Anforderung der Vernunft hinsichtlich des kirchlichen Lehramtes

Hat Christus wirklich ein unfehlbares Lehramt in seiner Kirche eingesetzt?

In dieser Beziehung stellen sich uns zwei Fragen zur Beantwortung vor; nämlich:

„Hat Christus wirklich ein unfehlbares Lehramt in seiner Kirche eingesetzt?“

und: „Wer ist es, der diesem unfehlbaren Lehramt in letzter Stelle dafür die Sicherheit gewährt, und den Christus zum sichtbaren Träger und Richter in Dingen des Glaubens seiner Kirche gegeben?“

Hören wir darüber die Antwort aus dem Munde Christi selbst:

Christus, nach dem Zeugnis der hl. Schrift, verkündigte und bezeugte erstlich mit den bestimmtesten Worten, daß er in seiner Kirche ein Lehramt und zwar ein unfehlbares Lehramt eingesetzt.

Wie nämlich Matthäus ausdrücklich bezeugt, so sprach Jesus zu seinen auf dem Berg versammelten Aposteln nach seiner Auferstehung: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden; so geht denn und lehret alle Völker, und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl. Geistes. Lehret sie alles halten was ich euch befohlen. Und siehe ich bin bei euch alle Tage, bei euch bis an das Ende.“ (Matth. 28)

Christus erklärte mit diesen Worten nicht nur, daß er seine Apostel mit der Lehrgewalt ausgerüstet aussende, und zwar an alle Völker, und das bis an das Ende der Zeiten; was ein bleibendes Lehramt voraussetzt und sich somit auf ihre Nachfolger erstreckt: sondern daß er auch dafür gesorgt, daß sie alles, was Er ihnen anbefohlen, lehren würden – somit irrtumslos; dafür habe Er gesorgt, dem alle Gewalt gegeben ward im Himmel und auf Erden. Ja, noch mehr, Er selbst werde bei ihnen bleiben bis an das Ende der Welt. Somit fiele die Schuld der Irrtümer, wenn sie Irrtümer lehrten, auf Ihn selbst, da Er es nicht verhindert hätte, wenn sie etwas Anderes lehren würden, als was Er ihnen anbefohlen.

Die Verheißung : „Ich bleibe bei euch bis an das Ende“, weist also offenbar darauf hin, daß hier von einem bleibenden Lehramt die Rede sei, dem Er seinen unfehlbaren Beistand verhieß, alles zu lehren was Er gelehrt, und das sich nicht bloß auf die Apostel beziehe, daß diese selbst lehren würden, was sei selbst persönlich von Ihm gehört, sondern daß dieser Beistand auch das Lehramt ihrer Nachfolger begleiten werde, bis an das Ende der Zeiten. Von diesem unfehlbaren Lehramt, womit Christus der Mensch gewordene Sohn Gottes, der Stifter der Kirche, das apostolische Lehramt für alle Folgen der Zeiten eingesetzt und ausgerüstet, sprach Christus an seine Apostel auch schon zu wiederholten Malen, während seines Wandels mit ihnen vor seinem Tode. Er erklärte hochfeierlich in seiner Abschiedsrede:

„Vater, ich habe das Werk vollendet, das du mir aufgetragen, daß ich es vollbringe.“
„Ich habe deinen Namen den Menschen verkündigt. Die Worte, die du mir mitgeteilt, habe ich ihnen gegeben. Vater, heilige sie in der Wahrheit.“ (Joh. 17)

Und daß dies durch die Amtsgewalt der von Ihm dazu erwählten Apostel geschehen werde, beweisen die mächtigen alles umfassenden Worte: „Wie mich der Vater gesendet, also sende ich euch.“ (Joh. 20) Und gleichwie der hl. Geist bei dem Antritt seines apostolischen Lehramtes im Jordan über ihm selbst erschien, so sollte dieser selbe hl. Geist auch sie in ihrem Lehramt überschatten und vor allem Irrtum in der Lehre des Heils bewahren. Er sagt in derselben Abschiedsrede: „Ich werde auch den Vater bitten und er wird euch senden den Geist der Wahrheit – der bei euch ewig bleiben wird. Der Paraklet, der hl. Geist, der wird euch alles lehren und an alles erinnern, was ich euch gesagt.“ (Joh. 14) Und schon früher versicherte Jesus seine Apostel: „Wer euch hört, hört mich.“ (Luk. 10, 16) „Und wer die Kirche nicht hört, der sei dir wie ein Heide.“ (Matth. 18)

Durch dieses unfehlbare Lehramt wird die Kirche selbst die eine heilige, allgemeine und wahrhaft apostolische; denn eine Kirche, die Wahrheit und Irrtum zugleich lehren könnte, trägt nicht in sich das Prinzip der absoluten Einheit – und daher auch nicht der Allgemeinheit; sie hat keinen Anspruch auf objektive Heiligkeit und auf den apostolischen Charakter, wenn sie anders lehrte als die Apostel selbst getan. – Nur durch solch ein makelloses Lehramt wird die Kirche selbst unzerstörbar, und steht da nicht auf Sand, sondern auf einen Felsen gebaut. Durch dieses unfehlbare Lehramt im Besitz der vollen unveränderlichen Glaubens-Hinterlage trägt die Kirche den Typus der Unveränderlichkeit Gottes, ihres Gründers an sich. Sie hat in dieser Beziehung wie Gott Bestand, aber kein Nacheinander – kann nicht altern, sondern bleibt wie Irenäus bereits bemerkt – immer jung. Einzelne Personen, die ihr angehören, wechseln; sie selbst nicht; sie ist noch dieselbe, die sei gewesen als Christus im Fleisch auf Erden gewandelt; sie hat Ihn gehört und gesehen und seine Apostel, und ist heute dieselbe, wenngleich die Zeitgenossin von achtzehnhundert Jahren.

Die Apostel als Träger dieser unfehlbaren Lehrgewalt, waren sich auch ihres Ansehens und Berufes als Lehrer der Menschheit, von Gott selbst gesendet, wohl bewusst. Sogleich nach der Herabkunft des hl. Geistes traten sie als bevollmächtigte unfehlbare Glaubensboten auf, und verteilten sich in alle Welt. Der Apostel der Völker nimmt keinen Anstand zu behaupten: „Ihr Wort erging bis an die Grenzen der Erde. (Röm. 10, 28) Sie versammeln sich im Consilium von Jerusalem, und erlassen ihre Entscheidung mit dem denkwürdigen Machtwort unfehlbarer Lehre: „Es hat uns und dem hl. Geist gefallen.“ (Apostelg. 15) Sie bestellten sich für dieses Lehramt Nachfolger.

Man erinnere sich an die Wahl des Matthias an die Stelle des Judas; und an die Ordinationen durch die Hände-Auflegung, von der die Apostelgeschichte bezeugt und auf welche der hl. Paulus in seinen Briefen an Timotheus und Titus hinweist. Mit Entschiedenheit weisen sie die zurück, die sie nicht zum Lehramt bestellten. (Apostelg. 13, 1; Luk. 4) Ja, sie sprachen den Fluch aus über alle, die anders lehrten wie sie. Paulus nimmt keinen Anstand zu sagen: „Wenn ein Engel des Himmels kommt und predigt ein anderes Evangelium, der sei verflucht.“ (Gal. 1) Sie verweigern schlechthin allen Eindringlingen ihre Anerkennung. Es haben euch welche verwirrt, denen wir wir es nicht aufgetragen zu lehren – hört sie nicht.

Hingegen von allen, die vereinigt mit dem unfehlbaren Lehramt der Kirche das Wort des Glaubens verkündigen, gelten die Worte Pauli: „So aber höre uns der Mensch als redete Gott aus uns“ (2. Kor. 5); denn wie derselbe Apostel seinen geliebten Jünger Timotheus daran erinnert, diese durch die unfehlbare Lehrgewalt ausgerüstete Kirche – „sie ist die Säule und die Grundfeste der Wahrheit.“ (2. Tim. 3)

Dessen war sich die Kirche auch immer bewusst und in einer Weise bewusst, daß keines ihrer Kinder je daran zweifelte. Bei allen Stürmen von Irrlehren, welche die Kirche Gottes umtobten, gab es bis auf die Zeit des Protestantismus niemals solche Ketzer, welche die Unfehlbarkeit der Kirche in Abrede gestellt, sondern sie behaupteten nur fälschlich, daß diese unfehlbare Kirche eben so lehre, wie sie. Doch wer sollte darüber entscheiden?

So notwendig als es für den Bestand der Kirche selbst war, damit sie immer die wahre Kirche Christi bliebe, daß Christus sie mit der Unfehlbarkeit im Lehramt ausgerüstet: eben so notwendig war es, daß Christus dieser Lehrgewalt auch noch ein für die Kirche passendes Lehrtribunal bestellte.

Es erhebt sich demnach von selbst die Frage: „Wie heißt dieses Organ der Kirche?“
Die Kirche weiß, daß Christus ihr in der Person des hl. Petrus und seiner Nachfolger ein Haupt, einen Oberhirten gegeben. Es fragt sich somit:

Ist dieses Haupt auch allein Organ der Kirche, und der Ausleger ihrer unfehlbaren Lehre; oder muss notwendig auch der übrige Lehrerkörper befragt werden, und darüber entscheiden?

Die gläubige Vernunft allerdings, weil wohlbekannt mit den Umständen, in welchen menschliche Störungen, Umtriebe und Verfolgungen die Kirche umtosen, würde es als das zweckmäßigste erachten, wenn das Haupt der Kirche persönlich die Vollmacht hätte, mit unfehlbarer Gewissheit die Lehre der Kirche auszusprechen. Doch es ist nicht an ihr, zum voraus geradehin zu bestimmen, was Christus wirklich getan, in dessen Allwissenheit und Macht unzählige Möglichkeiten lagen, für ein passendes Tribunal des Glaubens Vorsorge zu treffen. Indes bleibt es für die gläubige Vernunft doch immer trostreich und vollkommen befriedigend, wenn sie bemerkt, daß Christus wirklich so getan, wie sie es geahnt, und in Erwägung der äußeren Umstände der streitenden Kirche wünschen musste.

Die prüfende Vernunft nämlich, wenn sie die hl. Schrift befragt, ob Christus sich darüber geäußert und wie, vernimmt als Antwort die bestimmteste Erklärung, daß es in der Tat das Oberhaupt der Kirche sei, das Christus mit diesem unfehlbaren Entscheidungsrecht in Dingen des Glaubens ausgerüstet, und daß dieses selbst gerade aus jenen Äußerungen Christi unbezweifelbar fließe, durch welche Christus den hl. Petrus und seine Nachfolger zum Oberhirten der Kirche und zu seinem Stellvertreter bestellte. Ein Beweis, daß diese Glaubens-Prärogative eben dieser Primatialwürde entfließe, und mit derselben unzertrennbar verbunden sei.

Die drei Hauptstellen, welche die hl. Schrift uns desfalls aufbewahrte, sind die feierlichen Beteuerungen Christi bei Matthäus, wo Christus Petro die Primatial-Autorität verhieß; bei Lukas, wo er demselben ausdrücklich diese Prärogative der Lehrunfehlbarkeit zusichert; und bei Johannes, wo er Petrus ins ein Amt feierlich eingesetzt.

Bevor wir diese Stellen und die darin eingeschlossenen Bestimmungen und Anordnungen Christi näher beleuchten, haben wir aber die Bemerkung notwendig vorauszuschicken, daß wir diese Stellen hier nicht sowohl in ihrer Beweiskraft für den Primat selbst erwägen, sondern nur in wie ferne die Worte Christi, auf die in dem Primat eingeschlossene unfehlbare Lehrgewalt des Oberhauptes der Kirche hinweisen. –
aus: F. X. Weninger SJ, Die Unfehlbarkeit des Papstes als Lehrer der Kirche, 1869, S. 22 – S. 29

siehe auch die Beiträge:

Die Vernunft erwartet Unfehlbarkeit der Kirche