Der 2. Petrusbrief

Widerlegung der Spötter über die Wiederkunft Christi und das Weltende

Der zweite Petrusbrief (Kap. 3, Vers 1-4): Die dreisten Behauptungen der Spötter

Nachdem die Bedroher des reinen Glaubens und der christlichen Sitte als lasterhafte Menschen entlarvt und die durch ihr Treiben Gefährdeten ernstlich gewarnt sind (siehe den Beitrag: Das Urteil über die Abtrünnigen), lenkt Petrus das Augenmerk der Christen auf einen besonders wichtigen Punkt im System der Irrlehrer, nämlich auf ihren Spott über die Wiederkunft Christi und das Weltende (3, 1-13). Er greift damit auf das zurück, worum es ihm vor allem im ersten Kapitel zu tun war, die Festigung der Parusie-Hoffnung. „Eine Apokalypse des Petrus“, nennt Hans Windisch den Abschnitt. Zuerst erwähnt der Apostel die dreisten Behauptungen der Spötter (1-4), widerlegt sie (5-10) und zieht die Folgerungen aus der Enderwartung (11-13). Die Abhängigkeit vom Judasbrief ist in diesem Kapitel gering.

Den Gerichtsgedanken und die Jenseits-Hoffnung lächerlich zu machen, ist von Anfang an eine beliebte Waffe gegen die Kirche gewesen und stets geblieben. In die Verlorenheit des Diesseits hinein geworfen, ist der Mensch am ehesten zur gänzlichen Preisgabe des Gottesglaubens und zur Missachtung der göttlichen Gebote zu bringen. Darum richtet sich die Sorge des Apostels so sehr auf die Wappnung der Leser gegen die von dieser Seite drohenden Gefahren. Er hat ihnen schon einmal in der gleichen Absicht geschrieben.

Die Lauterkeit des christlichen Sinnes der Leser, die geprüft und bewährt ist wie echtes Linnen, das in der Sonne gebleicht und veredelt wurde, soll weiter erhalten bleiben. Nichts Fremdes darf diese Lauterkeit trüben; darum ruft ihnen der Apostel bekannte Wahrheiten von neuem in Erinnerung.

Die Treue im Glauben an die Weissagungen des Alten Testamentes und der Gehorsam gegenüber den Vorschriften der Apostel des Neuen Testamentes müssen unerschütterlich sein. Die Gottesboten haben ja nicht eigene Weisheit verkündet und nicht nach Willkür den Bekehrten schwere Pflichten auferlegt. Die Propheten waren heilige, von Gott erleuchtete Männer; die Apostel kamen im Auftrag und in der Vollmacht des beim Vater im Himmel thronenden Herrn, durch den allein die Menschen das Heil erlangen können. Auf der Offenbarung des Alten und des Neuen Testamentes, wie sie enthalten ist im geschriebenen Gotteswort und in der lebendigen Lehre der amtlichen Zeugen Christi und der Hüter der Wahrheit, gründet sich die christliche Glaubensüberzeugung und sittliche Verpflichtung.

Dieses Fundament suchen die Irrlehrer zu erschüttern. Gelingt ihnen das, dann wird das Glaubensgebäude in den Seelen zusammen stürzen. Um das zu verhüten, sagt Petrus ihr Auftreten mit Bestimmtheit voraus und fordert die Leser auf, sich gut zu merken, was er sagt, und sich zur gegebenen Zeit danach zu richten. Ein Feind, auf dessen Angriff jemand gefaßt ist, kann leichter abgewehrt werden. Mit dieser Warnung folgt der Apostel dem Beispiel des Meisters. (Matth. 24, 25; Mark. 13, 23).

Wenn hier das Auftreten der Irrlehrer für „die letzten Tage“ vorher gesagt wird, so will das nicht bedeuten, erst unmittelbar vor der Parusie des Herrn seien sie zu erwarten. Die gesamte Endzeit zwischen der Himmelfahrt Christi und seiner Ankunft zum Gericht ist darunter zu verstehen. (1. Kor. 10, 11; Hebr. 1, 1; 1. Petr. 1, 20).

Endzeit und Zeitenende decken sich nicht.

Wohl wissend, daß nichts so tödlich wirkt wie die Lächerlichkeit, machen die Irrlehrer sich mit frevelndem Spott über jene lustig, die immer noch auf die Parusie Christi hoffen. Dass die Sektierer über eine so ernste Frage spotten, zeigt, dass ihnen die Grundhaltung des wahrhaft religiösen Menschen fehlt, die Ehrfurcht vor dem Heiligen und vor der Überzeugung anderer. Wo es aber daran gebricht, verliert der Mensch bald jeden inneren halt; die Triebe werden nicht mehr gezügelt, und das Leben ist ein Taumel von Gelüste zu gelüste. Aus dieser Kennzeichnung ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die hier gemeinten Spötter von den im zweiten Kapitel behandelten Irrlehrern nicht verschieden sind. Wer nur nach seinen Lüsten lebt, hat allen Grund, die Parusie zu fürchten; und weil er sich nicht bessern will, sucht er die unbequeme Lehre lächerlich zu machen.

Nun führt Petrus eine Spottrede im Wortlaut an, nicht als ob sie die einzige gewesen wäre, sondern weil sie sich unmittelbar gegen den Glauben an die Wiederkunft des Hern richtet. Sie geht von dem Irrtum, Jesus habe seine Ankunft zum Gericht als so nahe bevorstehend verkündet, dass bei ihrem Eintreffen die damals lebende Generation noch auf Erden weilen würde. Missdeutete Aussprüche des Herrn wie Mark. 9, 1 (Latein. Text 8,39) schienen dafür zu sprechen, zumal wenn andere Jesusworte, die deutlich eine lange Zwischenzeit voraus setzen, unbeachtet blieben (Matth. 24, 48; 25, 19; Mark. 13, 33ff; Apg. 1, 7 u. ö.). Den kurzlebigen Menschen wird die Zeit des Wartens leicht zu lang, besonders wenn es sich um das Warten auf die Erfüllung von Prophezeiungen handelt (Is. 5, 19; Ez. 12, 22).

Wohl aus Berechnung, nicht aus bloßer Geringschätzung nennen die Spötter Jesus nicht mit Namen, sprechen vielmehr nur von der „Verheißung seiner Parusie“. Unmittelbarer Spott über Christus hätte den Christen die Augen geöffnet und den völligen Unglauben der Spötter verraten, die einer rein materialistischen Geschichtsauffassung huldigten und selber nicht nur einen Irrtum Jesu über die Zeit des Weltendes annahmen, sondern überhaupt nicht an eine Wiederkunft glaubten. In ihrem Spott berufen sie sich auf die Tatsache, dass, seitdem die Väter entschlafen sind, nichts von all dem eingetreten ist, was der Ankunft Christi und dem Weltende voraus gehen sollte (Matth. 24, 1ff. u. Par.). Im Gegenteil! Die Dinge gehen so weiter, wie sie seit der Schöpfung verlaufen sind, seitdem es also eine Geschichte gibt. Das ließ sich zwar bis zu einem gewissen Grad nicht bestreiten; statt aber daraus den Schluss zu ziehen, dass die Worte Jesu über die Parusie von vielen falsch verstanden worden seien, verneinen die Spötter die Glaubwürdigkeit der eschatologischen Reden des Herrn.

Jede Generation muss mit der Ankunft Christi rechnen und sich bereit halten, darf auch darauf hoffen und darum beten, dass er bald komme (1. Kor. 16, 22; Offb. 22, 17 u. 20). Verzögert sich die Parusie, so soll das der Christenheit zur Erprobung dienen, nicht aber zur Erschlaffung des Glaubensgeistes führen. Worauf die Spötter hinweisen, ist bloßer Augenschein, nicht Wirklichkeit. Ähnliche Spottreden wurden schon im Alten Testament geführt; sie haben nur den Unglauben der Sprecher offenbart, nicht aber die Erwartung, dass sich die Prophezeiung erfüllen werde, als trügerisch erwiesen. „Die Väter“, auf deren Entschlafen, das heißt auf deren Tod hingewiesen wird, können als die Vorfahren im Alten Testament aufgefaßt werden. Dem unveränderten Geschehen im Reich der Natur wird dann der gleichmäßige Ablauf der Menschheits-Geschichte zur Seite gestellt. Wäre aber mit den Vätern die erste christliche Generation gemeint oder gar eine ganze Reihe christlicher Generationen, die den Tag der Parusie zu erleben vergeblich erwartet hätten, so ließe sich trotzdem kein Beweis gegen die Abfassung des Briefes durch den Apostel Petrus daraus ableiten. Der Verfasser spricht ja von künftigen Spöttern, ohne genau zu sagen, wann sie diese Reden führen werden. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 317 – S. 319