P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
1. Von den sieben Hauptsünden
Von der Hauptsünde des Geizes – Wann sündigt man durch Geiz?
Wenn man Geld und Gut übermäßig liebt und gegen Notleidende hartherzig ist.
Während der Hoffärtige nach den geistigen Gütern der Ehre und Auszeichnung strebt, hängt das Herz des Geizigen an äußerem Reichtum und Besitz. Mit übermäßigem Eifer trachtet er denselben zu vermehren und hält das Errungene mit ungebührlicher Zähigkeit fest. Der Geizige will die Güter dieser Erde, nicht um dieselben zu irgend einem gottgefälligen Zwecke zu verwenden, sondern um ihrer selbst willen, um in ihrem Besitz gleichsam zu ruhen.
Auch diese Leidenschaft ist, wie es schon aus der Erklärung des siebten und zehnten Gebotes Gottes deutlich hervor geht, die Quelle vieler und schwerer Sünden. Der Geiz verleitet insbesondere zu übertriebener Sorge für das zeitliche, zu übermäßiger Betrübnis über den Verlust desselben, zur Anwendung ungerechter Mittel beim Erwerb, namentlich zu Lügen, Meineid, Diebstahl, Betrug und Wucher; ferner zu Treulosigkeit gegen Freunde, zu Hader und Streitigkeiten unter Geschwistern und Anverwandten, zur Unterdrückung und Beeinträchtigung von Witwen und Waisen, zur Bestechung der Rechtspflege, zum Verrat am Vaterland und an der Kirche.
Wie mancher wird um schnödes Geld zum Judas an den heiligsten Interessen Gottes und seiner Religion? Zuweilen schrickt der Sklave des Geizes selbst vor Meuchelmord und Totschlag nicht zurück, wenn es gilt, eine Summe Geldes zu erbeuten oder eine reiche Erbschaft an sich zu reißen. Daß der Geiz hartherzig macht gegen Arme und Notleidende, liegt schon im Begriff desselben. Auch versteht es sich von selbst, dass damit die gebührende Sorge für das Seelenheil und die Güter der andern Welt unmöglich bestehen kann.
Der Geiz ist Quelle zahlloser Sünden
Mit vielem Nachdruck haben schon die hl. Väter den Geiz als die Quelle zahlloser Sünden gebrandmarkt. „Was ist schuld an so vielen Übeln in der Welt?“ fragt der hl. Chrysostomus. (Serm. Cum Saturnius et Aurelianus acti essent in exilium) „Die Liebe zum Gelde, die unsinnige Begierde nach Reichtümern, diese unheilbare Krankheit, dieses nie erlöschende Feuer, dieser Despot, der die ganze Welt tyrannisiert“; und der hl. Basilius (Homilie 7 vom Geize):
„Wie lange noch werden die Reichtümer die Fallstricke der Seelen, eine Angel des Todes, eine Lockspeise der Sünde sein? Wie lange noch den Zündstoff des Krieges ausmachen, Waffen schmieden und Schwerter schärfen? Um der Reichtümer willen verleugnen Blutsverwandte die Bande der Natur, greifen Brüder untereinander zu den Waffen, strotzen öde Gegenden von Straßenräubern und das Meer von Seeräubern, füllen die Städte sich mit falschen Anklägern und falschen Zeugen. Wer ist der Vater der Lüge? Wer der Erzeuger des Meineides? Sind es nicht die Reichtümer und das Jagen danach?“ „Daher“, so spricht derselbe hl. Lehrer an einer andern Stelle (Homilie 6 vom Geize), „rühren die Tränen der Waisen, die Seufzer der Witwen und der unterdrückten Armen.“
Nichts ist frevelhafter als das Geld zu lieben
Die Hl. Schrift selbst sagt: „Nichts ist frevelhafter als das Geld zu lieben; denn einem solchen ist auch seine Seele feil“ (Sir. 10, 10); und anderswo (1. Tim. 6, 9): „Die reich werden wollen, fallen in Versuchung und in die Fallstricke des Teufels und in viele unnütze und schädliche Begierden, welche die Menschen in Untergang und Verderben stürzen.“ –
So erging es wirklich dem Achan, der aus Habsucht wider Gottes ausdrückliches Verbot einiges von der Beute Jerichos sich zugeeignet hatte: um dieses Frevels willen unterlagen die Israeliten ihren Feinden; der Frevler selbst aber wurde auf Gottes Geheiß von seinem Volk gesteinigt. (Jos. 7)
So erging es dem Achab, den die Habgier zum Mord des Naboth verführte, und der zur Strafe dafür elendiglich umkam (3. Kön. 21, 22); so Giezi, dem untreuen Knecht des Propheten Elisäus: der Geiz verleitete ihn zur Lüge und zog ihm den Aussatz zu (4. Kön. 5, 27); so dem Judas, der aus Geldgier seinen Herrn und Meister um dreißig Silberlinge verriet und als Selbstmörder endete (Matth. 26, 27); so dem Ananias und der Saphira, die, von derselben Leidenschaft verblendet, „Gott belügen“ wollten und dafür mit jähem Tode gestraft wurden. (Apgsch. 5)
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 348 – S. 350
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