Der 2. Petrusbrief
Der zweite Petrusbrief (Kap. 2, Vers 1-3a): Die Ankündigung der Irrlehrer
Der Apostel hat von seiner Pflicht gesprochen, die Empfänger an die Gnade ihrer Berufung zu erinnern und sie zu einem echt christlichen Lebenswandel zu ermuntern (1, 12ff). Dadurch werden sie sich den Eingang ins Reich Christi sichern bei dessen machtvoller Ankunft. Petrus weiß aber auch von Leuten, die gegen die Enderwartung arbeiten und die Lehre darüber als ausgeklügelte Fabeln hinstellen. Diese gefährlichen Feinde unschädlich zu machen, ist der Hauptzweck des Briefes. Nachdem deshalb von den wahren Propheten und ihrer hohen Stellung die Rede war, greift der Verfasser auf die frühere Andeutung zurück und widmet dem Treiben der Irrlehrer und ihrem Gericht ein ganzes Kapitel, um dann im letzten Kapitel wieder von der Parusie zu sprechen. Das Mittelstück des Briefes fügt sich also ohne Zwang in den Gedankengang des Briefes ein und bildet keinen Fremdkörper darin.
Zuerst kündigt Petrus das Auftreten der falschen Lehrer an (2, 1-3a). Dann spricht er von dem Gottesgericht, das ihrer erwartet (2, 3b-10a), schildert ihr Lasterleben (2, 10b-19) und warnt ernstlich vor dem Abfall (2, 20-22).
Vom Geist Gottes getriebene Männer haben zum Gottesvolk des Alten Bundes geredet und ihm die Offenbarungen des Herrn übermittelt. Zum Gottesvolk des Neuen Bundes hat Gott die Apostel als Zeugen der Wahrheit gesandt. Nun waren aber in Israel auch falsche Propheten aufgetreten und hatten Verwirrung und Unheil angerichtet. Wiederholt wurde das Volk vor ihnen gewarnt (5. Mos. 13, 2ff; Is. 28, 7; Jer. 7, 8; 8, 10; 23, 13ff; Klagel. 2, 14; Ez. 13, 8 u. ö.). Im neuen Gottesreich werden ebenfalls falsche Lehrer ihr Unwesen treiben. Daß Lügenpropheten kommen und viele verführen würden, hatte Christus selbst voraus gesagt und die Seinen aufgefordert, sich vor ihnen zu hüten (Matth. 7, 15; 24, 11 u. 24 u. Par.). Sind sie auch anderswo damals bereits an der Arbeit gewesen, wie es der Judasbrief voraus setzt, so konnte Petrus doch ihr schlimmes Wirken unter den Lesern als zukünftig hinstellen, es aber auch wiederum gegenwärtig sehen; und das um so mehr, als es mit der Parusie-Erwartung im Zusammenhang stand, die zwar auf die Zukunft gerichtet ist, aber für jede Generation Gegenwarts-Bedeutung behält. Die Gefahr war also schon unterwegs.
Die falschen Lehrer gehen schlau zu Werke. Indem sie sich als Lehrer der Wahrheit aufspielen, aber ein Leben führen, das sich mit dem von den Aposteln verkündeten Glauben nicht vereinbaren läßt, schmuggeln sie gleich Falschmünzern, die gefälschtes, dem echten ähnliches Geld heimlich in Umlauf setzen, „Sonderrichtungen“, Parteiungen, Gruppenbildungen ein und zerstören die Einheit der Gemeinden. Sie gehen so weit, daß sie sogar Christus verleugnen, den Herrn und Gebieter, der sie durchs ein Blut von der Sünde und der Knechtschaft des Teufels erkauft und sich zu eigen erworben hat. Würden sie das als Lehre aussprechen, Christus sei nicht der Herr, so wären sie leicht durchschaut; aber die Hauptsätze der Verkündigung rühren sie nicht an, praktisch dagegen kümmern sie sich in ihrem Libertinismus und Antinomismus nicht um Christi Gesetz. Wenn darum unerwartet wie ein Dieb in der Nacht der Herr zum Gericht erscheint, wird das Verderben jäh über sie herein brechen, das sie sich selbst bereitet haben (Offb. 6, 15 bis 17).
Das schlechte Beispiel der Irrlehrer wirkt ansteckend. Die getreu nach dem Gesetz Christi Lebenden erschienen als eng, kleinlich und rückständig, als Menschen, die nicht erfaßt haben, was alles „die Freiheit der Kinder Gottes“ dem „fortgeschrittenen“ Christen erlaubt. Und weil viele kaum etwas so sehr fürchten wie den Vorwurf der Rückständigkeit, weil überdies das Böse den gefallenen Menschen mehr lockt als das Gute, schließen sich zahlreiche den Libertinisten an und führen wie diese ein Leben der sittlichen Ungebundenheit in Sinnenlust und Ausschweifungen mannigfacher Art. Das beobachten die Außenstehenden, weisen mit den Fingern auf die Verführten und ihre Verführer, die ja nach außen den Verband mit der christlichen Gemeinde nicht gelöst haben, und sagen voll Abscheu: Seht, so sind die Christen! „Der Weg der Wahrheit“, das heißt die christliche Religion (Apg. 9, 2; 19, 9 u. 23; 22, 4; 24, 14 u. 22), wird deshalb gelästert, als würden die Christen durch sie zur Sittenlosigkeit erzogen. „Wahrheit“ hat hier nicht nur einen logischen Sinn als rechte Lehre; der Begriff ist zugleich ontologisch und ethisch zu fassen, wie es besonders beim Evangelisten Johannes geschieht. Wahrheit ist also die ganze Wirklichkeit des christlichen Seins, Lebens und Wandels, ausströmend aus dem ewigen Logos und zurück flutend in ihn, der allein „der Weg , die Wahrheit und das Leben“ ist. Diese Wahrheit erkennen, heißt nach dem heiligen Thomas, dem Erkannten verähnlicht werden. Wer „den Weg der Wahrheit lästert“, schmäht also Christus (vgl. 2, 20f); die schlechten Christen aber tragen durch ihr Ärgernis erregendes Leben die Schuld daran. Damals wie heute war dieses Ärgernis ein schlimmes Hindernis für die Ausbreitung des Christentums. Wenn die „Wilden“ den Missionar auf das schlechte Leben manches Christen hinwiesen und mit Recht sagen können, sie selbst seien bessere Menschen, wird die Bekehrung sehr schwer. Die Bibel spricht oft von diesem verderblichen Einfluss des Ärgernisses (Is. 52, 5; Ez. 36, 20; Röm. 2, 23f; 1. Kor. 6, 6; 1. Tim. 6, 1; Tit. 2, 5).
An Eifer fehlt es den falschen Lehrern nicht, wie ja oft mehr Regsamkeit zur Verbreitung des Irrtums als der Wahrheit aufgewendet wird; aber der Eifer ist nicht selbstlos. Die Wolle und die Milch sind diesen Mietlingen lieber als die Schafe; um das Weiden geht es ihnen weniger als um das Schlachten (Joh. 10, 10 u. 13). Sie verstehen es, mit scheinheiligen, unehrlichen, eigentlich „fein gedrechselten“ Worten Anhänger zu gewinnen. Wie umher ziehende Kaufleute, die ihre Schundware so geschickt anzupreisen wissen, daß der Käufer sie als echt erwirbt und zu spät merkt, wie er betrogen worden ist. Das ausschweifende Leben kostet viel Geld, und die Irrlehrer sind deshalb darauf aus, möglichst viel Gewinn aus den betörten Christen heraus zu locken. Sie scheuen sich nicht, zu diesem Zweck den frommen Mantel um die Schultern zu legen (Ez. 34, 2ff; Matth. 23, 14f; 2. Tim. 3, 6; Tit. 1, 10f). Den echten Lehrer und wahren Christen dagegen erkennt man an seiner Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit (Matth. 10, 8; 1. Kor. 9, 18; 2. Kor. 11, 7; 1. Petr. 5, 2; Didache 11, 5ff; Hermas, Mand. 11, 12). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 304 – S. 306