Anforderung der Vernunft hinsichtlich des kirchlichen Lehramtes

Der hl. Petrus richtet in seinen Nachfolgern

Nie galt, wenn nicht vom Papst bestätigt, je eine Entscheidung eines noch so zahlreichen Conciliums; wohl aber galten von jeher die päpstlichen Entscheidungen, den allgemeinen Konzilien gegenüber, als unabänderlich. Man lese, was uns darüber die Geschichte bei Gelegenheit der Abhaltung des III., IV., V. VI., VII. und VIII. General-Conciliums berichtet:

„Ihr habt“, schärft Coelestin in seinen Legaten ein, „wenn eine Streitfrage vorfällt, nicht darüber zu rechten, sondern zu entscheiden und zu sehen, daß alle tun, was von uns verordnet wurde.“ Das ganze Konzil fügte sich dieser peremptorischen Weisung und gibt den Grund dafür an: „Weil Petrus noch immer in seinen Nachfolgern lebt und richtet.“

Wenngleich die Väter des vierten allgemeinen Konzils dieselbe Lehre ausgesprochen, die bereits Leo der Große vor der Abhaltung des Conciliums als die wahre bezeichnete, so wollten die Legaten dennoch nach Weisung des Papstes nicht einmal die Änderung irgend eines Wortes gestatten: „Sagt alle, wie Leo; sonst kehren wir nach Rom zurück.“ Das Concilium fügte sich sogleich und rief: „Durch Leo hat Petrus geredet. So glauben wir alle.“ Wie herrlich steht Vigil im Kerker verschlossen den Vätern des fünften allgemeinen Conciliums in Konstantinopel gegenüber, wie wir dies ausführlicher an seinem Platz anführen werden.

„Sie sollen es nicht wagen“, mahnte Agatho seine an das sechste Concilium abreisenden Legaten, „irgend etwas zu ändern an meinem Ausspruch, sondern denselben einfach veröffentlichen.“ – Was sollen wir erst von den beiden Päpsten Hadrian I. und Hadrian II. sagen, welche ihre Glaubens-Entscheidungen und Bekenntnisse den Vätern des siebenten und achten General-Conciliums zugesandt als unerlässliches Bedingnis einen Platz im Concilium selbst einzunehmen.

Das waren Konzilien im Orient, entfernt von Rom und in einer für Rom ganz eifersüchtigen Nähe gefeiert. Wie stark musste das Bewusstsein der Päpste gewesen sein, ihres durch die ganze Kirche anerkannten Rechtes, um auf solche Weise vor sich zu gehen. Und nicht nur erhob niemals ein Bischof dagegen auch nur ein Wort, sondern sie eifern mit den begeistertsten Ausdrücken dieses Recht des apostolische Stuhles anzuerkennen und definieren, und zwar vereinigt mit den Bischöfen des Abendlandes im Konzil von Florenz: Der Papst sei der wahre Stellvertreter Christi, und aller Christen Lehrer. „Definimus, Romanum Pontificem esse verum Christi Vicarium et omnium christianorum Doctorem.“

Man bemerke die zwei inhaltsschweren Ausdrücke: Der wahre Stellvertreter Christi – kann der irren? Wie wäre er denn der wahre Stellvertreter Christi in seiner Beziehung zur Kirche? Hat Christus nicht den hl. Geist als seinen Stellvertreter verheißen – den Geist der Wahrheit? Identifiziert somit nicht die Kirche das Lehramt des Oberhauptes mit dem des heiligen Geistes, dessen Organ der Papst ist? Und sind die Bischöfe nicht auch Christen? Ist somit der Papst in Kraft dieser Definition nicht auch ihr Lehrer? Wie sollte denn die Kraft seines Urteiles von der Bestimmung der übrigen abhängen; oder wird das Urteil des Lehrers erst wahr, wenn der Schüler demselben beipflichtet?

Diese letzte Annahme, daß auch das Urteil des Papstes ebenso gut der Beistimmung eines Conciliums bedürfe, als vice versa das des Conciliums die Bestätigung des Papstes, ist eine ganz arbiträre (=willkürliche) und irrige, die nicht nur der Geschichte und den Aussprüchen der Konzilien, sondern der Schrift und Tradition überhaupt widerspricht.

Unabhängig von dem Beisein der übrigen Apostel, erklärte Christus, Petrus allein als Fundament der Kirche. Er erklärt, daß er für seinen Glauben allein gebetet, daß derselbe nie abnehme, und übergibgt ihm, unabhängig von den übrigen Aposteln, allein die Leitung seiner ganzen Herde, der Lämmer und der Schafe, d.h. auch der Bischöfe.

Ebenso wenig wissen die hl. Väter etwas von dieser Bedingnis. So wie Rom entschied, so galt de Ausspruch des hl. Augustin durch die ganze Kirche: „Roma locuta est – causa finita est.“ Und wie dann erst, wenn ein Concilium so zahlreich, wie das von Rimini, dem Papst gegenüber stände, und anderer Meinung wäre? Wer würde dann als der von Christus eingesetzte Richter in Dingen des Glaubens zu betrachten sein? –
aus: F. X. Weninger SJ, Die Unfehlbarkeit des Papstes als Lehrer der Kirche, 1869, S. 51 – S. 54

siehe auch die Beiträge:

Die Vernunft erwartet Unfehlbarkeit der Kirche

Hat Christus ein unfehlbares Lehramt eingesetzt

Die reine Lehre ist in dem Evangelium enthalten

Christus verhieß die Unfehlbarkeit im Lehramt

Das Konzil als alleiniges Glaubenstribunal?