Der Antichrist und die Zeit der Apostasie

Die zwei Weiber in dem Buch der Offenbarung

Wir haben bereits die Parallele zwischen den zwei Geheimnissen, zwischen dem Geheimnis der Bosheit und dem Geheimnis der Gottseligkeit gesehen, und auch die Parallele zwischen den beiden Städten der Stadt Gottes und der Stadt dieser Welt. Es bleibt noch eine andere Parallele übrig, die wir notwendig prüfen müssen, um das klar zu machen, was ich hernach zu sagen haben werde. Wir lesen in dem Buch der Offenbarung von zwei Weibern. Es kommt hier vor ein Weib, bekleidet mit der Sonne, und ein Weib, das auf einem Tier sitzt, welches mit den Namen der Gotteslästerung bedeckt ist. Es ist aber klar, daß diese zwei Weiber wie die zwei Geheimnisse und die zwei Städte wieder zwei einander feindliche Geister, zwei einander feindliche Prinzipien darstellen. In dem zwölften Kapitel des Buches der Offenbarung lesen wir von dem Weibe „bekleidet mit der Sonne“, „das den Mond unter ihren Füßen hat und auf ihrem Haupte eine Krone von zwölf Sternen“. Kein Katholik wird in Verlegenheit sein um eine Deutung dieser Worte, und selbst protestantische Ausleger, damit sie ja nicht die unbefleckte Mutter Gottes in diesem mit der Sonne bekleideten Weibe sehen dürfen, sagen uns, dasselbe bedeute die Kirche. Darin haben sie vollkommen Recht, nur sagen sie bloß die halbe Wahrheit. Das Weib ist ein Sinnbild der Kirche, aus dem Grunde, weil das Sinnbild der Kirche die Menschwerdung ist, das Weib mit dem Kinde, das Symbol der Menschwerdung ist die Mutter Gottes. Auf der andern Seite brauchen wir nicht weit zu gehen, um die Deutung des Weibes zu finden, welches auf dem Tiere sitzt mit den Namen der Gotteslästerung; denn der letzte Vers des 17. Kapitels sagt: „Das Weib, das du gesehen hast, ist die große Stadt, welche die Herrschaft hat über die Könige der Erde.“ Es ist also ganz klar, daß eine Feindschaft herrscht zwischen diesen zwei Weibern, zwischen der Kirche unter dem Symbol der Menschwerdung, und zwischen der großen Stadt, der Stadt Rom, mit den sieben Hügeln, welche die Herrschaft hat über die Könige der Erde.

Nun aber müssen wir diese Unterscheidung deutlich im Gedächtnis behalten, weil manche Ausleger, erhitzt von dem Geist der Kontroverse, diese zwei Dinge gerne mit einander verwechseln und uns sagen, dieses auf dem Tiere sitzende Weib sei die römische Kirche. Aber die Kirche Roms ist die Kirche Gottes, oder wenigstens ein Teil von ihr, selbst in dem Sinne der Ausleger. Wie können dann diese zwei, die einander so entgegen gesetzt sind, dasselbe Ding bedeuten? In der Tat, wie es mit Elymas, dem Zauberer war, der wegen seiner Verkehrtheit die Sonne eine Zeit lang nicht sehen konnte, so verlieren jene, die sich in der Kontroverse erhitzen, die Besinnung. In dem Glanz dieser Vision können sie die Wahrheit nicht sehen, und gehen herum, die Kirche Gottes in dem zu finden, was das Vorbild ihres Widersachers ist. Sie begehen so wieder den alten Selbstbetrug, daß, wenn die Wahrheit auf Erden ist, die Menschen eine Lüge für die Wahrheit nehmen, gerade wie sie damals, als der wahre Christus gekommen war, ihn nicht erkannten und ihn den Antichrist hießen. Wie es mit seiner Person ging, so geht es mit seiner Kirche. –
aus: Heinrich Eduard Manning, Kardinal, Der Antichrist oder die gegenwärtige Krise des heiligen Stuhls, im Lichte der Weissagung betrachtet, 1861, S. 72 – S. 74

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