Apokalypse – Die sieben Posaunen

Die Posaunenvisionen Kap. 8, Vers 7-12. Die vier ersten Posaunensignale

Wie bei den Siegelöffnungen (6, 1-8) sind die vier ersten Posaunen-Signale zu einer Einheit verbunden. Ob die angekündigten Natur-Katastrophen zeitlich zusammen fallen oder in Abständen aufeinander folgen, wird nicht gesagt. Die Gliederung ist nicht zeitlich, sondern gegenständlich bedingt. Land und Meer, Flüsse, Quellen und Sterne werden betroffen, aber jedesmal nur zu einem Drittel. Mathematische Genauigkeit ist dabei keineswegs beabsichtigt. Noch ist nicht alles verloren. Den Sündern bleibt noch Zeit zur Einkehr und Umkehr. Ihrer Dauer nach erstrecken sich die Plagen der Posaunen-Vision wohl über die ganze Endzeit. Erst nach dem siebten Signal kommt das Weltende (11, 15-18).

Aber jede Posaune ruft den Guten das Wort des Herrn in Erinnerung: „Wenn das alles zu geschehen beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung naht“ (Luk. 21, 28). Den Sündern aber meldet die Posaune, daß ein gerechter Gott im Himmel lebt, der sich nicht ungestraft beleidigen läßt. Die Schrecknisse sind gegenüber den früheren gesteigert und nicht mehr aus rein natürlichen Ursachen zu erklären. Sie erinnern an Sodomas Untergang (1. Mos. 19, 24) und an die ägyptischen Plagen (2. Mos. 7-12). Auch diese waren ja Strafmittel und Warnungszeichen zugleich für den Pharao. Als siebte Plage brachen dort Hagelwetter los (2. Mos. 9, 23ff). Hier kommt Blut hinzu. Zunächst werden die Menschen nicht unmittelbar getroffen, sind aber ins Unheil hinein gezogen; denn um ihrer Schuld willen bricht das Unglück herein. Dreimal wird etwas vom Himmel geworfen und bewirkt die Plage: ein Hinweis darauf, daß der gerechte Gott um all das weiß und es selbst herbei führt (vgl. 8, 5).

In Feld, Wald und Wiese richten Hagel und die Glut Verheerung an. Die früher gewährte Schonzeit ist also abgelaufen (7, 1). Wenn in anhaltendem Sonnenbrand ein Drittel aller Vegetation verdorrt oder wenn Waldbrände und Hagelwetter wüten, wird ein denkender Mensch inne, daß es keine Selbstverständlichkeit ist, wenn ihm die Natur den Lebensunterhalt liefert, ohne daß er dem Schöpfer Dank dafür zollt. Die noch nicht völlig Verstockten gehen bei solchen Heimsuchungen in sich, die andern dagegen trotzen weiter; es gibt ja Versicherungen gegen Feuer, Hagel und Flurschaden! Wenn in den Bergen „roter Schnee“ fällt oder im Süden roter Sand aus der Wüste als „Blutregen“ herüber geweht wird, fürchtet das gläubige Volk kommendes Unheil. Auch die Sybille bringt den Regen von Feuer und Blut mit den furchtbaren Kriegen der Endzeit in Verbindung (5, 376 bis 378). Es ist darum sehr unwahrscheinlich, daß die Erinnerung an den schlimmen Ausbruch des Vesuv im Jahre 79 n. Chr. Mit seinen grauenhaften Verheerungen auf die Gestaltung dieser Vision bei Johannes eingewirkt habe. Erst recht widerspricht es ihrem Sinn, die Erfüllung in bestimmten geschichtlichen Ereignissen oder Perioden zu suchen. Sie bedeutet vielmehr: „Es wird ein Verderben, eine Verheerung über die Erde, die Bäume, das Gras, also über notwendige Existenz-Quellen von Menschen und Vieh kommen, wie wenn durch derartigen Hagel ein Drittel von allem verbrannt würde. Und göttliche Gerichtspotenzen, Kräfte des Verderbens, über welche der Allmächtige verfügt und welche mit wunderbarer Gewalt wirken, werden das zustande bringen“ (Robert Kübel, Die Offenbarung Johannis, München 1893, 128)

Das Echo des zweiten Signals erinnert an die erste ägyptische Plage (2.MOs. 7, 20ff), ist jedoch furchtbarer als diese. Nicht ein eigentlicher Berg wird ins Meer geschleudert, sondern etwas, das wie ein großer Feuer glühender Berg aussieht, also eine bergeshohe glühende Masse. Da von einem in den Fluten versinkenden Vulkan nicht ein Drittel des Meeres zu Blut würde, ist nicht an ein Ereignis solcher Art zu denken (vgl. 16, 3). Kein Lebewesen vermag in diesem Teil des kochenden und seine Natur ändernden Meerwassers weiter zu existieren, und infolge der herab stürzenden Feuermasse verschlingen di hoch gehenden Wogen ein Drittel aller Schiffe, so daß auch die Wirtschaft schweren Schaden erleidet…

Vom Wasser und vom Licht ist alles Wachstum und Leben auf Erden abhängig. Diese beiden Elemente werden nach dem dritten und vierten Posaunen-Signal erfaßt (Vers 10-12, vgl. 16, 4-9). Nicht im Herabfallen eines einzelnen Sternes wirkt sich die Plage aus. Das wäre nach 6, 13 keine Steigerung. Die Plage wird vielmehr erst durch die giftigen Stoffe des zerberstenden und zerstäubenden Sterns, eines Kometen oder gewaltigen Meteors, verursacht, nämlich die Vergiftung eines Drittels des Fluss- und Quellwassers. Hier wird ganz klar, daß wir bei der Erklärung visionärer Bilder nicht schulmeisterlich nach der Wirklichkeit oder naturgesetzlichen Möglichkeit zu fragen haben. Der Seher will uns weder über Kosmologie oder Astronomie noch über Chemie und Kräuterkunde belehren. Auch er wird gewußt haben, daß Wermut kein Gift ist, an dessen Genuss man stirbt. Nur die bittere und tödliche Wirkung soll symbolisiert werden (2. Mos. 15, 23f; Jer. 9, 23, 15; Klagel. 3, 19). Esdr. 5, 9 wird es ebenfalls als Zeichen der Endzeit verkündet, daß „im süßen Wasser sich salziges findet“, während nach Ez. 47, 8 durch den vom Heiligtum ausgehenden Strom sogar das Wasser des Toten Meeres gesund wird. Man braucht deshalb nicht wie 9, 1 eine Personifizierung des Sterns zu einem Engel anzunehmen, der die schädliche Wirkung des Fluss- und Quellwassers verursacht. Eher könnte an den alten Volksglauben erinnert werden, daß die von der Erde aufsteigenden Dünste und Miasmen durch die Sterne aufgesogen werden und von diesen als Krankheits-Erreger zur Erde zurück kommen. Die seit dem 18. Jahrhundert übliche Bezeichnung „Influenza“ für Grippe-Erkrankung hängt nach der Ansicht mancher mit dieser Vorstellung zusammen. Indes ist eine Personifizierung des Sterns nicht ganz ausgeschlossen, da im Hellenismus die Sterne als beseelte Wesen gedacht wurden. Daher der Sternenkult.

Nun werden beim vierten Posaunenstoß die Geschöpfe des vierten Schöpfungstages ins Unheil hinein gezogen. Gott „schlägt“ Sonne, Mond und Sterne, so daß ihr Licht am Tage oder in der Nacht um ein Drittel seiner Dauer verkürzt oder aber die Leuchtkraft entsprechend vermindert wird, wie wenn eine elektrische Lampe von 60 „Kerzen“ nur mehr 40 „Kerzen“ Licht spendet. Der Anklang an die neunte ägyptische Plage (2. Mos. 10, 21ff) und an Matth. 24, 29 sowie Luk. 21, 25 ist deutlich (vgl. 6, 12). Solches Nachlassen des Lichtes wirkt beängstigend auf Menschen und Tiere. Der Ausdruck „trübe Zeiten“ kennzeichnet die allgemeine Auswirkung der Plage. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 130 – S. 133
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