Der Römerbrief des heiligen Apostels Paulus 9. Kapitel Vers 22-33
Gott duldet die Bösen in großer Geduld
22. Wenn Gott, indem er seinen Zorn zeigen und seine Macht kund tun wollte, die Gefäße des Zorns (1), die da zur Verdammnis bereitet waren (2), in großer Geduld ertrug (3),
23. um den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit zu zeigen (4), die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat (5), –
24. die er auch berufen hat, uns, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden:
25. wie er auch in Osee spricht: ich will das mein Volk nennen, welches nicht mein Volk ist, und eine Geliebte, welche keine Geliebte ist, und eine Begnadigte, welche keine Begnadigte ist (6);
26. und geschehen wird es an dem Ort, wo zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk! Da werden sie die Kinder des lebendigen Gottes genannt werden (7);
27. Jesaias aber ruft für Israel: Wenn auch die Zahl der Kinder Israels dem Sand des Meeres gleich wäre, so wird (doch nur) der Rest gerettet werden (8).
28. Denn er erfüllt das Wort und beschleunigt es in Gerechtigkeit: ja schnell wird der Herr das Wort ausführen auf Erden (9). Isa. 10, 22.
29. Und wie Jesaias vorher gesagt hat: Hätte der Herr der Heerscharen uns nicht einen Samen gelassen (10) so wären wir Sodom, so wären wir Gomorrha ähnlich geworden (11). Isa. 1, 9.
30. Was sollen wir da sagen? Dass die Heiden, die nicht nach der Gerechtigkeit strebten, Gerechtigkeit erlangt haben, nämlich die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben ist:
31. Israel aber, welches dem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebte, das Gesetz der Gerechtigkeit nicht erlangt hat (12).
32. Warum? Weil es nicht durch den Glauben, sondern durch die Werke darnach strebte (13): denn sie stießen sich an dem Stein des Anstoßes (14),
33. wie geschrieben steht: Siehe, ich lege in Sion einen Stein des Anstoßes und einen Fels des Ärgernisses, und wer immer an ihn glaubt, wird nicht zu Schanden werden (15). Isa. 8, 14; 28, 16; 1. Petr. 2, 7.
Anmerkungen:
(1) die Juden, die nicht in die Kirche eingehen wollten, und überhaupt die Bösen.
(2) Deren freiwillige Ausschließung aus dem Reich Gottes und ewige Verdammung vorher gesehen und insofern bereitet war. Unter Verdammnis ist zwar zunächst die Ausschließung aus der Kirche, aber nicht ausschließlich, zu verstehen; sondern die eigentliche Verdammung ist mit inbegriffen, wie dies nicht nur aus dem Ausdruck an und für sich, und der im Gegensatz stehenden „Herrlichkeit“, sondern auch daraus hervor geht, dass Paulus mit der Berufung zum Christentum die ewige Seligkeit, sowie mit der Verleugnung desselben die ewige Verwerfung immer verbunden denkt. So faßt es auch der bei weitem größte Teil der Väter und Erklärer.
(3) Ob sie sich nicht etwa bekehren möchten. Auch dies ist ein Wink, dass nach Paulus Gott die Bösen nicht schafft, sondern duldet, d. i. nur zuläßt etc., dass sie sündigen.
(4) an den Christen.
(5) Der Nachsatz steht Vers 30, und knüpft sich so an: Wenn Gott an den Juden, die er in Geduld trägt, endlich seinen Zorn zeigt zur Ausschließung und Verdammung, so wie an den Christen seine Herrlichkeit – was sollen wir da sagen (30)? Dass die Juden selbst die Schuld an ihrer Ausschließung und Verdammung tragen (Drach. Bibel von Vence). Die Verse 24 bis 29 bilden einen Zwischensatz, zu Gefäßen der Barmherzigkeit gehörig, indem sie weiter ausführen, dass nach den prophetischen Aussprüchen eine kleine Anzahl von Juden und die Heiden dazu berufen seien.
(6) Die Worte: und eine Begnadigte etc., sind nicht im Griech.
(7) Die Verse 25 u. 26 sind aus dem Propheten Osee (2, 24; 1, 10) und beziehen sich auf die Aufnahme der Heiden: Die Heiden, die nicht das begnadigte, geliebte Volk Gottes waren, werden Volk Gottes werden, und an demselben Ort (in Palästina), wo den irdischen Israeliten gesagt wurde, dass sie aufgehört haben, Volk Gottes zu sein, werden jene geistigen Israeliten (die Heiden) Kinder Gottes genannt werden.
(8) Siehe Isa. 10, 22 und die Noten.
(9) Gott erfüllt diese Weissagung von der Scheidung Israels, und seine Strafgerechtigkeit vollzieht sie schnell auf Erden. Paulus führt diese Worte nach der alten griechischen Übersetzung an, die von unserm jetzigen hebräischen Text hierin etwas abweicht.
(10) Einen Rest zur Fortpflanzung der (geistigen) Nachkommen. Dieser Rest waren die Apostel und Jünger.
(11) So wären wir Juden ganz (geistiger Weise) vernichtet worden.
(12) Die Israeliten aber, welche sich der Erfüllung des Gesetzes beflissen, um die Gerechtigkeit zu erlangen, durch diese bloße Gesetzes-Erfüllung keine Gerechtigkeit erlangten.
(13) Im Griech.: durch die Werke des Gesetzes. Weil es die Gerechtigkeit, Rechtfertigung vor Gott nicht durch den lebendigen Glauben an Christus, sondern durch die Ausübung der Vorschriften des mosaischen Gesetzes zu erlangen strebte. Dies gilt eigentlich den Juden zur Zeit Christi; denn die vor Christus schlossen bei ihrer Ausübung des Gesetzes den Glauben an Christus ein, weil sie auf ihn hofften; während die zur Zeit Christi und nach ihm lebenden diesen Glauben ausschlossen, eben weil sie den erschienen Christus verwarfen, sie also mit der bloßen Ausübung ihres Gesetzes keine Rechtfertigung mehr finden konnten.
(14) Christus, der den alten Juden in der Hoffnung auf ihn eine Quelle des Heiles war, ward denen, die zur Zeit seines Erscheinend und nachher lebten, eine Veranlassung zum Fall und Untergang.
(15) Wie Christus der Fels ist, durch welchen allein der, so wahrhaft glaubt, festen Grund gewinnen kann: so ist er auch eine Felsenspitze, an welcher sich die Hoffärtigen und Selbstgerechten zerschellen. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 6. Bd. 1838, S. 53 – S. 55