Die Freimaurerei zerstört das Papsttum

Drohende Gefahr der universalen Religionsbruderschaft

Eine der vernünftigsten Schriften über die Freimaurerei, die aus dem Schoße der Freimaurerei selber hervorgegangen ist, das Buch von Otto Neumann, gibt uns darüber mit der größten Unbefangenheit Aufschluss. Hier wird der wahre Geist und das eigentliche Ziel des Freimaurertums in einer Weise geschildert, daß wir vollständig zufrieden gestellt sein können. Ob das Buch alles sage, insbesondere ob es die politische Tätigkeit der Loge der Wahrheit gemäß darstelle, das ist eine andere Frage. Darauf kommt es uns aber auch an diesem Orte nicht an. Der Haupteinfluss des geheimen Sektentums ist ja doch zweifellos auf dem geistigen Gebiete zu suchen. Und hierüber erhalten wir die schätzenswertesten Mitteilungen.

Die Freimaurerei, sagt Neumann, beginnt innerlich mit der Reformation; sie ist innerlich das ganz, was der Protestantismus halb ist. Sie ist ihrem ganzen Wesen nach dem Katholizismus gerade entgegengesetzt. Ihr innerer Inhalt hält Schritt mit dem Zeitgeist, darum ist sie ein Spiegel des Zeitgeistes.
Erst der Sturz der mittelalterlichen Weltanschauung konnte den Gedanken Raum geben, die das Freimaurertum vertrat. Daß sie gerade in England entstand, hatte seine guten Gründe. Dort war ein tiefes Sehnen vorhanden nach der Erlösung vom Joche kirchlicher Tradition und nach freiem Menschentum. So gab sich von selbst „der Zusammentritt anständiger Leute zu einem Verein, der unabhängig war von allen kirchlichen und politischen Parteien.“
Man hielt es deshalb für das beste, „sie bloß zu der Religion zu verpflichten, in welcher alle Menschen übereinstimmen“, sonst aber jedem seine besondere Meinung zu belassen. „Strittig ist bis auf den heutigen Tag, wie das Wort Religion aufzufassen sei.“ Es ist aber anzunehmen, „daß der Gedanke einer Humanitätsreligion der grundlegende gewesen ist. In der Tat enthielten die Alten Pflichten keinen spezifisch-christlichen Gedanken.“ Daneben ist sicher, „daß der freimaurerische Gedanke der der Versöhnung ist; nach der einen Auffassung Versöhnung der christlichen, nach der andern Versöhnung aller Bekenntnisse“. Ein Gebet vom Jahre 1757 anerkennt alle Maurer als Brüder, sie seien Christen, Juden oder Mohammedaner. Dies ihr ursprünglicher Geist. Bei der Ausdehnung über die ganze Erde ergaben sich natürlich manche Änderungen, zeitweilig auch Verdunkelungen. Im ganzen aber blieb es stets beim alten.

Bei der Ausbreitung in Deutschland war es vornehmlich Kant, der die Blütezeit der Freimaurerei einleitete; er ist noch heute in Geltung. Die sog. Positive Religion galt nur insofern, als sie im Sinne der Moralreligion umzudeuten war. In diesem Stücke wurde der Begriff Humanität, so, wie ihn Herder gedeutet hatte, zum Wegweiser gemacht. Hier wie anderswo erhoben sich eine Menge von Geheimgesellschaften, die zwar nicht mit der Freimaurerei identisch waren, aber doch die gleichen Ziele verfolgten, Glaubensfreiheit, „Kampf gegen die Tyrannei des Papismus und des protestantischen Orthodoxismus, Kampf für das Recht des Individuums und seine Denk- und Gewissensfreiheit, Kampf gegen den Scholastizismus, Kampf für das Recht der freien wissenschaftlichen Forschung, Kampf gegen die Zersplitterung zunächst der Christenheit durch die konfessionelle Engherzigkeit und Beschränktheit, Kampf für die Einheit der Christenheit, ja sogar der gesamten Menschheit.“

Auf diesem Wege wurde die „Kulturaufgabe der Freimaurer“ der „Bau der Menschheit“. Diese Aufgabe wurde gefördert durch die „Erneuerung der Religion“. In welchem Sinne dies geschah, hat Schiller, der zwar selbst nicht Freimaurer war, am besten ausgedrückt mit den bekannten Worten: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, die du mir nennst. Und warum keine? Aus Religion.“ „Die Religion, welche das Freimaurertum empfand, war echte, reine Herzensreligion, nicht Staatsreligion, nicht Orthodoxie, sondern Bekenntnis des lediglich an Gott gebundenen Gewissens.“ „Daher kam es, daß die freimaurerische Religion als eine allen Menschen gemeinsame in eine gewisse Opposition zu allem Kirchlich-Religiösen gelangen musste.“ Im einzelnen gibt es natürlich überall Verschiedenheiten. Eines ist aber allenthalben gleich, der „allumfassende und geistig unbegrenzte humanistische Gedanke.“
„Der Bund stellt sich auf den Standpunkt des keine Konfession ausschließenden, aber allen Konfessionalismus überwindenden Humanitätsprinzips.“
„Die Freimaurerei, darüber herrscht Einigkeit unter den Freimaurern des Erdenrundes, ist eine Verbrüderung, geschlossen zur Ehre Gottes“ usw. Das ist aber recht zu verstehen. In den Großlogen, welche am „Christentum“ festhalten, versteht man unter Christentum nicht bestimmte Glaubensartikel und Satzungen, „sondern die Lehre Christi selbst, nicht eingeengt durch kirchliche Dogmen“. In den übrigen strebt man nach Kulturfortschritt im humanitär-christlichen Sinne. Überall jedoch hat man im Auge die „Wegräumung der Gegensätze zwischen Völkern, Staaten, Religionsgemeinschaften, Ständen und sozialen Gemeinschaften in freie Menschenliebe“. „Im Religionsgedanken herrscht Einigkeit insofern, als das Freimaurertum seine Mitglieder nur zu der Religion verpflichtet, in der alle Menschen übereinstimmen.“ Die Freimaurerei „greift keine Bekenntnisreligion an, sie einigt sich aber in dem, was allen Bekenntnissen gemeinsam ist.“ „Und so liegt in der Tat im Ziel des Freimaurertums der Einigungsgedanke wirksam begründet.“ Nur darf das nicht so ausgelegt werden, als ob es eine besondere Religion einführen oder vorschreiben wollte. „Die Weltmaurerei hat mit der ihr fälschlich untergelegten Weltreligion nichts zu tun; diesen nebelhaften Utopismus besitzt sie nicht, weil die Maurerei überhaupt keine Religionsgemeinschaft ist. Die Menschheits-Verbrüderung, die Idee von einem Hirten und einer Herde ist eine Utopie, und mit Utopien befaßt sich die Freimaurerei nicht.“ Eine Bruderschaft will sie wohl sein, nur keine auf Grund irgend einer bestimmten Religion, namentlich keines Glaubens-Bekenntnisses. Nicht eine neue allgemeine Religion strebt sie an, sondern Aufhebung aller Religionen. „Wir fassen den Religionsbegriff nicht dogmatisch auf.“ „Nicht in der dogmatischen Fessel, sondern in der Freiheit des Gedankens“ liegt die Kulturaufgabe der Freimaurerei, wenigstens der deutschen. Diese „nähert sich den Begriffen einer liberalen Theologie“. „Der Gedanke der Weiterentwicklung, der Evolution, vor allem auf religiösem Gebiete, gehört zu des Freimaurers ureigenstem Arbeitsgebiet.“ Das Bewusstsein von dieser Aufgabe bringt es mit sich, daß die Freimaurerei bereitwillig mitarbeitet „an der Weiterentwicklung der Religion und an der Versöhnung der Konfessionen“.

Obwohl an dieser ganzen Darstellung ein Wort zu ändern wäre, wenn man überall statt des Wortes „Freimaurerei“ das Wort „moderne Weltanschauung“ oder das Wort „Modernismus“ – Modernismus im vollen Sinne und mit bewußter Konsequenz – einsetzen würde? Nach unserer Überzeugung keineswegs.
Wenn es aber wahr ist, daß die Freimaurerei sich nicht mit Utopien abgibt, dann ist es auch keine Utopie zu glauben, daß die moderne Weltanschauung oder der Modernismus mit unabweisbarer Konsequenz auf jenes Ziel hinarbeitet, das die Freimaurerei im Auge hat, die allgemeine Bruderschaft auf Grund jener Religion, die allen Menschen gemein ist. Der Unterschied ist nur der, daß die Freimaurerei weiß, was sie will, während die Vertreter des Modernismus wohl der Mehrzahl nach unbewußt Handlanger-Dienste leisten zur Erreichung von Zwecken, die sie nicht kennen, an die sie wahrscheinlich weder denken noch glauben.

Daß es sich aber nicht um Utopien handelt, sondern daß die Erreichung dieses Zieles zum Teil schon gelungen ist, dafür haben wir Beweise genug. In der „Christlichen Welt“ teilt Haas eine buddhistische Predigt aus Japan mit, von der er selber sagt, sie möge heimische Leser beinahe anmuten wie protestantisches Christentum, selbstverständlich nicht „orthodoxes“, sondern modernes protestantisches Christentum. Sie mutet einen auch an wie eine modernistische wissenschaftliche Erklärung über das Wesen des Christentums. Sie wäre auch gar nicht am unrechten Platz, wenn sie in einer Sammlung von Erbauungsreden aus der Freimaurerloge stünde. Man fände sie auch nicht unangebracht, wenn man sie gedruckt läse als Rektoratsrede, die ein Professor der protestantischen Theologie an einer deutschen Universität gehalten hätte. Japanische Buddhisten und indische Brahmanisten können sich bereits ganz gut auf sog. christlichen Kanzeln in Europa und in Amerika hören lassen, und Inder und Japaner würden kaum in ihren Gefühlen verletzt werden, wenn ihnen ein Unitarier oder ein Methodist oder ein monistischer Domprediger aus Bremen sein Wort Gottes verkündigen würde. Die Mohammedaner haben sich noch geweigert, den Kongress in Chicago zu beschicken, die Jungtürken würden sich kaum mehr fernhalten. Inzwischen schreibt der zum Islam übergetretene Mohammed Adil Schmitz du Moulin Buch um Buch, um uns zu überzeugen, daß der Geist des modernistisch erklärten Mohammedanismus durchaus derselbe ist wie der Geist des modernistisch erklärten Christentums, und wir möchten den sehen, der das zu leugnen vermöchte. Der Übergang vom Modernismus zur allgemeinen Religions-Bruderschaft ist eine höchst einfache Sache, er ist, um mit einem modernistischen Ausdruck zu sprechen, nur die „Weiterentwicklung der Religion“. (Alle Zitate aus: Neumann, Das Freimaurertum) –
aus: Albert Maria Weiß O.Pr., Lebens- und Gewissensfragen der Gegenwart 1911, Bd. 1, S. 257-263