Der 2. Petrusbrief
Der zweite Petrusbrief (Kap. 2, Vers 20-22): Das Urteil über die Abtrünnigen
Nachdem der Apostel ungeschminkt das Bild der Irrlehrer gezeichnet hat, fügt er ein sehr ernstes Wort über die von ihnen verführten Christen an (20-22). Dieser Sinn der Verse entspricht wohl am besten dem zweck des Briefes, der ja nicht nur die Gefahr der falschen Lehre aufdecken, sondern auch vor ihr warnen und die Umgarnten aus ihr herausreißen will. Daß auch diese Sätze noch an die Adresse der Irrlehrer selbst gerichtet seien, ist weniger wahrscheinlich. Indes trägt das Urteil über die Verführten auch zur Kennzeichnung der Verführer bei.
Als die Neubekehrten in die tiefere Erkenntnis Christi eingeführt wurden, da offenbarte er an ihnen seine göttliche Macht als verklärter Kyrios und als Heiland der Welt, indem er sie durch den Glauben und die Taufe von „den Befleckungen der Welt“ befreite. Damals sind sie den unwürdigen Fesseln der Schuld und Sünde ihrer heidnischen Vergangenheit entronnen. Lassen sie sich nun aber auf das Treiben der Irrlehrer hin von neuem in jenes heidnische Lasterleben hinein locken und von den früheren Befleckungen abermals umstricken und überwinden, dann trifft auf sie das Wort Christi über den geheilten, aber rückfälligen Besessenen zu: die letzten Dinge werden schlimmer als die ersten (Matth. 12, 45; Luk. 11, 26). Rückfällige Verbrecher werden auch vom weltlichen Gericht härter bestraft, und der rückfällige Kranke ist schwerer zu heilen. Ein nochmaliges Entrinnen aus der Umstrickung ist darum für die Verführten wenig wahrscheinlich (vgl. Hebr. 6, 4-8; 10, 26f). Sie leben in der „Sünde zum Tode“ (1. Joh. 5, 16f).
Die erstmalige Befreiung aus der Sünde und die Hinführung auf „den Weg der Gerechtigkeit“ war unverdiente Gnade Gottes, legte aber den Bekehrten die ernste Verantwortung des Beharrens auf. Diese Gnade haben sie als Abtrünnige verscherzt. Hätten sie nie den christlichen Glauben kennen gelernt und wären nie der Rechtfertigung teilhaftig geworden, so wäre das für sie besser, weil es ein geringeres Übel ist, die Wahrheit gar nicht kennen zu lernen, als die erkannte gegen besseres Wissen und darum schuldhaft wieder preiszugeben. Petrus nennt hier die christliche Religion „den Weg der Gerechtigkeit“ und „das überlieferte heilige Gebot“, wie er sie vorher „den Weg der Wahrheit“ genannt hat (2, 2). Durch die Erkenntnis Christi wird der Mensch zur Gerechtigkeit, zum rechten Verhältnis zu Gott geführt und verpflichtet sich, getreu nach der heiligen Satzung des christlichen Glaubens und seines Sittengesetzes zu leben, wie die Apostel sie überliefert haben. Christentum ist also mehr als bloße Lehre, es geht den ganzen Menschen an, gibt seinem Denken, Tun und Lassen die Richtung auf Gott hin, scheidet ihn von den bloßen Diesseits-Menschen und bindet ihn an die Lebensnorm Christi. Kein Christ ist mehr autonom, er ist ein Christushöriger. „Keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. Denn, leben wir, so leben wir für den Herrn, und sterben wir, so sterben wir für den Herrn. Darum sind wir, wenn wir leben und wenn wir sterben, des Herrn“ (Röm. 14, 7f).
Nicht nur schwer schuldhaft ist der Rückfall ins frühere heidnische Lasterleben, er ist überdies schmachvoll und eines Menschen unwürdig. Zeigt doch der Rückfällige, dass ihm der Sündenschmutz lieber ist als die in Christus erworbene Reinheit und Lauterkeit. Das drückt der Apostel durch zwei volkstümlich derbe Sprichwörter aus. Hunde und Schweine, vom Orientalen besonders verachtet (vgl. Matth. 7, 6), beweisen ihre gänzliche Unempfindlichkeit gegen schmutz durch das verhalten, wie es das Sprichwort von ihnen aussagt. Das Buch der Sprüche kennt eine ähnliche Aussage über den Hund (26, 11). Außerhalb der Bibel begegnen wir öfters solchen Wendungen und Anwendungen, so in der syrischen Achikarlegende, bei Heraklit, Horaz, Cicero, Plutarch, Epiktet, Philo und auch bei den christlichen Schriftstellern. Petrus mochte wohl hoffen, durch den realistischen Vergleich die abtrünnigen Christen zum Nachdenken darüber zu veranlassen, wie weit es mit ihnen gekommen sei, die wankenden aber vor dem Rückfall abzuschrecken. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 315 – S. 316