1. Brief des hl. Johannes Kap. 3 Vers 1-3

Wir sind Kinder Gottes durch Wiedergeburt

Hat sich doch die ganze Liebe Gottes darin geoffenbart, dass wir Menschengeschöpfe „Kinder Gottes“, der ja erst dadurch auch unser Vater wird, genannt werden sollen. Dieser Ehrenname der Christen, den sie aus dem Neuen Testament haben, ist aber kein bloßer Name oder eine nur bildliche und gleichnismäßige Bezeichnung. „Und wir sind es auch.“ Hat sich doch durch die Wiedergeburt eine reale und wesenhafte Veränderung in unserer Seele vollzogen, indem in Form der heiligmachenden Gnade ein „Same Gottes“ (3, 9) in unsere Seele gesenkt wurde, wodurch wir tatsächlich „der göttlichen Natur teilhaftig geworden sind“ (2. Petr. 1, 4) Das ist auch der tiefste Grund, weshalb „die Welt uns nicht kennt“. „Weil sie ihn nicht erkannt hat“, von dem unser der Welt so fremdes und ihr entgegen gesetztes Wesen stammt. Dieser Satz, den der heilige Johannes noch so einfach hinschreiben konnte, gibt uns jetzigen Christen wieder recht viel zu denken auf, bei denen die Grenzen zwischen Christengeist und Weltgeist so sehr verwischt sind. Mit Recht macht auch ein Kommentator darauf aufmerksam, dass auch die Frommen sich wohl hüten müssen, sich gegenüber allen Angriffen von Seiten der „Weltleute“ hinter diesem Satz zu verschanzen. Denn sehr oft ist es nicht der „Weltsinn“, der an dem Geist der Kinder Gottes Anstoß nimmt, sondern der gesunde, natürliche Sinn, der das Geschraubte und Verdrehte und Aufgeblasene nicht ertragen kann, das unter dem falschen Namen der Übernatur einher stolziert.

„Wir sind also jetzt schon Kinder Gottes. Aber noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden.“ Die Erhöhung zu wirklichen Kindern Gottes, so wunderbar und herrlich sie auch ist, ist nämlich noch keineswegs das Letzte und Höchste, was Gott in seiner Liebe mit uns vorhatte. Worin dieses Endziel besteht, was Gott aus uns machen will, das vermag auch der Apostel noch gar nicht zu sagen. „Es ist noch nicht offenbar geworden.“ Nur das eine wissen wir, „wir werden ihm gleich sein“. Das, was einst im Paradies die Schlange lügenhaft den Menschen versprochen hatte, um sie ins Elend zu stürzen (1. Mos. 3, 5), das, wonach trotzdem die Menschen sich seither in ihrem Elend ohnmächtig gesehnt, was die hellenistischen Frommen in ihren Mysterienkulten vergeblich erstreben, um nur in neuer jämmerlicher Selbsttäuschung sich zu verfangen, das wird tatsächlich eintreten für uns, die Kinder Gottes. Wir, die wir ihm jetzt schon als Kinder ähnlich und wesensverwandt sind, wir werden ihm gleich sein. Nicht nur ähnlich, sondern gleich. Denn das besagt hier das griechische Wort wie in Joh. 8, 55. Natürlich ist nicht die absolute, wesenhafte Gottgleichheit gemeint, wie sie in Phil. 2, 6 mit einem andern griechischen Ausdruck von Christus ausgesagt wird. Das wird freilich erst geschehen, wenn Christus selber bei seiner Wiederkunft in seiner ganzen Herrlichkeit sich offenbart (vgl. Kol. 3, 4).

Dass wir aber tatsächlich Gott gleich sein werden, ergibt sich aus der Wirkung jenes unseres neuen Zustandes: Denn wir werden ihn schauen, so wie er ist. Für jedes Geschöpf ist Gott absolut unsichtbar (Joh. 1, 18; 1. Joh. 4, 12; 1. Tim. 6, 16). Wenn wir also Gott tatsächlich schauen werden, wie er ist, dann müssen wir ihm gleich sein. Ist es doch ein allgemeiner philosophischer Grundsatz, dass „das Gleiche nur von Gleichem erkannt werden kann“ (Sext. Emp. Adv. Mathem. VII 92 u. 93). Man muss allerdings auch hier wieder die Frage aufwerfen, ob der „Er“ Gott ist oder Christus. Und da in Vers 3 zweifellos unter „er“ (wörtlich jener) Christus zu verstehen ist, so scheint auch im Vorhergehenden Christus gemeint zu sein, besonders wenn man wie es hier geschah, übersetzt: „wenn er sich offenbart“. Allein das Endziel alles religiösen Sehnens und auch der neu-testamentlichen Verheißung ist die Anschauung Gottes selbst (vgl. 1. Kor. 13, 12; Matth. 5, 8). Somit wird auch hier Gott selbst gemeint sein. Allerdings gilt auch an dieser Stelle die oben gemachte Bemerkung. Denn in Christus offenbart sich die ganze Gottheit. Und wenn wir Christus schauen, wie er ist,“, nämlich nicht nur in seiner menschlichen Gestalt, sondern im ganzen Glanz seiner Gottheit, dann schauen wir in ihm unmittelbar auch den Vater (vgl. Joh. 14, 9).

Manche erblicken in dem Satz: „Weil wir ihn schauen werden wie er ist“, nicht den Erkenntnisgrund, sondern den Realgrund der Gottgleichheit: Die Anschauung Gottes macht uns ihm gleich. Das wäre in Bezug auf das sittliche Gleichwerden sehr wohl zu verstehen. Denn tatsächlich hat ja die Anschauung Gottes ins einer ganzen unbeschreiblichen unendlichen Schönheit für die Seligen des Himmels etwas so Überwältigendes, dass sie nur noch ihn lieben können mit der ganzen Glut ihrer Seelen und dadurch jegliche Sünde und somit ein etwaiger Verlust der himmlischen Seligkeit zur moralischen Unmöglichkeit wird. Trotzdem ist der Satz von Johannes kaum in diesem Sinn gemeint. Man beruft sich zwar auf 2. Kor. 3, 18. Aber zu Unrecht. Denn das dortige griechische Verbum heißt „widerspiegeln“ wie es auch die griechischen Väter (Chrysostomus, Theoderet) erklärt haben, nicht „schauen“, wie die Vulgata übersetzt (ähnlich auch die syrische Übersetzung), der dann die lateinischen Väter und auch viele andere Exegeten gefolgt sind. Die Ursache, die uns überhaupt befähigt, Gott zu schauen, muss vielmehr in einer wirklichen physischen Umwandlung unseres geschöpflichen Wesens gesucht werden. Von dieser „Verwandlung“ spricht der heilige Paulus im ersten Korintherbrief (15, 51ff). Sie ist die Erfüllung jener unserer Sehnsucht nach völliger „Einsetzung in die Kindschaft, nämlich der Erlösung unseres Leibes“, eine Hoffnung, „die noch nicht verwirklicht ist“, auf die wir aber einstweilen „in Geduld warten“ (Röm. 8, 23ff). Diese Verklärung unseres ganzen geschöpflichen Wesens, in der wir „in Herrlichkeit werden offenbar werden, wenn Christus, unser Leben, offenbar werden wird“ (Kol. 3, 4), wird uns instand setzen, Gott zu schauen, weil wir ja dann „das Bild des himmlischen Adam an uns tragen, wie wir vorher das des irdischen Adam an uns getragen haben“ (1. Kor. 15, 49), also dem verklärten Christus gleich gestaltet sind.

Allerdings spricht das Neue Testament an solchen Stellen stets von der Vollendung des ganzen, aus Leib und Seele bestehenden Menschen, die erst am Jüngsten Tag eintritt, wenn der auferstandene Leib wieder mit der Seele vereint ist. Das ist begreiflich bei dem großen Interesse, das die erste Christenheit an diesem Tag hatte, den man ja allgemein für nahe bevorstehend hielt. Ebenso begreiflich ist es deshalb aber auch, dass selbst die Kirchenväter in ihrer großen Mehrheit sich über den Zustand der vom Leib abgeschiedenen Seelen durchaus nicht klar gewesen sind. Ja der heilige Ambrosius bekennt sich ausdrücklich zu der Auffassung der frühesten Väter (Justinus, Irenäus), wonach diese Seelen sich in einem Zwischenzustand des Wartens befinden, von der himmlischen Seligkeit noch ausgeschlossen. „Gleichwohl sind jene (die Bösen) inzwischen nicht ohne Pein, wie diese nicht ohne Lohn“ (Ambr., De bono mortis 10, 47). Hatte doch auch Christus selber sich nie deutlich ausgesprochen, sondern ins einen eschatologischen Reden ebenfalls keinen Unterschied gemacht zwischen besonderem und allgemeinem Gericht. Aber wie einerseits seine diesbezüglichen Gleichnis- und Mahnreden ein besonderes Gericht nach dem Tode des einzelnen Menschen noch deutlich durchblicken lassen (vgl. Matth. 25), so setzt andrerseits die Erzählung vom armen Lazarus und dem reichen Prasser (Luk. 16, 19ff) auch die Vollziehung des Urteils schon vor der Auferstehung der Toten voraus. Und für den heiligen Paulus, der zwar ebenfalls im Anfang wenigstens das nahe Eintreten des Jüngsten Tages erwartete, bedeutet doch das „Aufgelöstsein“, d. h. das Totsein, ein und dasselbe wie „mit Christus sein“ (Phil. 1, 23). Wenn somit die Seele eines Gotteskindes schon vor ihrer Wiedervereinigung mit dem Leib an der himmlischen Seligkeit Anteil nimmt, diese Seligkeit aber in der Anschauung Gottes besteht, so ergibt sich, dass auch die Seele selber eine ähnliche Verwandlung und Verklärung erfährt, wie sie in 1. Kor. 15, 51ff. vom auferstandenen Leib beschrieben wird. Denn auch von der Seele als einem Geschöpf gilt der Grundsatz: „Gleiches kann nur von Gleichem erkannt werden.“ Die Theologen reden deshalb von dem lumen gloriae, durch das die Seele instand gesetzt wird, Gott zu schauen. Worin es besteht, das geht, wie alle jenseitigen Dinge, über unser Wissen hinaus. „Es ist noch nicht offenbar geworden.“

„Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, heiligt sich, so wie auch jener heilig ist.“ Das Ziel, das Gott in seiner unbegreiflichen Liebe sich für die Menschen gesteckt hat, ist, das zur Würde des Gotteskindes erhobene Geschöpf hinauf zu führen zur vollkommenen Gottgleichheit, soweit diese einem Geschöpf erreichbar ist, damit es an der eigenen Seligkeit Gottes Anteil habe. Diese herrliche Ziel aber kann man nicht bloß in träger Ruhe, die Hände im Schoß, erwarten. Es zu erreichen in sittlicher Arbeit und im Ringen mit sich selbst, ist hienieden die Lebensaufgabe eines Gotteskindes. Wohl heißt es in Joh. 15 2 u. 3 und 17, 17, Gott selber reinige und heilige uns. Das ist kein Widerspruch. Denn Gnade und freier Wille des Menschen müssen zusammen wirken. Wenn Gottes Heiligkeit dem Wesen nach in seiner absoluten Getrenntheit von der Welt besteht, dann ist es Aufgabe des durch die Gnade der Gotteskindschaft bereits aus der Welt ausgesonderten Geschöpfes, sich immer mehr von allem Wesen der Welt zu entfernen, um dem immer wesensähnlicher zu werden, dem es einmal gleich sein soll. Das Vorbild dieser Heiligkeit ist Christus, der wesensgleiche Sohn des Vaters, der deshalb bereits in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen ist. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIII, 1941, S. 491 – S. 494