1. BRIEF DES HL. JOHANNES KAP. 5 VERS 6-12
Die Bezeugung des Glaubens

Der Heilige Geist ist es, der Zeugnis gibt

Die Zeugentätigkeit des Heiligen Geistes

Wie es also ein einziger, ganz bestimmter ist, der den Gegenstand unseres Glaubens ausmacht, nämlich die eine zugleich geschichtliche und ewige Person Jesus Christus, so ist auch einer da, der diese Person als solche bezeugt: „Und der Geist ist es, der Zeugnis gibt, weil der Geist die Wahrheit ist.“ (Vgl. Joh. 14, 16ff; 14, 26; 15, 26; 16,7ff). Eben weil er selber die Wahrheit ist, kann und muss er sie auch bezeugen. Die Frage ist nun freilich, wie und wodurch der Geist dies Zeugnis über Jesus, den Sohn Gottes und Messias, ablegt. Man möchte zunächst an die beiden eben erwähnten Vorgänge im Leben Jesu denken. Hat sich doch nach allen Evangelisten bei der Taufe der heilige Geist auf ihn herab gelassen (Matth. 3, 16; Mark. 1, 10; Luk. 3, 22), und der Täufer beruft sich ausdrücklich auf dieses Zeugnis des heiligen Geistes als Erkennungszeichen des von ihm vorher unbekannten Messias (Joh. 1, 33). Allein das griechische Partizip des Präsens (wörtlich: „der Geist ist der bezeugende“) weist auf eine fortgesetzte Zeugentätigkeit hin. Und wenn Johannes wie sonst gelegentlich hätte sagen wollen: das bei jenen geschichtlichen Anlässen einmal abgegebene Zeugnis wirkt stets fort, so hätte er wohl das griechische Perfekt gebraucht.

Wasser und Blut als selbständige Zeugen

Freilich ist das kein durchschlagender Beweis (vgl. Joh. 1, 15 im griechischen Text). Aber im Folgenden treten Wasser und Blut als selbständige Zeugen neben dem Heiligen Geist auf. Also ist doch auch ihre Zeugentätigkeit von der des Heiligen Geistes verschieden. Nach Vers 10 möchte man andrerseits die Zeugentätigkeit des Heiligen Geistes als eine rein innere, in den Herzen der Menschen sich vollziehende auffassen. Das ist sie zwar auch, aber nicht allein. Denn es sollen ja nicht nur die Gläubigen überzeugt werden von der Gottheit Christi, sondern auch die Ungläubigen. Dazu bedarf es aber auch äußere Zeugnisse. Und nach Vers 10ff kann nur der das innere Zeugnis vernehmen, der die in Vers 8 genannten im Glauben angenommen hat. Somit lässt sich die Zeugentätigkeit des Heiligen Geistes überhaupt nicht auf eine bestimmte Art des Zeugnisgebens einschränken, sondern sie ist eine innere und äußere zugleich und umfasst die ganze Wirksamkeit des Heiligen Geistes, wie sie schon im Alten Testament vorhanden war und besonders seit dem ersten Pfingstfest sich entfaltet hat in der Weise, in der Christus sie in der Abschiedsrede geschildert hat (Joh. 15, 26ff).

Das Gesetz fordert zwei bis drei Zeugen

Entsprechend dem einen Bezeugten, Jesus Christus, ist es also auch nur ein Zeuge, allerdings ein voll gültiger und ihm gänzlich ebenbürtiger, der diesen Jesus, auf den bereits die beiden Tatsachen seiner Wasser- und Bluttaufe als den Christus und Sohn Gottes hingewiesen haben, fort und fort bezeugt. Um jedoch die Bedeutung und Wucht all dieser Beweise in das volle Licht zu stellen, lässt der Verfasser jene beiden Tatsachen personifiziert selbst als Zeugen neben dem Heiligen Geist auftreten, zumal ja das Gesetz für eine wichtige Sache zwei bis drei Zeugen fordert (5. Mos. 17, 6; 19, 15; vgl. Matth. 18, 16). „Denn drei sind es, die Zeugnis geben, der Geist und das Wasser und das Blut, und die drei sind sich einig.“ Bei der Taufe hatte ja die Stimme vom Himmel ausdrücklich erklärt: „Das ist mein geliebter Sohn, den ich ausgewählt habe“ (Matth. 3, 17). Und der Heilige Geist hatte dem Täufer schon vorher versichert: „Der, auf den du den Geist herab steigen und verharren siehst, der ist es, der mit heiligem Geist tauft“ (Joh. 1, 33). Am Kreuz aber, als der Soldat die Seite Jesu mit der Lanze durchstieß, und das Blut und Wasser aus derselben hervortrat, sind zwei alttestamentliche Weissagungen, die auf den Messias lauteten, in Erfüllung gegangen. Somit stimmen alle drei Zeugen überein und geben somit einen vollgültigen Beweis.

Gott legt Zeugnis ab über seinen Sohn

Wenn aber schon die Rechtskräftigkeit einer zwei- und dreifachen menschlichen Beziehung allgemein anerkannt ist, dann muss das doch um so mehr von dem Zeugnis Gottes gelten. Denn „darin besteht das Zeugnis Gottes, dass er Zeugnis abgelegt hat über seinen Sohn“, oder mit anderen Worten: denn ein Zeugnis Gottes liegt tatsächlich vor und zwar in einer überaus wichtigen Sache, nämlich über seinen eigenen Sohn. Wer diesem Zeugnis Gottes Glauben schenkt und dementsprechend an den Sohn Gottes glaubt, der findet noch ein weiteres Zeugnis, das ihn eigentlich erst vollends seiner Sache gewiss macht: „Er besitzt das Zeugnis in ihm.“ In eben diesem Sohn Gottes, d. h. in der Lebensverbindung mit ihm, deren er durchs einen Glauben an Gottes Zeugnis teilhaftig geworden ist, hat er das Zeugnis als eigenen inneren Besitz. Worin dieses innere Zeugnis besteht, wird erst in Vers 11 gesagt. Denn zuvor will der Apostel noch erklären, warum der Ungläubige dieses letzte und bedeutungsvollste Zeugnis nicht erhalten kann. „Wer Gott nicht glaubt, nämlich jener dreifachen Bezeugung Gottes (Vers 8), der hat Gott damit zum Lügner gemacht, weil er dem Zeugnis, das Gott über seinen Sohn abgelegt hat, den Glauben versagt hat.“

Das Zeugnis nicht annehmen heißt Gott zum Lügner stempeln

Denn dass tatsächlich ein dreifaches Zeugnis Gottes vorliegt, das ist nun einmal nicht zu leugnen. Es nicht annehmen, heißt darum nichts anderes, als Gott zum Lügner stempeln. Dass aber ein solcher Gotteslästerer unmöglich von Gott jenes letzte und höchste Zeugnis erhalten kann, liegt auf der Hand. Besteht doch jenes Zeugnis in nichts Geringerem als in der auf den Glauben an den Sohn Gottes hin uns geschenkten Teilnahme am göttlichen Leben dieses Sohnes. „Und darin besteht das Zeugnis, dass Gott uns ewiges Leben geschenkt hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn.“ An diesem ganz neuen Leben, das den an den Sohn Gottes gläubig Gewordenen durchflutet und mit neuer bisher nie gekannter Kraft und Licht und Freude und Zuversicht durchströmt, so dass er jetzt erst glaubt, das Leben überhaupt begonnen zu haben, wird dieser unmittelbar inne, dass nur der Sohn Gottes selbst, dem ja „der Vater gegeben hat, das Leben in sich zu haben“ (Joh. 5, 26), solch ein überquellendes Leben in ihm hatte erzeugen können. Um diese Stelle des Briefes ganz zu verstehen, muss man sich allerdings das zu Vers 3, 24 Gesagte vergegenwärtigen. Dann wird auch klar, dass der heilige Johannes hier keineswegs in seiner Beweisführung einen circulus vitiosus macht, weil einerseits der Empfang des übernatürlichen Lebens vom Glauben abhängig sei, während doch andrerseits erst im Besitz dieses Lebens das Zeugnis für den Glauben liege. Einen solchen circulus vitiosus könnte nur der feststellen, der das vorher angeführte Zeugnis des Heiligen Geistes (Vers 6ff) auf das innere Zeugnis beschränkte.

Die äußeren Zeugnisse sind mächtig genug für den Glauben

Vielmehr aber liegt hier ein neuer Beweis dafür, dass man es nicht darauf beschränken darf. Der psychologische Werdegang des Glaubens ist aber ganz klar und entspricht durchaus der Darstellung des heiligen Johannes: Jene äußeren Zeugnisse für den Sohn Gottes sind freilich mächtig genug, um jeden, der guten Willen hat, zum Glauben an ihn zu veranlassen. Aber der Inhalt dieses Glaubens ist etwas Übersinnliches, durch keine natürliche Erfahrung zu Erreichendes. Und darum ist dieser Glaube „ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr. 11, 1). Deshalb vermag er auch das Gefühl der Unsicherheit noch nicht ganz zu beheben. Wer aber, wie der heilige Apostel Johannes und die ersten Christen die übernatürliche Lebenswirkung dieses Glaubens in sich erfahren hat, der empfängt im Licht dieses Lebens unmittelbar die volle Sicherheit und freudige Festigkeit seines Glaubens. Es handelt sich hier also tatsächlich um das innere Zeugnis des Heiligen Geistes in uns, das als letztes die äußeren Zeugnisse krönt und bestätigt. Deshalb haben auch mehrere Handschriften im ersten Satz von Vers 10 statt „in ihm“ „in sich“. Diese Lesart jedoch wird, obwohl sie von manchen Erklärern bevorzugt wird, nur zur Erleichterung des Sinnes hergestellt worden sein. Die Mehrheit der Handschriften ist gegen sie. Und die andere Lesart und deren Deutung auf Christus (nicht auf Gott, wie manche wollen) entspricht auch mehr dem Zusammenhang des Textes.

Damit ist der Verfasser wieder bei seinem Lieblingsgedanken angekommen: Unsere Teilnahme am Leben Christi, dem einzig wahren Leben. Triumphierend wiederholte er es noch einmal: „Wer den Sohn hat, hat das Leben. Wer den Sohn Gottes nicht hat, hat auch das Leben nicht.“ Wenn er auch meint, er lebe, und wenn ihm alle Genüsse der Welt zur Verfügung stehen: Es ist ja doch kein Leben. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XIII, 1941, S. 521– S. 525