Der 2. Petrusbrief
Der zweite Petrusbrief (Kap. 2, Vers 10b-12): Das Lasterleben der Sektierer
Petrus hat den Irrlehrern schon gesagt, dass sie in unreiner Begierde der Fleischeslust nachjagen (10a) Nun schildert er näher ihr Lasterleben, wobei zwischendurch wieder auf ihre künftige Strafe hingewiesen wird (12-13 u. 17 u. 19). Die Anlehnung an den Judasbrief ist auch in dieser Schilderung nicht zu bestreiten. Etwas wie innere Erregung und unwillige Entrüstung klingen in der kräftigen und ungeschminkten Charakteristik mit. Wer unter den Christen sich noch etwas Selbstachtung und feineres Empfinden bewahrt hat, musste damals wie heute sich fragen: Soll ich mit Menschen von diesem Schlag verkehren und mich durch sie vom weg der Wahrheit abbringen lassen?
Durch schonungslose Entlarvung der Verführer hofft der Apostel die Gefährdeten zu retten. Die geile Sinnenlust raubt den falschen Lehrern alles Schamgefühl und alle Ehrfurcht. In ihrer Verwegenheit und Frechheit scheuen sie sich nicht, „Herrlichkeiten zu lästern“. Damit sind wohl, wie aus dem folgenden Vers zu entnehmen ist, gefallene Engel gemeint, die auch Eph. 6, 12 und Kol. 2, 15 Gewalten, Mächte und Weltbeherrscher genannt werden. Und da vorhin von der Verachtung der Herrschermacht Christi die Rede war, so scheinen die Lästerer frech damit geprahlt zu haben, daß sie weder Gott noch den Teufel fürchteten, dass ihnen überhaupt keine jenseitige Macht etwas zu befehlen habe (vgl. Luk. 18, 2). „Ihr Gott ist der Bauch“ (Phil. 3, 19). Erst recht wollen sie keine kirchliche Autorität anerkennen.
Das herausfordernde Benehmen der Falschlehrer ist um so verwerflicher, als nicht einmal die guten Engel trotz ihrer weit höheren Kraft und Macht es sich herausnehmen, bei Gott ein verächtliches Wort gegen die gefallenen Engel zu sprechen. Sie stellen vielmehr das Urteil dem gerechten Gott anheim, wie es Michael beim Kampf mit dem Satan um den Leichnam des Moses tat (Jud. 9). Ähnlich handelte auch der Engel des Herrn in der Vision des Zacharias (Zach. 3, 2). Das scheint der Sinn des recht dunklen Textes zu sein, wenn wir die Abhängigkeit vom Judasbrief gelten lassen.
Sind aber unter „Herrlichkeiten“ (10b) nicht böse, sondern gute Engel gemeint, vor denen die Irrlehrer keine Ehrfurcht haben, so wäre die Frechheit dadurch dargetan, dass nicht einmal die den Menschen weit überlegenen Engel sich eine Verächtlichmachung der Irrlehrer vor Gott erlauben (vgl. Josef Sickenberger, Engels- oder Teufelslästerer in Jud. Und 2. Petr.? Festschrift zur Jahrhundertfeier der Universität Breslau; Breslau 1911; 621 bis 639). „Wider sie“, bezöge sich also nicht auf „Herrlichkeiten“, sondern auf „Verwegene und Frechlinge“.
Was auch der Sinn sein mag, für die christliche Lebenserfahrung sind die Worte des Apostels in jedem Fall höchst aufschlussreich: Menschen, die sich hemmungslos den niederen Trieben ausliefern, verlieren nicht nur jede Scheu vor dem, was anderen heilig ist, sie wollen auch diesen die Ehrfurcht davor aus dem Herzen reißen. Und da sie das mit sachlichen Gründen in anständiger Form nicht erreichen, werden sie unverschämt; durch Lästern und Schimpfen suchen sie sich Geltung zu verschaffen, spielen sich als die Mutigen auf und schüchtern wenigstens ein, wen sie nicht zu sich herüber ziehen können.
Das bloße Triebhafte hat vollkommen die Herrschaft über die Irrlehrer erlangt; alles Edlere ist in ihnen erstickt. Der Geist und die Sprache, durch die der Mensch über die vernunftlose und stumme (beides liegt in dem griech. Wort álogos) Schöpfung empor ragen und durch die er über sie gebieten soll, dienen dazu, noch tierischer zu sein als das Tier und über Dinge zu lästern, von denen sie nichts verstehen. Damit sind zunächst die eben genannten „Herrlichkeiten“ der Engel und die „Herrschaft“ Christi gemeint.
Der Satz hat aber darüber hinaus eine allgemeine Bedeutung: Über religiöse Wahrheiten erlaubt sich mancher ein Urteil, der sich niemals ernsthaft damit beschäftigt hat. Und da die lasterhaften Zyniker ein großes Interesse daran haben, dass die ernsten Lehren von Christi Gericht, von Teufel und Hölle nicht wahr seien, so gießen sie die Lauge ihrer lästernden Spottreden um so frecher darüber aus, je weniger sie von Sachkenntnis irgendwie gehemmt sind. Von innen her werden sie zu wachsender Frivolität getrieben durch die uneingestandene Angst, die Tugendhaften und Gläubigen könnten am Ende doch recht haben mit ihrer Einstellung auf ein Endgericht und was danach kommt. Wer am lautesten schreit, verrät in der Regel weniger seine Stärke als seine Unsicherheit und die Furcht vor der Kraft des Schweigenden. Wer schimpft, gesteht, dass ihm sachliche Gegenbeweise fehlen. Das Tier hat keine höhere Bestimmung, als eines Tages gefangen und getötet zu werden. Und da jene Menschen wie Tiere leben, erwartet auch sie ein gleiches Geschick. Vom Köder ihrer Leidenschaften gelockt, rennen sie ins Verderben, wie das Wild in die Falle rennt, (13) in der es elend umkommt. Das geschieht den Lästerern nicht von ungefähr; Gottes ausgleichende Gerechtigkeit macht sich darin geltend. Ist der Tod überhaupt der Sold der Sünde (Röm. 6, 23), so ist die schmachvolle Todesart der Spötter in besonderer Weise der Lohn für ihre Frechheiten. Womit einer sündigt, damit wird er gestraft. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI/1, 1950, S. 310 – S. 312