Hl. Johannes, Apostel und Evangelist

 Der erste Brief des heiligen Apostels und Evangelisten Johannes Das 3. Kapitel

Wer wahrhaft Kind Gottes ist

Ja so groß ist Gottes Liebe, dass er uns zu seinen Kindern umschafft. Dies erkennt die Welt nicht, weil sie Gott nicht kennt, und nur nach dem Äußeren urteilt, eure Herrlichkeit aber noch nicht offenbar ist. Um die Hoffnung auf diese Herrlichkeit nicht zu verlieren, muss man sich von Sünden reinigen; denn die Sünde macht ungerecht, sie verträgt sich nicht mit dem sündenlosen Sündentilger, mit dem Bleiben in ihm und seiner Erkenntnis, indem nur wer gerecht ist, ihm ähnlich wird, der Sünder aber dem Teufel gleicht. Sündigen verträgt sich auch nicht mit dem Zustand der Wiedergeburt, sondern wer wahrhaft Kind Gottes ist, übt Gerechtigkeit und Menschenliebe, wie es geboten ist, während die Ungerechten, wie Kain, Böses tun, und ihre Brüder hassen. Der Hass der Bösen kommt aus dem Tode und führt zum Tod. Der Liebende dagegen opfert selbst sein Leben, oder hilft doch, so viel er vermag, seinem darbenden Bruder. Solche tätige Liebe lasset uns üben, um uns das Zeugnis, Kinder Gottes zu sein, geben, und unser Gewissen beruhigen zu können; denn wenn uns schon unser Gewissen verdammt, wie werden wir vor Gott bestehen? Wenn uns unser Gewissen frei spricht, erhört Gott unser Gebet, weil wir Gottes Gebot halten, welches Glaube und Liebe fordert, und wir bleiben in Jesu.

1. Seht, welche Liebe uns der Vater erwiesen hat, dass wir Gottes Kinder heißen und sind (1). Darum kennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht kennt (2).
2. Geliebteste, jetzt sind wir Gottes Kinder; aber es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden (3). Wir wissen aber, dass wir, wenn er erscheinen wird, ihm ähnlich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist (4).
3. Und ein Jeder, der diese Hoffnung auf ihn setzt, der heiligt sich, gleichwie auch er heilig ist (5).
4. Jeder, der Sünde tut, wirkt auch Ungerechtigkeit, und die Sünde ist die Ungerechtigkeit (6).
5. Und ihr wisset, dass er erschienen ist, damit er unsere Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde (7).
6. Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht; und Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen, und hat ihn nicht erkannt (8).
7. Kindlein, lasset euch von Niemanden verführen. Wer Gerechtigkeit übt, ist gerecht, gleichwie auch er gerecht ist (9).
8. Wer Sünde tut, ist vom Teufel (10); denn der Teufel sündigt vom Anfang: der Sohn Gottes ist aber dazu erschienen, die Werke des Teufels zu zerstören (11).
9. Jeder, der aus Gott geboren ist, tut keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist (12).
10. Darin erkennt man die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels: Jeder, der nicht gerecht ist, ist nicht aus Gott, und wer seinen Bruder nicht liebt (13);
11. denn das ist die Verkündigung, die ihr vom Anfang gehört habt, dass ich euch untereinander lieben sollt, Joh. 13, 34; 15, 12.
12. nicht so wie Kain, der aus dem Bösen war, und seinen Bruder erschlug (14). Und warum erschlug er ihn? Weil seine Werke böse, die seines Bruders aber gerecht waren (15).
13. Verwundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt hasset (16).
14. Wir wissen, dass wir vom Tod ins Leben übersetzt worden sind, weil wir die Brüder lieben (17). Wer nicht liebt (18), der bleibt im Tode (19).
15. Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder (20), und ihr wisst, dass kein Menschenmörder das ewige Leben in sich wohnend bat (21).
16. Daran haben wir die Liebe Gottes erkannt, dass er sein Leben für uns dahin gab (22): und auch wir sollen für die Brüder das Leben lassen.
17. Wer die Güter dieser Welt hat, und doch, wenn er seinen Bruder Not leiden sieht, sein Herz vor ihm verschließt, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm? (23)
18. Meine Kindlein, lasset us nicht mit Worten und mit der Zunge lieben, sondern in der Tat und Wahrheit.
19. Daran (24) erkennen wir, dass wir aus der Wahrheit sind (25), und wir werden vor seinem Angesicht unsere Herzen beruhigen.
20. Denn wenn uns unser Herz bestraft, ist Gott noch größer als unser Herz, da er Alles weiß (26).
21. Geliebteste, wenn unser Herz uns nicht bestraft, so haben wir Zuversicht zu Gott,
22. und werden, was wir bitten, von ihm erlangen, weil wir seine Gebote halten, und tun, was ihm wohlgefällig ist.
23. Und das ist sein Gebot, dass wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesu Christi, und dass wir uns untereinander lieben, wie er uns befohlen hat.
24. Und wer seine Gebote hält, der bleibt in ihm, und in demselben: und daran erkennen wir, dass er in uns bleibt, an dem Geist, den er uns gegeben hat. Siehe 4, 13; Joh. 14,23; Röm. 8, 9; 1. Kor. 12, 3.

Anmerkungen:

(1) Die Worte „und sind“ hat das Griechische nicht, aber sie liegen im Zusammenhang; denn wir heißen nur darum Kinder Gottes, weil wir es wirklich sind, wie es auch Vers 2 nachfolgt. Über die Kindschaft Gottes siehe Joh. 1, 12; Röm. 8, 15; Gal. 4, 5.
(2) Als Kinder Gottes erkennt uns die Welt nicht, ja sie verkennt uns, verfolgt uns, aber dies darf euch nicht irre machen; der Grund liegt darin: weil sie auch Gott nicht kennt. Würde sie Gottes unendliche Heiligkeit, Liebe, Gerechtigkeit erkennen, so würde sie auch wohl einsehen, dass man in großer Sittenreinheit, Abtötung, aufopfernder Liebe leben müsse, um ihm anzugehören.
(3) Die Welt erkennt euch auch darum nicht, weil sie nur nach dem Äußeren urteilt, ihr aber im Äußeren noch nicht als Kinder Gottes, in Gottes Herrlichkeit erscheint.
(4) Aber obwohl die Christen-Herrlichkeit noch jetzt verborgen ist (Kol. 3, 3), so wissen wir doch gewiss, dass, wenn Christus bei seiner Wiederkunft offenbar in seiner Herrlichkeit erscheinen wird, wir ihm an sichtbarer Herrlichkeit ähnlich sein werden. Der Grund unserer Herrlichkeit ist dann unsere wesentliche Erkenntnis, die wir von ihm, von Gott haben, welche wieder auf unserer innigen Gemeinschaft mit ihm, auf unserer Heiligkeit beruht. Das ist: weil wir vermöge unserer Heiligkeit in inniger Gemeinschaft mit ihm stehen, und ihn vollkommen erkennen, nehmen wir auch Teil ans einer Herrlichkeit und Seligkeit. Unsere Heiligkeit und Erkenntnis sind der Grund unserer Herrlichkeit und Seligkeit. Über die künftige Herrlichkeit siehe 1. Kor. 15, 45; Kol. 3, 3; Phil. 3, 21; 2. Kor. 3, 18; Röm. 8, 29.
(5) Um also das Ziel der Herrlichkeit zu erreichen, muss Jeder sich heiligen, wie Jesus heilig ist. Der Apostel zeigt nun, wie sich die Sünde mit der Gerechtigkeit, mit Jesu, dem Gerechten, mit dem Bleiben in ihm, mit der Wiedergeburt aus Gott durchaus nicht vertrage.
(6) Gerecht zu sein, zurecht gerichtet zu werden, so dass unser Geist Gott, unser Leib dem Geist gehorche, ist unser Ziel: dieses Ziel erreichen wir nicht, oder bewahren es nicht, wenn wir sündigen; denn die Sünde hebt die Ordnung, den gerechten Zustand in uns auf, indem sie eine Empörung des Geistes wider Gott, des Leibes wider den Geist wirkt, und so selbst Ungerechtigkeit ist. Die Sünde verträgt sich also nicht mit der Gerechtigkeit, die wir besitzen sollen. Sie verträgt sich auch nicht mit unserem Verhältnis, in dem wir zu Jesu stehen, wie nun folgt.
(7) Jesus ist der sündelose Sündentilger, mit dem wir in Gemeinschaft stehen, wie sollten wir also sündigen dürfen?
(8) Auch die Gemeinschaft mit Jesu, die Verbindung mit ihm durch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe setzen voraus, dass wir nicht sündigen; denn Bleiben in ihm und Sündigen können nicht beisammen sein; wer in Glaube und Liebe bei ihm bleibt, sündigt nicht, und Jeder der sündigt, war zur Zeit, da er sündigte, nicht recht mit ihm verbunden, hat keine wahre Erkenntnis von ihm gehabt, weil seine Erkenntnis keine Früchte der Gerechtigkeit hervor gebracht hat. Wer seine unendliche Liebe immer vor Augen hätte, könnte unmöglich sündigen. Darum sagt der heilige Basilius: Des Christen Geschäft ist, den Herrn immer vor Augen zu haben.
(9) Lasset euch von den Irrlehrern nicht verführen: Nur wer gerecht handelt, ist gerecht, und ähnlich Jesu, dem Gerechten.
(10) Wer Sünde tut, gleicht dem Teufel, ist gleichen Wesens mit dem Teufel, ist gleichsam ein Kind des Teufels. Sieh. Joh. 8, 44.
(11) denn Sündigen ist des Teufels Sache von jeher, bei dem Sohn Gottes findet aber gerade das Gegenteil statt; denn er ist gekommen, die Werke des Teufels zu zerstören: wer Christo angehört, darf also nicht sündigen. Über die Zerstörung der Wirksamkeit des Teufels durch Christum siehe Joh. 12, 31; 16, 11.
(12) Jeder, der im Zustand der Wiedergeburt, im Stande der Gnade ist, tut, insofern er in diesem Zustand ist, insofern er ein Wiedergeborener ist, keine Sünde, weil in einem Solchen Gottes Same, die göttliche Gnade bleibt: er kann nicht sündigen, weil er ein Kind Gottes, gleichsam ein Göttlicher ist, der an der Unfähigkeit zu sündigen, in ähnlicher Weise wie sie Gott hat, Teil nimmt. Die obigen Worte wollen also nicht sagen, dass der im Zustand der Wiedergeburt, in der Gnade befindliche, diesen Zustand gar nicht verlieren, überhaupt nicht sündigen könne; denn oben 1,8 sagt der Apostel selbst, dass wir uns täuschen würden, wenn wir uns ohne Sünde glaubten; sondern sie haben nur den Sinn, dass der Zustand der Gnade sich nicht mit dem Zustand der Sünde vereinbare, dass also der Wiedergeborene nicht sündigen dürfe. Bemerke: Das hier Gesagte gilt zwar von allen Sünden, indem keine Sünde, sei sie auch noch so gering, sich mit der Wiedergeburt als Wiedergeburt vereinbaren läßt; aber wie aus dem Zusammenhang erhellt, versteht der Apostel zunächst nur schwere, sogenannte Todsünden; denn Vers 8. 10 wird der Sünder ein Kind des Satans genannt, es muss also ein solcher Sünder verstanden sein, in welchem das Böse, die böse Begierlichkeit, gleich wie in dem Satan, so sehr das Übergewicht erhalten hat, dass das Leben der Seele in ihm getötet worden, die heiligmachende Gnade verloren gegangen ist; dieser ist aber nur der schwere Sünder.
(13) Dadurch kann man die Kinder Gottes und die Kinder des Satans voneinander unterscheiden; diese begehen schwere Sünden, jene nicht: und Jeder also, der nicht rein von schweren Sünden, nicht gerecht ist, ist kein Kind Gottes insbesondere der nicht, welcher die Nächstenliebe nicht beobachtet,s einen Bruder hasst, verfolgt, oder wie immer auf schwere Weise die Liebe gegen ihn verletzt. – Der Apostel hebt die Nächstenleibe hervor, weil sie das Hauptgebot des Christen ist, und selbst die Gottesliebe daran hängt.
(14) Der dem Bösen, dem Satan in sündhafter Gesinnung ähnlich war, und gleich ihm ein Menschenmörder ward.
(15) Warum erschlug er ihn? Weil er ein Ungerechter, kein Wiedergeborener war, und die Ungerechten die Gerechten hassen.
(16) Siehe Matth. 10, 12 u. 22; Joh. 15, 18ff.
(17) Unsere Nächstenliebe ist ein Kennzeichen, dass wir wahrhaft Wiedergeborene, Kinder Gottes sind. Dieser Vers schließt sich wieder an Vers 10 an, worin die Gerechtigkeit, insbesondere die Liebe als Merkmal der Wiedergeburt angegeben ist; die Verse 11 bis 13 erläutern nur das Gebot der Liebe, und wie der Hass, welcher mit der weltlichen Gesinnung verbunden, zu vermeiden sei.
(18) Im Griech.: den Bruder.
(19) Kann nicht wiedergeboren, kein Kind Gottes werden. Siehe da, wie nicht bloß der Glaube, sondern Glaube, in Liebe tätig, gerecht machen.
(20) Denn er mordet nicht nur sich selbst geistiger Weise, sondern auch seinen Nächsten, indem der Hass gegen diesen mit dem Wunsch seiner Vernichtung verbunden ist, und dieser Wunsch ein geistiger Totschlag ist, welcher selbst zum körperlichen werden kann, wenn dem Hass nicht gesteuert wird. Darum heißt der heftige Hass auch der tödliche Hass.
(21) Die Gnade der Wiedergeburt, die das ewige Leben verbürgt, in sich bewahren kann.
(22) Der Liebende mordet also nicht nur seinen Bruder nicht; er gibt sogar sein eigenes Leben für ihn, oder doch von seinem Überfluss. Siehe das Folgende.
(23) Wie bleibt ein solcher in der Gnade Gottes, ein Freund Gottes?
(24) An dieser wahrhaften Liebe.
(25) Aus Gott, dass wir Kinder Gottes sind.
(26) Denn wenn uns schon unser Herz der Lieblosigkeit beschuldigt, wie werden wir vor dem Gericht Gottes bestehen, da er noch mehr weiß als uns Herz, da er Alles weiß? –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 6. Bd. 1838, S. 413 – S. 417