Der 2. Petrusbrief
Der zweite Petrusbrief (Kap. 2, Vers 3b-10a): Das drohende Gericht an drei Beispielen
Petrus hat eben kurz darauf hingewiesen, dass die falschen Lehrer durch ihre freche und undankbare Verleugnung Christi sich ein jähes Verderben bereiten (2, 1). Auf diesen ernsten Gerichtsgedanken kommt er zurück. Er will die Wankenden im Glauben stützen und die Anhänger der Irrlehrer zur kirchlichen Einheit zurück führen, indem er ihnen das drohende Gottesgericht über die Libertinisten vor Augen stellt. Das Urteil ist längst gefällt. Es wird bildhaft wie ein persönliches Wesen aufgefaßt, das seit langem am Wirken ist, wie sich die Alten die Nemesis als Rächerin des Frevels dachten. Gleich einem lauernden Ungeheuer wird sich auf den Wink des gerechten Gottes hin das Verderben auf die falschen Lehrer und ihren Anhang stürzen.
Nun führt der Apostel an drei Beispielen aus der Geschichte des Alten Testamentes den Nachweis, daß Gottes Gerechtigkeit die Frevler ereilt. Es sind uralte Menschheits-Erinnerungen, auf die er anspielt. Trotz der offensichtlichen Anlehnung an den Judasbrief (5-7) wahrt Petrus seine Selbständigkeit, indem er die Beispiele nach der zeitlichen Abfolge ordnet und statt des Wüstenzuges die Sintflut wählt. Aus dem dreifach gegliederten Vordersatz wird erst im neunten Vers die Folgerung gezogen. Dieses einfache stilistische Mittel erhöhte die Spannung der Hörer, wenn der Brief verlesen wurde.
Die Erklärungen zu dem entsprechenden Abschnitt im Judasbrief mögen, damit Wiederholungen erspart bleiben, neben dem hier Gesagten heran gezogen werden. Nach strenger Gerechtigkeit verfuhr Gott mit den sündig gewordenen Engeln, die er so hoch erhoben hatte. Er hat sie in die finsteren Abgründe des Tartarus hinab gestoßen, oder wie eine andere Lesart des Textes besagt: „Er hat sie in den Tartarus hinab gestoßen und sie den Banden dichter Finsternis übergeben.“ Aus den strahlenden seligen Geistern des Himmels sind teuflische Bewohner der Hölle geworden. Wie Sträflinge müssen sie dort das Endgericht abwarten. Dann wird vor aller Welt ihre ewige Verstoßung in die Qual des Feuers und der Gottesferne verkündet werden, mögen die Dämonen bis dahin auch noch so sehr die Getreuen Gottes verfolgen unter ihrem Anführer, dem „Fürsten dieser Welt“. Wenn also der gerechte Gott „nicht einmal die Engel verschont hat“, die doch seine Lieblinge waren, ehe sie sündigten, was für eine Strafe wird dann die frevelnden Menschen ereilen!
Spielte sich das erste Strafgericht im Reich der Geister ab, so war die sündige Erde Schauplatz des zweiten. Es brach herein über die „alte Welt“, die als „die Welt der Gottlosen“ gekennzeichnet ist. Aus den Wassern der Sintflut stieg gleichsam eine neue, eine entsühnte Welt empor. Die Bewohner der alten Welt kümmerten sich einst, ähnlich wie jetzt die Irrlehrer in den Gemeinden der Christen, um kein Gottesgesetz. „Die Verkommenheit der Menschen war groß und alles Sinnen und Trachten ihres Herzens nur auf das Böse gerichtet“ (1. Mos. 6, 5). Vergeblich trat Noe durch sein Beispiel und sein Wort als Herold der Gerechtigkeit auf (1. Mos. 6, 9; 1. Petr. 3, 20). Darum beschloss der Herr, die Menschen samt der Erde zu vertilgen. Nur Noe mit seiner Frau, seinen drei Söhnen und deren Frauen, er also als achter, fanden Gnade vor Gott und wurden in der Arche gerettet.
Ausführlicher als die beiden ersten behandelt Petrus das dritte Strafurteil des gerechten Gottes über die Gesetzesverächter. Die Städte Sodoma und Gomorrha hat ja der Herr selbst „zum warnenden Beispiel für künftige Frevel hingestellt“. Als solches hat es auch das Weisheitsbuch verwendet (Weish. 10, 6), und Christus brachte das kommende Gericht über Kapharnaum mit der über Sodoma und Gomorrha verhängten Züchtigung in Vergleich (Matth. 11, 23f). Er hat ebenfalls die Vernichtung dieser lasterhaften Städte als abschreckendes Beispiel neben die Sintflut gestellt (Luk. 17, 26ff), und zwar, was nicht unwichtig ist, im Zusammenhang mit seiner Parusie, über die sich die Irrlehrer, gegen die Petrus sich wendet, lustig machen. Die Erinnerung an die Worte des Meisters scheint dem Apostel vorzuschweben.
In dem furchtbaren Verhängnis, das über die zuchtlosen Bewohner der Pentapolis herein brach, ist das Gericht Lots tröstlich und mahnend zugleich. Wie Noe so blieb auch er inmitten der lasterhaften Umgebung rechtschaffen und wurde deshalb wunderbar gerettet. Lots Frau und Töchter werden aus nahe liegenden Gründen hier nicht erwähnt. Sie habend as Lob, gerecht zu sein, das Lot gespendet wird, nicht verdient (1. Mos. 18, 23ff; 19, 26 u. 31ff; Weish. 10, 6). Für den Gerechten aber war es eine harte Qual, unter den zuchtlosen Sodomiten leben zu müssen, die ihn zudem noch als Fremden und Andersdenkenden nicht leiden mochten (1. Mos. 19, 9). Das schamlose Treiben spielte sich öffentlich ab, so daß Lot Tag für Tag scheußliche Verbrechen sehen und hören musste, die „seine gerechte Seele marterten“. Reine Seelen leiden darunter mehr als unter den schlimmsten physischen Qualen. Mit Auge und Ohr wahrnehmen zu müssen, wie Gott schwer beleidigt wird und wie die Sünder blindlings ins ewige Verderben rennen, packt sie so, daß sie klagend bekennen: „Wasserbäche entströmen meinen Augen um jener willen, die dein Gesetz nicht halten“ (Ps. 119 [118], 136). Jesus, der selbst über Jerusalems Sünde und Verstocktheit weinte (Luk. 19, 41), hat solche Trauer selig gepriesen (Matth. 5, 4; Luk. 6, 21), über die frivol Lachenden dagegen ein Wehe ausgerufen (Luk. 6, 25).
Wie Paulus die Korinther auf Tatsachen aus dem Alten Testament hinwies und dann fortfuhr: „Diese Ereignisse sind ein Vorbild für uns geworden“ (1. Kor. 10, 6), so zieht nun Petrus eine für die Christen ermutigende, für die Falschlehrer und ihre Nachläufer dagegen warnende Folgerung aus den angeführten Beispielen. Gott kennt Mittel und Wege, um die Seinen auch in den größten Gefahren unversehrt zu behüten. Es ist ein tiefes Geheimnis, wie zuweilen aus sittlich scheinbar bis in die letzte Wurzel verdorbenen Familien Seelen voll strahlender Reinheit erblühen gleich Lilien aus einem Sumpf, und wie Menschen völlig unberührt durch die schlimmsten Gefahren hindurch schreiten, als seien sie gar nicht aus dem gleichen Fleisch und Blut wie die anderen, während umgekehrt manchmal aus den vorbildlichsten Familien Menschen hervor gehen, denen jeder moralische Halt fehlt. Es sind Ausnahmen, den Mitmenschen zur Warnung, damit, wer festzustehen meint, zusehe, daß er nicht falle (1. Kor. 10, 12).
Die Leser des Briefes brauchen also nicht zu verzagen, sollen sich auch nicht irre machen lassen, wenn die Gesetzesübertreter unter ihnen scheinbar ungestraft bleiben. Gott bewahrt sie nur für den Gerichtstag auf, um sie dann öffentlich zu verurteilen und der verdienten Züchtigung zu überantworten (vgl. Matth. 13, 30 u. 41). Das gilt namentlich für die Unzüchtigen und die frechen Verächter der Herrschermacht Christi, die sich bei der Parusie am herrlichsten offenbaren wird (2, 1). In der Befriedigung ihrer fleischlichen Triebe sehen sie den Hauptinhalt ihres Daseins und laufen, wie es in eindeutigem Realismus wörtlich heißt, „in Begierde nach Befleckung dem Fleisch nach“. Da aber Gottes und Christi Gebot ein so Menschen unwürdiges Treiben verbieten, kümmern sie sich voll Verachtung nicht um diese Herrschaft. Hiermit deckt Petrus den psychologischen Grund dafür auf, daß in dekadenten Zeiten alle jene verachtet und verspottet oder gar beseitigt werden, deren Aufgabe es ist, Gottes Rechte zu wahren und das Sittengesetz zu verkünden. Ihr bloßer Anblick bedeutet für die Libertinisten und Antinomisten einen Vorwurf und verursacht ihnen Gewissensbisse (Weish. 2, 12ff). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 306 – S. 309