichen nicht pflichtgemäß schützen; Wucherer, die sich die Not der Bedrängten zunutze machen, um ihnen den letzten Heller zu entreißen; herzlose Gläubiger, die keine Rücksicht nehmen auf die bedrängte Lage der Schuldner, sondern mit unerbittlicher Härte die Schulden eintreiben und so denselben nicht nur unbarmherzig entreißen, was sie haben, sondern es ihnen auch gewissermaßen unmöglich machen, je wieder etwas zu gewinnen. Diesen all gilt das Wort des Hl. Geistes: „Fließen nicht die Tränen der Witwe die Wangen herab, schreit sie nicht wider den, der sie ihr auspreßt? Von ihren Wangen steigen sie bis zum Himmel empor.“ (Sir. 35, 18. 19) Schon im Gesetz des Alten Bundes heißt es: „Witwen und Waisen sollt ihr nicht wehe tun; wenn ihr ihnen aber wehe tut, so werden sie zu mir schreien, und ich werde ihr Geschrei hören, und mein Zorn wird ergrimmen, und ich werde euch mit dem Schwert schlagen, und eure Weiber werden Witwen sein und Kinder Waisen.“ (2. Mos. 22, 22-24) Und durch den Mund des Propheten Isaias (10, 1. 2) ruft der Herr: „Wehe denen, die im Gericht die Armen unterdrücken und der Rechtssache der Bedrängten Gewalt antun, die Witwen zu ihrer Beute machen und die Waisen berauben!“ Ja, der gerechte Richter aller Menschen, Jesus Christus selbst, droht den Pharisäern, welche durch scheinheilige Mittel die Armen bedrückten, mit den Worten: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, die ihr die Häuser der Witwen verpraßt“ Über euch wird ein schweres Gericht ergehen.“ (Matth. 23, 14 u. Mark. 12, 40)
4. Die Vorenthaltung oder Entziehung des Tag- oder Arbeitslohnes
Durch mühsame Arbeit im Dienst von Fremden sich das tägliche Brot erwerben müssen, ist hart genug; nach getaner Arbeit aber den sauer verdienten Lohn nicht erhalten und darben müssen, ist unerträglich. Darum heißt es im fünften Buch Moses (24, 14. 15): „Du sollst dem dürftigen und armen Bruder seinen Lohn nicht versagen, sondern an demselben Tag sollst du ihm den Sohn seiner Arbeit geben vor Sonnenuntergang; denn er ist arm und unterhält damit sein Leben; auf daß er nicht wider dich zum Herrn rufe.“ Und der hl. Apostel Jakobus spricht (5, 4): „Siehe, der Sohn der Arbeiter welcher von euch vorenthalten worden, schreit, und sein Geschrei ist zu den Ohren des herrn der Heerscharen gekommen.“ … Der Hl. Geist selbst vergleicht diese Sünde mit der eines Mörders, indem er sagt: „Das Brot des Armen ist dessen Leben; wer ihn darum bringt, ist ein Mörder. Wer das im Schweiße gewonnene Brot raubt, ist gleich dem, der seinen Nächsten tötet. Wer Blut vergießt, und wer einen Lohnarbeiter betrügt, die sind Brüder.“ (Sir. 34, 25-27) –
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 363-365