Der 2. Petrusbrief
Widerlegung der Spötter über die Wiederkunft Christi und das Weltende
Der zweite Petrusbrief (Kap. 3, Vers 5-10): Die Widerlegung der Spötter
Petrus begnügt sich nicht mit der bloßen Voraussage der Spottreden, auch nicht mit der Widerlegung durch allgemeine Gegengründe; er tut vielmehr die Haltlosigkeit der gegnerischen Behauptungen durch einen vierfachen Gegenbeweis dar. Niemand soll sagen dürfen, er habe die Gefahr, unterschätzt und den Feinden Vorschub geleistet, indem er sich die Abwehr leicht gemacht habe.
Zuerst weist der Apostel darauf hin, dass die Spötter bewußt so tun, als hätten sie keine Kenntnis von der Tatsache, dass schon einmal Himmel und Erde in eine vernichtende Katastrophe hinein gezogen worden und untergegangen sind, nämlich in der Sintflut. Nicht von ungefähr brach dieses Verhängnis über die erste Schöpfung herein, wie sie auch nicht von ungefähr ins Dasein getreten war. Beides geschah „auf Gottes Wort hin“. Der Schöpfer hat durch sein Allmachtswort „aus Wasser“, aus der Urflut, die alles bedeckte, die Erde aufsteigen lassen, als der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Auch „durch Wasser“ kamen Himmel und Erde zustande, indem das Wasser bei der Scheidung „des Trockenen“ vom Meer und bei der Bildung des Firmaments durch Trennung der oberen von den unteren Wassern wie ein mitgestaltendes Werkzeug des Schöpfers erschien. Der biblische Schöpfungsbericht (1. Mos. 1, 1 u. 6ff) war den Lesern des Briefes bekannt, so dass sie die Beweiskraft der Worte erfaßten. Es ist also nicht so, als ob keine höhere Macht über der Schöpfung stehe und sich alles Geschehen von jeher bloß nach unveränderlichen Naturgesetzen abspiele, wie es nach den Reden der Spötter scheinen könnte. Dass sie gegen besseres Wissen solche Trugargumente vorbringen, muss zur Vorsicht mahnen und vor Leichtgläubigkeit warnen.
Wie überall in der Bibel, so ist auch in diesen Worten des Apostels Petrus das Weltbild des Verfassers und der ersten Leser voraus gesetzt (vgl. Ps. 24 [23], 2; 33 [32], 6f). Nicht um einen Beweis für die Richtigkeit dieser kosmologischen Vorstellungen geht es hier, sondern um die Glaubenslehre, dass auf Gottes Wort hin die erste Welt geworden ist und ebenso „dadurch“, das heißt durch Gottes Wort und durch Wasser, nämlich auf göttlichen Befehl hin „vom Wasser überflutet, zugrunde ging“, wie es der Herr durch Noe hatte voraus verkünden lassen. Auch damals gab es Spötter, die sich nicht warnen ließen, bis es zu spät war. „Es ist zu beachten, dass hier nicht die Rede ist von der festen Erde (gē) im Gegensatz zum Himmels-Firmament, sondern vom Kosmos, von der geordneten Welt: das ist die alte Welt, die Welt der Gottlosen wie 2, 5 mit allem, was sie kennzeichnete in der physischen wie in der moralischen Ordnung“ (A. Charue, a.a.O. 497)
Als sich die Wasser der Sintflut verlaufen hatten und aus ihnen wie in einer zweiten Schöpfung die jetzige Welt aufgetaucht war, versprach Gott dem geretteten Noe, „dass hinfort niemals wieder alle Geschöpfe durch die Wasser der Flut vertilgt werden sollen und dass keine Flut mehr kommen wird, um die Erde zu verheeren“ (1. Mos. 9, 11) Über diese negative Auskunft vom Weltende hinaus erfahren wir jetzt durch Petrus die wichtige positive Offenbarung, dass dereinst die Welt durch Feuer zerstört werden wird. Biblische Anklänge an die hier eindeutig ausgesprochene und auf das allmächtige Wort Gottes gegründete Lehre sind häufig (vgl. Soph. 1, 18; 3, 8; Is. 66, 15f.; Dan. 7, 10; Mich. 1, 4; Ps. 97 [96], 3; Matth. 3, 10-12; 7, 19; Luk. 3, 9 u. 17; 1. Kor. 3, 13; 2. Thess. 1, 8). Außerhalb der Bibel treffen wir in verschiedenen Kulturkreisen ebenfalls auf die Erwartung eines Weltenbrandes am Ende der Zeit, auch im germanischen Mythos der Edda (Völuspa 57; vgl. die Erklärung zu Offb. 8, 12 in Bd. XVI 2, S. 133). Im „Hirt des Hermas“ wird erklärt, „daß diese Welt in Blut und Feuer untergehen muss“ (Sim. III, 3, 3). Der Dichter des „Dies irae“ nennt David und die Sibylle als Zeugen dafür, dass „jener Tag des Zornes die Welt in Asche auflösen wird“. In den Sibyllinen ist wiederholt davon die Rede, (IV, 172ff; V, 155ff; 206ff; 274f; 512ff). Bis zum Tage des Gerichtes werden Himmel und Erde „aufgespart für das Feuer“. Dann wird das Verderben über die Gottlosen herein brechen. Also nicht dem Zufall bleibt das überlassen, die Vorsehung des höchsten Richters waltet darin.
Aus diesem Walten der Vorsehung leitet Petrus einen zweiten Beweis gegen die Behauptung der Spötter ab. Gewiß hatte sich die Parusie bislang verzögert, obschon der Herr schon fast ein Menschenalter nicht mehr auf Erden weilte. Das ließ sich nicht bestreiten, und hier lag die Gefahr für die Leser, irre zu werden an der Verheißung Christi. Aber was wollen einige Jahrzehnte für den bedeuten, der mit Ewigkeiten rechnet! Da verlieren alle Zeitmaße der kurzlebigen Menschen ihre Gültigkeit. Für Gott gibt es kein kurz oder lang, ihm ist alles Gegenwart. Ein Jahrtausend eilt vorüber wie ein Tag von vierundzwanzig Stunden, und in der kurzen Frist eines Tages vollbringt der Ewige Taten, zu denen die Menschen tausend Jahre nötig hätten. Dies nicht unbeachtet zu lassen, bittet der Apostel die Leser herzlich als „geliebte“. Er bezieht sich hier auf ein Psalmwort (90 [89], 4) und erweitert es zum Doppelsatz. Vergeblich hat der Chiliasmus sich des Ausspruchs bemächtigt, um die Lehre vom Tausendjährigen Reich damit zu stützen. Ebenso wie im Psalm ist nicht davon die Rede, sondern vom Versagen menschlicher Maßstäbe in der Berechnung des Zeitpunktes der Parusie. Sehr schön hat die heilige Theresia vom Jesuskind dieses geflügelte Bibelwort angewendet, um das kindliche Vertrauen auszudrücken, das uns trotz unserer jahrelangen vergeblichen Bemühungen um Fortschritt in der Tugend beseelen soll: An einem einzigen Tag vermag uns Gott durchs eine Liebe mehr zu fördern, als wir es in tausendjährigen Anstrengungen erreichen könnten.
Der Hinweis auf die scheinbare Verzögerung der Parusie hatte auch auf etliche Glieder der christlichen Gemeinden solchen Eindruck gemacht, dass sei darin den Spöttern glaubten recht geben zu müssen. An diese Kurzsichtigen wendet sich nun der Apostel mit einem dritten Gegenbeweis. Was auf den ersten Blick wie Unzuverlässigkeit des Herrn aussieht oder wie mangelnde Teilnahme am Geschick der sehnsuchtsvoll auf die Parusie harrenden Gläubigen, ist in Wahrheit ein Zeugnis seines Heilswillens. Nicht nur seine Fähigkeit will beim Urteil über die Zeit seines Kommens beachtet sein, sondern auch seine Langmut. Gerade weil er ewig ist, braucht er nichts zu überstürzen. Wollte er gleich der irdischen Polizeimacht sofort eingreifen, so wären viele rettungslos verloren. Er läßt allen Zeit, um die Verirrten zur Sinnesänderung, zur Bekehrung zu bringen und sie dadurch zum ewigen Heil zu führen. In seiner Güte „denkt er Gedanken des Friedens nicht aber des Verderbens“ (Jer. 29, 11; vgl. Ez. 18, 23; 33, 11; Weish. 11, 23ff; Röm. 2, 4; 11, 32; 1. Tim. 2, 4).
Unvereinbar mit dieser Lehre von Gottes zuwartender Langmut und allgemeiner Heilsabsicht ist die trostlose absolute Vorausbestimmung (Prädestination) des einen Teiles der Menschheit zur ewigen Verdammnis, des anderm zur ewigen Seligkeit. Gott läßt jedem die freie Entscheidung darüber, ob er sich bekehren und so gerettet werden will oder nicht, und gerade Petrus hat mit Nachdruck diese Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit in seinen Reden betont (Apg. 2, 38; 3, 19; 10,43), ein inneres Zeugnis für die Echtheit des Briefes.
So ungewiß der Zeitpunkt der Parusie für uns Menschen ist, so gewiß ist die Tatsache, dass sie nur aufgeschoben, nicht aber aufgehoben ist und daß der Tag des Herrn unerwartet kommt. Nach seinem eigenen Ausspruch wird der Richter kommen „wie ein Dieb in der Nacht“ (Matth. 24, 43, Luk. 12, 39), der gerade dann erscheint, wenn niemand an ihn denkt.
Nachdem Petrus mit diesem Hinweis auf die Gewissheit des plötzlichen Eintreffens des Richters trotz der zeitlichen Unbestimmtheit den leichtfertigen Behauptungen der Spötter einen vierten Beweis entgegen gestellt hat, schildert er, auf Vers 7 zurück greifend, in einigen kräftigen Strichen das Weltende. Dabei wirkt die Erinnerung an das nach, was Jesus in der großen eschatologischen Rede vom Untergang der Welt voraus gesagt hatte: „die Sterne werden vom Himmel fallen und die Himmelskräfte erschüttert werden“ (Matth. 24, 29 u. Par.). „Himmel und Erde werden vergehen“, erklärt der Herr und verwendet dasselbe Wort wie Petrus (Matth. 5, 18; 24, 35; Luk. 16, 17). Es braucht nur einmal ein großer Komet in die Erdbahn zu geraten, dann wird durch den Zusammenprall zur Wirklichkeit, was Petrus vom Weltenbrand schreibt. Bis zur Atom-Zertrümmerung würden sich die Elemente in Feuersglut auflösen, und nichts bliebe auf Erden erhalten. (siehe den Beitrag: Das gewaltsame Ende der Erde) Das letzte Wort des Satzes ist im Urtext sehr unsicher überliefert. Das am besten bezeugte (heurethēsatai) ergibt kaum einen Sinn, es sei denn dass ein Finden zum Gericht gemeint wäre oder dass ursprünglich eine Verneinung damit verbunden war: „und die Erde mitsamt den Werken, die darauf sind, wird nicht mehr gefunden werden“ (vgl. Offb. 20, 11). So lautet der Text in der sahidischen Übersetzung. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 319 – S. 322