P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
3. Von den himmelschreienden sünden
Vorsätzlicher Totschlag und sodomitische Sünde
Die besondere Bosheit der Sünde gegen den Hl. Geist besteht, wie wir sahen, darin, daß sie mehr als andere der Gnade des Hl. Geistes das Herz verschließen und darum meist mit dem ewigen Verderben enden. Eine andere Art von Bosheit ist den himmelschreienden Sünden eigentümlich. Wie das Wort schon andeutet, schreien sie gleichsam zum Himmel und baldige Bestrafung. Sie verletzen nämlich die Ordnung, welche zum Bestehen der menschlichen Gesellschaft notwendig ist, in solchem Maße, daß die menschliche Gesellschaft einfach zugrunde gehen müßte, wenn diese Art von Sünden allgemein würde. Um dies zu verhüten, ist daher die göttliche Vorsehung genötigt, die Bestrafung derartiger Sünden nicht auf das andere Leben zu verschieben, sondern dieselbe schon teilweise hier auf Erden eintreten zu lassen; denn die Strafen dieses Lebens, namentlich schwere und auffallende Strafgerichte Gottes, sind weit mehr geeignet, der menschlichen Leidenschaft Zügel anzulegen, als die Strafen im Jenseits, an welche viele nicht mehr glauben und viele andere nur selten denken.
Es gibt vier solcher Sünden, von welchen die Hl. Schrift selbst sagt, daß sie zum Himmel um Rache schreien und die deshalb im Katechismus als „himmelschreiende Sünden“ besonders aufgezählt werden.
1. Der vorsätzliche Totschlag
Gott sprach zu Kain, der zuerst die Erde mit Menschenblut tränkte: „Die Stimme von deines Bruders Blut schreit zu mir von der Erde. Du sollst verflucht sein auf der Erde, die ihren Mund aufgetan und deines Bruders Blut von deiner Hand empfangen hat. Wenn du sie bauest, soll sie ihre Früchte nicht geben: unstet und flüchtig sollst du auf Erden sein! … Und Kain wich vom Angesicht des Herrn und wohnte flüchtig im Lande.“ (Mos. 4) Ähnlich wie Kain ergeht es dem Mörder gewöhnlich: er findet weder Rast noch Ruhe; beständig foltert ihn einerseits das böse Gewissen, anderseits die Angst, sein Verbrechen möchte entdeckt werden und er dann der Hand der irdischen Gerechtigkeit verfallen. Und es ist tatsächlich sehr auffallend, wie oft der im geheimen verübte Mord früher oder später ans Tageslicht kommt, vielfach durch scheinbar zufällige Umstände, in denen aber das Walten der göttlichen Vorsehung kaum zu verkennen ist. Nicht selten stellt sich sogar der Mörder selbst dem Gericht, weil ihm die zu erwartende Strafe weniger schrecklich erscheint als die Folterqualen des Gewissens.
2. Die sodomitische Sünde
Es ist dies eine so abscheuliche und widernatürliche Sünde der Unzucht, daß man sie nicht einmal nennen kann, ohne zu erröten. Dieselbe war in Sodoma und Gomorrha einheimisch. Darum sprach der Herr zu Abraham: „Das Geschrei (d. h. die himmelschreiende Unzucht) von Sodoma und Gomorrha hat sich gemehret, und ihre Sünde ist sehr schwer geworden“; und die beiden Engel des Herrn, welche Lot besuchten, sprachen: „Wir wollen diesen Ort vertilgen, weil sein Geschrei groß geworden ist vor dem Herrn.“ „Und der Herr ließ (zur Strafe für diese Sünde) Schwefel und Feuer vom Himmel regnen und vernichtete diese Städte und die ganze Umgegend, alle Bewohner der Städte und alles, was grünte auf Erden.“ (1. Mose 18, 19) Solche Schändlichkeiten trieben im geheimen auch die Heiden, welche Gott zur Strafe für ihre Hoffart und ihren Götzendienst den unlautern Gelüsten ihres Herzens überlassen hatte. Deshalb schreibt der Apostel an die Epheser (5, 12) von denselben: „Was im geheimen von ihnen geschieht, ist zu schändlich, um es auch nur auszusprechen.“ Dieses abscheuliche Vergehen heißt auch „die stumme Sünde“, weil dieselbe unter Christen gar nicht einmal besprochen werden soll. –
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 362-363