1. Brief des hl. Johannes Kap. 2 Vers 28-29

Wer die Gerechtigkeit tut ist aus Gott

„Bleibet in ihm.“ Mit dieser Mahnung hatte der Apostel die Warnung vor den Irrlehrern abgeschlossen. Er hatte jene Warnung begonnen und begründet mit der Erinnerung daran, dass es „die letzte Stunde ist“. Das gibt auch der weiteren Mahnung ein besonderes Gewicht: „Und besonders jetzt, liebe Kinder, bleibet in ihm, damit wir, wenn er sich offenbart – d. h. wenn er in seiner Herrlichkeit als Menschensohn und Weltenrichter erscheint (vgl. Matth. 24, 30) -, freudige Zuversicht haben können und nicht beschämt vor ihm zurückweichen müssen bei seiner Ankunft.“ Denn wenn er auch erst bei dieser seiner Ankunft sich ganz offenbaren wird: das eine wissen sie jetzt schon, dass er gerecht ist, d. h. dass er selber in seinem ganzen Wesen heilig und fleckenlos und deshalb auch dementsprechend ein gerechter Richter ist. Wenn sie aber das wissen, dann können sie auch von selber den Schluss daraus ziehen, dass er nur den Menschen als zu ihm gehörend anerkennen wird, der „die Gerechtigkeit tut“. Das ist derselbe, der „den Willen meines Vaters tut“, wie der Heiland sich in der Bergpredigt ausdrückt, da wo er von der Bedingung zum Eintritt ins Himmelreich spricht (Matth. 7, 21).

Das Partizip des Präsens ist hier wie dort zu beachten. Nicht der, der immer und in jedem Fall die Gerechtigkeit oder den Willen des Vaters getan hat. Denn ein solcher existiert nicht außer dem Menschensohn selbst und seiner heiligen Mutter. Sondern der, dessen ganze sittliche Lebenshaltung darauf gerichtet ist und sich trotz aller einzelnen Versager immer wieder darauf einstellt, „die Gerechtigkeit zu tun“. Nur der „bleibt in ihm“ oder, wie der heilige Johannes sich hier ausdrückt, „ist aus ihm gezeugt bzw. geboren“.

In diesem Vers erhebt sich allerdings die Frage, wer allemal unter dem „er“ bzw. „ihm“ zu verstehen ist, ob der Sohn oder Gott Vater. Da es in Vers 28 nur der Sohn sein kann, so ist auch auf den Sohn als Subjekt zu schließen in dem Sätzchen: „dass er gerecht ist“. Denn der Sohn wird ja als Weltenrichter erscheinen bzw. „sich offenbaren“. Andrerseits kann in dem letzten Satz: „dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist“, nur vom Vater die Rede sein. Denn niemals im ganzen Neuen Testament wird von einem Geborensein aus dem Sohn gesprochen, was auch ganz unnatürlich wäre. Zudem ist gleich im folgenden Vers der Vater als der genannt, dessen Kinder wir sind, aus dem wir also gezeugt sind.

Dementsprechend möchte man von hier aus sich auch für den Vater als Subjekt in dem ersten Dass-Satz („dass er gerecht ist“) entscheiden. Doch wird man die Frage am besten in der Schwebe lassen. Denn die Gedanken des Briefschreibers wandern zwischen dem Vater und Sohn einher und bewegen sich ohne deutlichen Unterschied von einem zum andern, wie das auch gleich nachher in den folgenden Versen geschieht. Das ist nicht zu verwundern. Sind doch beide Personen nicht nur ihrem Wesen nach ein und derselbe Gott, sondernd er Sohn ist auch der, in dem der Vater sich selbst erst ganz offenbart.

Das „Tun der Gerechtigkeit“ ist also der sichtbare Beweis für das „Gezeugtwerden aus dem Vater“. Denn diese übernatürliche Zeugung oder „Wiedergeburt“ (vgl. Joh. 3, 3ff) ist an sich ein innerseelischer, unsichtbarer Vorgang. Das ist aber etwas so Großes und Herrliches, dass der Apostel erst einen Augenblick dabei verweilen muss. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIII, 1941, S. 490 – S. 491