Die fünfte Posaune Höllische Quälgeister

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Apokalypse – Die sieben Posaunen

Die Posaunenvisionen. Kap. 9, Vers 3-6. Die fünfte Posaune. Höllische Quälgeister.

Mit dem Höllenqualm waren lebendige Wesen aus der Tiefe aufgestiegen und boten dem Seher, als sich der Rauch etwas verzogen hatte, den Anblick eines gewaltigen Heuschrecken- Schwarmes. Sie kamen gleichsam aus dem Rauch heraus. Jedem Orientalen ist diese Plage bekannt, und Johannes wird mehr als einmal in seinem langen Leben Zeuger ihrer schrecklichen Verheerungen gewesen sein. In mehreren Einzelzügen ist die Schilderung von 2. Mos. 10, 4ff (ägyptische Plage) und von Joel 1-2 abhängig, geht aber an dichterischer Kraft weit darüber hinaus. Der wesentliche Unterschied beruht darin, daß es sich in den alt-testamentlichen Vorbildern um wirkliche Heuschrecken als Landplage handelt. Hier aber wird die Symbolik immer wieder durch „wie“, „gleich“, „gleichen“ betont. Es sind dämonische Geistwesen, die das Aussehen von Heuschrecken haben. Gott hat ihnen Macht gegeben, Unheil anzurichten, und zwar eine „Macht, wie sie die Skorpione der Erde“ haben. Auch dieser Ausdruck bestätigt, daß keine natürlichen, irdischen Lebewesen gemeint sind. Die Hölle ist losgelassen. Das Bild der Heuschrecken aber dürfte nicht nur deshalb gewählt sein, weil sie zu den am meisten gefürchteten Schädlingen des Orients gehören, die der erzürnte Gott zur Strafe schickt, sondern noch mehr deshalb, weil es kaum Tiere gibt, die in solch unzählbaren Massen über das Land herein brechen. Die Zahl der entfesselten, dem Abgrund entsteigenden Dämonen ist also nicht nur „Legion“ (Luk. 8, 30); ein Millionenheer ist aufgeboten, um den Willen des ewigen Richters zu vollziehen.

Aber den höllischen Quälgeistern ist kein freier Spielraum gelassen, in dem sie sich nach Willkür austoben können. Ihre Schädigungs-Vollmacht wird zunächst quantitativ beschränkt (vgl. 6, 8; 8, 7ff). Gerade das sollen sie verschonen, was sonst den Heuschrecken zum Opfer fällt, die Pflanzenwelt. Wenn hier die Schädigung des Grases verboten wird, vorher aber schon „alles grüne Gras verbrannte“ (8, 7), so wäre das nur dann ein Widerspruch, wenn die Visionen unmittelbar zeitlich aufeinander folgende Ereignisse versinnbildeten, so daß längst kein Gras hätte nachwachsen können. Indem die Heuschrecken Menschen quälen, gleichen sie Skorpionen. Aber auch die Menschen sind ihnen nicht alle ausgeliefert; nur über jene haben sie Vollmacht, die nicht mit dem Siegel Gottes auf der Stirn als auserwählte gezeichnet sind, also über die Gottesfeinde und Christushasser. Hier klingt wieder das Leitmotiv des ganzen Buches vernehmbar durch: Gott wacht über die Seinen. Auch die Dämonen können ohne die Zulassung des Allherrschers ihnen kein Leid antun. Weil aber von den Plagen des Leibes bisher Gute wie Böse betroffen wurden, wenn auch mit verschiedener Endwirkung, so ergibt sich aus der Beschränkung auf die Nichtgesiegelten, daß bei ihrer „Schädigung“ durch die höllischen Plagegeister nicht nur körperliche Schmerzen, sondern zugleich Seelenqualen gemeint sind.

Das bringt einen ganz neuen Zug in die apokalyptischen Heimsuchungen. Mögen die gläubigen Menschen noch so sehr durch Leid und Kreuz, Schmerz und Entbehrung geprüft werden, sie haben doch ein ruhiges Gewissen. Ihr Gottvertrauen mildert die härteste äußere Not. Sie haben gehört, daß der Herr gerade den züchtigt, den er liebt, und jeden schlägt, den er als Sohn annimmt. „Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid, an der alle teilhaben, dann seid ihr unechte Kinder und nicht Söhne“ (Hebr. 12, 8). Dieses Bewusstsein bricht den Dornen des Leidens die Spitze ab und läßt duftende Rosen aus ihnen erblühen. Den Gottlosen aber bohrt sich die Sinnlosigkeit ihrer Leiden und ihres ganzen Lebens und noch mehr die Unruhe des Gewissens wie ein giftiger Stachel ins Fleisch. Je stolzer sie dagegen aufbegehren, um so tiefer dringt er ein. Die Philosophie des Pessimismus, des Weltschmerzes und der verbitterten Resignation hat dort ihre meisten Anhänger, wo das Bewusstsein der Gotteskindschaft und die Zuversicht der Erlösung fehlen. Das schwerste Kreuz lastet auf den Schultern derer, denen Christi Kreuz ein Ärgernis oder eine Torheit ist, vorausgesetzt, daß sie sich um die Hintergründe ihres Lebens überhaupt Gedanken machen. Der Sinn der Vision wird also zu sehr eingeengt, wenn man die Heuschrecken als Verkörperung der entfesselten menschlichen Leidenschaften auffaßt. Es ist zwar ein durchaus biblischer Gedanke, daß Gott die Menschen zur strafe für ihren Unglauben der Sklaverei der Leidenschaften anheim fallen läßt (Röm. 1, 24ff). Aber in der Befriedigung ihrer Triebe und Begierden suchen diese Menschen zunächst ihr Glück; dann erst kommt die Ernüchterung, und es packt sie die Verzweiflung. Die Plage der Heuschrecken dagegen ist von vornherein eine Qual für die Betroffenen.

Nicht nur quantitativ ist die Vollmacht der dämonischen Heuschrecken auf die Nicht-Gesiegelten beschränkt, sondern auch qualitativ und zeitlich. Sie dürfen die Gottesfeinde quälen, aber nicht töten. Eine ähnliche Einschränkung wurde dem Satan auferlegt, als er Job durch Unglück und Krankheit zum Lästern gegen den Herrn verführen wollte (Job 1, 12; 2, 6). Immer noch bedeutet also die strafe keine endgültige Verwerfung. So stark auch ihr Charakter als Strafe hervor tritt, so ist doch der Besserungszweck noch nicht völlig ausgeschlossen wie bei den Höllenstrafen. Fünf Monate lang sollte die Qual dauern. Diese Begrenzung erinnert die Leser von neuem an die Wahrheit, die Johannes in den verschiedensten Wendungen einzuschärfen nicht müde wird: Die Quälgeister kommen zwar aus dem Abgrund, aber sie sind von Gott gesandt und in ihrem Wirken ganz und gar von seiner Zulassung abhängig, mag es auf den ersten Blick dem Menschen noch so sehr vorkommen, als schalteten sie auf Erden ungehemmt und gegen den Willen des Schöpfers. Hinter der Dauer von fünf Monaten darf man nicht zu viel Geheimnisse wittern, am wenigsten nach astralen Zusammenhängen suchen. Fünf Monate dauert im Orient ein Sommer; und eine Heuschrecken-Plage von dieser zeitlichen Ausdehnung gilt als besonders schlimm. Überdies beträgt die Lebensdauer der Heuschrecken etwa fünf Monate.

Einen ganzen Sommer hindurch schutzlos den Quälereien der dämonischen Wesen ausgesetzt zu sein, ist eine fürchterliche Heimsuchung. Um sie einigermaßen ermessen zu lassen, macht Johannes eine nähere Angabe über die Art der durch sie verursachten Pein. Sie gleicht dem Skorpionstich. Der Skorpion, zu den Spinnentieren gehörig, kommt in etwa zweihundert Arten in der heißen und wärmeren Zone aller Erdteile vor. Die scherenförmigen Kiefertasten geben ihm ein krebsähnliches aussehen. Seine Waffe sind zwei am Ende des schwanzartig verlängerten 13gliedrigen Hinterleibs sitzende Giftdrüsen mit einem Stachel. Der Stich des in den Tropen vorkommenden, bis 15 Zentimeter großen Skorpions ist für den Menschen tödlich, während der Stich der kleineren Arten nur sehr schmerzlich ist, etwa einem Wespen- oder Hornissenstich zu vergleichen. Wegen des häufigen Auftretens im vorderen Orient und Mittelmeer-Gebiet wird der Skorpion in der Bibel öfter als Symbol des Schmerzhaften und Unerträglichen verwendet (5. Mos. 8, 15; Ez. 2, 6; Sir. 26, 7 [10]; Luk. 10, 19; 11, 12). Sein Name dient auch zur Bezeichnung eines grausamen Züchtigungs-Instrumentes (3. Kön. 12, 11 u. 14; 2. Chron. 10, 11 u. 14).

Die Schilderung wird prophetisch. Hilflos werden die Menschen ohne Gottessiegel der entsetzlichen Qual ausgeliefert sein. Um ihr zu entgehen, werden sie den Tod suchen, dem sie sonst um jeden Preis zu entfliehen bemüht sind. Aber nun flieht der Tod vor ihnen, so daß selbst der verbissenste Gottesleugner nicht mehr bestreiten kann, daß eine höhere, und zwar eine persönliche Macht am Werk ist. Sogar der Tod gehorcht ihr. Also nicht Reue und Umkehr bewirkt die Plage; sie veranlaßt nur vergebliche Flucht vor der Pein. Der Gedanke, daß der Mensch oft umsonst den Tod herbei sehnt, kehrt in der biblischen und außerbiblischen Literatur öfter wieder (Job 3, 21; Jer. 8, 3; Sibyll. 2, 307; Ovid, Ibis 121; Sophokles, Elektra 1007 u. ö.). Dabei spielt das Schuldgefühl eine wichtige Rolle.

Es wird also eine Zeit kommen, in der die bislang zur Schau getragene Selbstsicherheit der Gottesleugner und Christusfeinde ihr Ende erreicht. Kein stoischer Gleichmut vermag mehr der inneren Unruhe Herr zu werden. Unausstehliche Qualen, und zwar weniger körperlicher als seelischer Art, peinigen den Menschen, und die Gewissensbisse foltern ihn wie giftige Skorpionen-Stiche. Höllische Geister lassen ihn nirgends Ruhe finden. Da aber sein Leben und Streben nur Vergnügen und Genuss zum Ziele hatte, packt ihn der Lebensüberdruss bis zur Verzweiflung. Alles Reden von Selbsterlösung, von aufrechter Mannhaftigkeit im Schmerz und vom starken Durchhalten in schwersten Stunden verliert dann jede Motivkraft, weil es der letzten Begründung entbehrt, die der gläubige Mensch im Gottvertrauen und in der Jenseits-Hoffnung findet. Sogar der Weg zum Selbstmord ist versperrt. Die feige Flucht vor dem Leid mißlingt. Es muss einmal „vor aller Welt deutlich werden, was die Welt auch jetzt schon wissen könnte, wenn sie wollte: daß man ohne Gott und wider Gott nicht in ihr leben kann“ (Hanns Lilje 130), ja nicht einmal sterben. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 136 – S. 139
siehe auch die Beiträge zu: Themenbereich Apokalypse

Category: Apokalypse
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