Anforderung der Vernunft hinsichtlich des kirchlichen Lehramtes

Der Glaubenskanon der Bibelauslegung

Das definitive amtliche Urteil des Oberhauptes, dazu durch eine unfehlbare Lehrautorität ermächtigt, ist frei von diesen Mängeln, und besitzt im Gegenteil alle die genannten Eigenschaften in ausgezeichnetem Grad.

Der Papst ist eine sichtbare, allen zugängliche Autorität und spricht eine Glaubensentscheidung mit höchster Präzision und nicht als Privatmann, sondern als Oberhaupt der Kirche aus, als Nachfolger Petri im hl. Amt und als Stellvertreter Christi.

Ja, genau betrachtet, wären die Gläubigen, die ihren Glauben nach dem Kompass der allgemeinen Übereinstimmung der ganzen zerstreuten Kirche zu richten hätten, noch übler daran, als selbst die Protestanten mit ihrem Bibelprinzip; denn alle die Einwürfe, die gegen dieses Prinzip streiten, streiten gleichfalls und noch mit größerer Kraft gegen den Glaubenskanon des Konsenses der zerstreuten Kirche.

Die Gründe, durch welche der Glaubenskanon der Bibelauslegung als haltungslos nachgewiesen und mit Recht als irrig verworfen wird, sind folgende:

I. Ob ein Buch zur hl. Schrift gehöre, und daß überhaupt die Bibel die Bibel sei, ist eine Tatsache, die erst von woanders her, ihre Beglaubigung zu nehmen hat. Die Bibel gibt sich dieses Zeugnis nicht selbst.

II. Die Bibel ist in ihren Aussprüchen nicht genügend klar und präzis, um als Glaubenstribunal bei vorfallenden Glaubens-Streitigkeiten zu gelten.

III. Die Bibel selbst widerspricht dieser Annahme.

IV. Das Bibelstudium setzt überhaupt eine Gelehrsamkeit voraus, die nur bei wenigen sich vorfindet. Eine Glaubensregel soll aber für jedermann gleich zugänglich und anwendbar sein.

V. Selbst was die Gelehrten betrifft, so bleibt ihre Bibelauslegung nur immer auf ihre eigene Gelehrsamkeit und auf ihr eigenes Urteil gestützt, und trägt somit nur das Ansehen einer Privatmeinung an sich, der widersprochen werden kann, und die keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit zu machen im Stande ist, um auch andere zu binden. –

Alle diese Schwierigkeiten und Beweisgründe gegen die Privat-Bibelauslegung als Glaubenstribunal, beziehen sich und dies zwar mit noch größerem Nachdruck gegen die Annahme des Konsenses der zerstreuten Kirche als höchstes Glaubenstribunal. – Denn:

I. Auch dieser Konsens ist eine Tatsache, die sich nicht selbst als solche hinstellt, sondern die ihren Beweis von anderwärts verlangt, und wo dieser Beweis oft noch weit schwieriger zu liefern ist, als daß irgend ein Buch zum Kanon der hl. Schrift gehöre. Und dieser Beweis, wenn er auch versucht würde, braucht, streng genommen, zu seiner Unfehlbarkeit wieder einen neuen Beweis des Konsenses der allgemeinen Kirche, was zu nichts anderem führt, als zu einem endlosen Zirkel, oder zu einer petitio principii, in infinitum. – Bei einer päpstlichen Definition ist dies nicht der Fall; die führt ihre historische Beglaubigung mit sich selbst. – Glaubst du es nicht, daß Er so entschied, so frage ihn, oder schreibe an ihn, oder sende jemanden zu ihm.

II. Der Konsens selbst ist oft, wie wir bereits nachgewiesen, nicht evident, klar und bestimmt genug. Das lässt sich von einer wirklichen päpstlichen Entscheidung „ex cathedra“ nicht sagen, die immer auf das Bestimmteste mit unbezweifelbarer Klarheit erlassen wird, so weit als ein solcher päpstlicher Ausspruch wirklich über eine Thesis entscheidet.

III. Der Konsens selbst der „zerstreuten Kirche“ ist gegen diese Annahme, wie unsere Abhandlung es nachweist, durch die Reihe aller historischen Zeugnisse, die wir anführen.

IV. Für Tausende – ja wohl für alle insgesamt ist es leichter, in vielen Fällen den Ausspruch der hl. Schrift hinsichtlich eines Glaubenssatzes zu konstatieren, als den allgemeinen Konsens der ganzen zerstreuten Kirche.

V, Die Nachweisung desselben selbst beruht letztlich nur auf dem Privat-Ansehen von Gelehrten und deren historischen Forschungen, die nie Anspruch machen können auf Unfehlbarkeit, um andere im Gewissen zu verbinden, und zu eine Glaubensakt zu nötigen. Das Lehransehen des Papstes beruht auf seiner öffentlichen und von Christus göttlich eingesetzten Würde und Stellung als Haupt der Kirche. Und ob der Papst so oder so entschieden, ist ein beweisbares Faktum, dessen Realität nicht Sache einer Privatmeinung, sondern eine historische Tatsache ist, die unfehlbar sicher nachgewiesen werden kann. –
aus: F. X. Weninger SJ, Die Unfehlbarkeit des Papstes als Lehrer der Kirche, 1869, S. 59 – S. 62

siehe auch die Beiträge:

Die Vernunft erwartet Unfehlbarkeit der Kirche

Hat Christus ein unfehlbares Lehramt eingesetzt

Die reine Lehre ist in dem Evangelium enthalten

Christus verhieß die Unfehlbarkeit im Lehramt

Das Konzil als alleiniges Glaubenstribunal?

Petrus richtet in seinen Nachfolgern

Zerstreute Kirche als Glaubenstribunal?