Hl. Johannes, Apostel und Evangelist
Einleitung zum Evangelium des heiligen Johannes
Johannes war der Sohn des Zebedäus, eines Fischers in Galiläa, und der Salome (Matth. 4, 21; 10, 3; 20, 20); Mark. 15, 40), der Bruder des Jakobus, des Älteren (Matth. 10, 3). Er folgte dem Ruf Jesu (Matth. 4, 21. Vergl. Luk. 5, 10), ward dessen beständiger Begleiter als Apostel, und gehörte mit Petrus und Jakobus zu seinen vertrautesten Jüngern (Mark. 5, 37; Matth. 17, 1; 26, 37). Der Herr liebte ihn vor den übrigen Aposteln und gab ihm die zärtlichsten, äußerlichen Beweise davon dadurch, daß er ihn an seiner Brust ruhen ließ (Kap. 13, 23 u. 25), und ihm sterbend noch seine geliebte Mutter zur zeitlichen Fürsorge anempfahl (Kap. 19, 26). Dieser besonderen Liebeserweise wegen nannte sich Johannes selbst in dankbarer Erinnerung den Jünger, den Jesus lieb hatte (Kap. 19, 26), so wie er auch hinwiederum durch seine Liebe zu dem Herrn sich auszeichnete; denn, wenn Petrus feuriger und tätiger liebte (Kap. 21, 15), so scheint die Liebe des Johannes inniger und treuer gewesen zu sein, indem er unter allen Jüngern der Einzige war, der den Herrn auch in seinen Leiden nicht verließ, und ihm bis unter das Kreuz nachfolgte (Kap. 19, 26).
Nach der Himmelfahrt Jesu war er mit Petrus eine Säule (Gal. 2, 9) zur Verbreitung des Evangeliums in Palästina. In die entfernteren Provinzen des römischen Reiches, insbesondere nach Kleinasien, scheint er erst später sich begeben zu haben. Gewiss ist, daß er nach dem Tod der heiligen Apostel Petrus und Paulus (66 n. Chr.) seinen bleibenden Wohnsitz zu Ephesus in Kleinasien aufschlug. Daselbst übte er die oberhirtliche Aufsicht über die Kirchen Kleinasiens aus, ja er kann als ein neuer Gründer und Befestiger derselben betrachtet werden. Von hier aus geschah es, wahrscheinlich unter der Regierung des Kaisers Nero, nach Andern unter Domitian, daß er des Glaubens wegen auf die Insel Patmos, jetzt Palmosa genannt, verwiesen wurde.
In der Verweisung daselbst schrieb er auf Befehl des Herrn die geheime Offenbarung über die Schicksale der Kirche Gottes. Nach einiger Zeit, wie glaubwürdige Zeugnisse berichten – auf Erlaubnis des Kaisers Nerva, kehrte er wieder nach Ephesus zurück und leitete als Oberhirt die kleinasiatischen Kirchen wie vorher. In dieser späteren Zeit, in den letzteren Jahren des ersten Jahrhunderts nach Christus, war es, daß er auf viele Bitten der Gläubigen und innerlichen Antrieb des heiligen Geistes sein Evangelium schrieb. Sein Hauptzweck war dabei, wie er selbst am Ende dieses Werkes sagt, zu zeigen, daß Jesus Christus der Sohn Gottes sei, und daß Alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Da gerade damals der Irrlehrer Cerinthus und andere auftraten, welche über die Person und erhabene Würde Jesu allerlei falsche Lehren verbreiteten, musste ihm mehr noch als den übrigen Evangelisten daran liegen, die reine Lehre in diesem Punkt den Gläubigen bestimmt und ausführlich vorzulegen.
Die drei vorher gehenden Evangelien ergänzte er auch insofern, als er weniger die Taten, mehr die Reden des Herrn gibt, und hie und da Begebenheiten und Umstände mitteilt, welche er als Augenzeuge mitzuteilen vorzüglich im Stande war. In Bezug auf diese besondere Beschaffenheit des Evangeliums Johannis nannten es die Alten das geistige, den Verfasser den Theologen, im Gegensatz zu den drei andern Evangelien, welche mehr das Menschliche und Irdische von Jesu darstellen.
Der heilige Augustin sagt hierüber schön: „In den vier Evangelien, oder vielmehr in den vier Büchern Eines Evangeliums hat der heilige Apostel Johannes, welcher gemäß seiner geistigen Erkenntnis dem Adler verglichen wird, höher und erhabner als die andern drei seine Verkündigung erhoben, und in dieser Erhebung auch unsere Herzen erheben wollen. Denn die drei übrigen Evangelisten sind gleichsam mit dem Gottmenschen auf der Erde gewandelt, und haben von seiner Gott weniger gesagt: dieser aber, gleichsam als verschmähte er es, auf der Erde zu wandeln, hat sich erhoben, nicht nur über die Erde und über alle Ausdehnung der Lüfte und des Himmels, sondern auch über das Heer der Engel und alle Ordnungen der unsichtbaren Gewalten, und ist zu dem gekommen, durch den Alles gemacht ist, indem er spricht: Im Anfang war das Wort. Das floss aus seinem Mund, was er getrunken hatte; denn nicht ohne Grund wird von ihm in diesem Evangelium gesagt, daß er beim Nachtmahl auf der Brust des Herrn lag. Aus dieser Brust hat er also im geheimen getrunken; aber was er im Geheimen getrunken, das hat er offenbar ausgeströmt.“ –
Daß das Evangelium des heiligen Johannes echt sei, darüber liefern nicht nur die Rechtgläubigen, sondern auch die Irr- und Ungläubigen die unwiderlegbarsten Beweise, und ebenso ist im ganzen Altertum entschieden, daß es ursprünglich griechisch geschrieben wurde. Von den übrigen Lebensumständen dieses Apostels berichten die Kirchenschriftsteller, daß er stets im jungfräulichen Standgelebt, und sein Lebensalter bis über neunzig Jahre gebracht habe. Noch im höchsten Alter, erzählt der heilige Hieronymus, habe er sich in die Kirche tragen lassen, und weil er nur Weniges mehr sprechen konnte, jedes Mal bloß die Worte gesagt: Kindlein, liebet euch einander! Er starb zu Ephesus, wo lange Zeit sein Grab gezeigt und in Ehren gehalten ward. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 5. Bd. 1838, S. 278 – S. 279
siehe auch den Beitrag „Hl. Johannes Verfasser des vierten Evangeliums“