Zerstreute Kirche als Glaubenstribunal?

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Anforderung der Vernunft hinsichtlich des kirchlichen Lehramtes

Die zerstreute Kirche als oberstes Glaubenstribunal?

Es bleibt da unseren Gegnern nichts übrig, als zu dem sogenannten Consensus der zerstreuten Kirche ihre Zuflucht zu nehmen. Doch da sind die Schwierigkeiten, in die sie sich verwickeln, noch größer. Allerdings geben wir zu, daß die Kirche im Allgemeinen, so lange sie mit ihrem Haupt vereinigt ist, im Besitz des wahren Glaubens und der durch denselben anerkannten Wahrheiten des Heiles sei; allein wir verwerfen mit aller Entschiedenheit, daß die zu ermittelnde Übereinstimmung der auf Erden „zerstreuten Kirche“ als das oberste Glaubenstribunal zu betrachten sei, das Christus in seiner Kirche eingesetzt. Denn:

I. steht diese Annahme gleichfalls im Widerspruch mit der angeführten und feierlich ausgesprochenen Erklärung Christi. Christus beauftragte nämlich Petrus, seine Brüder zu stärken, und nicht diese Ihn. Wäre nun das Urteil des Nachfolgers Petri im Glauben noch so lange zweifelhaft, bis die Bischöfe in oder außer dem Konzil durch die Welt hin demselben ihre Bestimmung geben, so würden vielmehr diese durch ihre Zustimmung den Nachfolger Petri, und nicht Er sie stärken; oder es wäre wenigstens eine wechselseitige Stärkung, was Christus keineswegs angedeutet, sondern vielmehr das Gegenteil.

II. Diese Ansicht widerspricht nicht minder der Erblehre der hl. Väter. Diese leiten nicht die Orthodoxie der Lehre des römischen Stuhles von der Übereinstimmung der Lehre der übrigen Kirchen ab: sondern umgekehrt, sie weisen alle übrigen Kirchen der Welt an, ihre Orthodoxie durch die Übereinstimmung ihrer Lehre mit der des römischen Stuhles nachzuweisen. So wie sie das zu tun im Stande sind, fordern sie dieselben nicht auf, sich noch um die Lehre irgend einer anderen Kirche zu kümmern. Hingegen würde es denselben wenig nützen, wenn sie auch im Stande wären nachzuweisen, daß sie so glaubten und lehrten wie alle übrigen Kirchen, wenn sie nicht zugleich nachzuweisen im Stande sind, daß auch die Kirche von Rom, d. h. der Apostolische Stuhl, so lehre. Sie behaupten einstimmig mit Irenäus, daß jede andere Kirche notwendig mit der römischen übereinzustimmen habe „quacum necesse est omnem aliam convenire ecclesiam“. Also wozu das weitere Fragen, wenn alle übrigen Kirchen notwendig mit der Lehre des Lehrstuhles von Rom übereinzustimmen haben?

Erfüllt von derselben Glaubensüberzeugung ruft Hieronymus aus: „Mögen andere denken und sagen, was sie wollen; ich sage: Wer mit dem Lehrstuhl Petri übereinstimmt, der ist der Meinige.“ Si quis Cathedrae Petri jungitur – meus est. – Warum? Hieronymus antwortet: „denn auf diesen Felsen ist die Kirche gebaut.“ „Supra hanc petram, ecclesiam aedificatam esse scio.“ Allerdings behaupten wir nicht, daß der Kanon des hl. Vinzenzius von Lyra unwahr sei, wenn er sagt: das ist katholisch, was immer und überall und von allen als katholisch geglaubt wird; denn die Kirche wird im allgemeinen nie in Irrtum fallen; allein die Behauptung, daß die Berufung auf diese Übereinstimmung als Glaubensregel angenommen werden müsse und als höchstes Glaubenstribunal anzusehen sei, die weisen wir mit allem Fug zurück. Da gilt uns der Kanon des hl. Hieronymus: „Was Rom lehrt, das ist katholisch.“ „Hoc Catholicum, quod Romanum.“

Nie und nimmer kann für diesen Kanon der zu erforschende Konsens der zerstreuten Kirche als Glaubensregel substituiert werden. Es fehlen ihm dazu die für eine Glaubensregel notwendigen Eigenschaften. Diese Eigenschaften sind: die Vernehmbarkeit, die Bestimmtheit und Anwendbarkeit.

Erstlich, es mangelt diesem Konsens, als Kanon, die Vernehmbarkeit; denn wie heißt das Organ, das diese Übereinstimmung ausspricht? Ein solches gibt es nicht, da es niemanden gibt, der im Namen aller Kirchen diese Übereinstimmung auszusprechen im Stande wäre. Diese Auffindung verlangt die Durchforschung von kirchlichen Tatsachen und kritischen Beleuchtungen in Fülle, ohne daß es ein bestimmtes Organ gäbe, durch welches die zerstreute Kirche ihren Ausspruch unbezweifelbar kund geben könnte. Das Resultat dieser Forschungen bliebe immer nur in der Sphäre minderer oder größerer Wahrscheinlichkeit. Jedoch die genügt niemals zu einem Glaubensakt. Wir sagen daher

Zweitens: Es mangelt diesem Kanon die Eigenschaft der Bestimmtheit und Präzision alle Möglichkeit der Entstellung ausschließend. Diese Bestimmtheit und Präzision der Entscheidung ist absolut erfordert, um etwas durch einen Glaubensakt als göttlich geoffenbart zu bekennen. – Zu dieser unbezweifelbaren Bestimmtheit gelangt aber in vielen Fällen kein Weg der Forschung, und wenn dieselbe von einem hl. Thomas von Aquin und von den gelehrtesten Theologen der Welt vorgenommen würde.

Beweis dessen ist das Dogma der unbefleckten Empfängnis Mariä. Bereits gaben sechshundert Bischöfe der zerstreuten Kirche ihr Gutheißen und ihre Bestimmung ab für dieses Dogma; und zweihundert derselben waren bereits in Rom und baten den hl. Vater um diese Entscheidung. Überdies wurde in der ganzen Kirche das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariä gefeiert, und dennoch, wenn Pius den definitiven Ausspruch nicht getan hätte, so könnte heute, trotz all dieser Übereinstimmung der zerstreuten Kirche, noch niemand unfehlbar wissen, daß Maria ohne Makel der Erbsünde in ihr Dasein eintrat, und wer das heute noch leugnete, wäre kein Ketzer. Ja nehmen wir die Thesis selbst als Beispiel, die wir nun hier verteidigen. Welch eine Masse von Autorität der zerstreuten Kirche bezeugt die Wahrheit derselben, wie dieses Buch es nachweisen soll, und welch ein Gewicht von theologischer Schlussfolge verbürgt ihre Wahrheit, und dennoch ist dieselbe noch kein definitives Dogma, mithin kein Glaubensartikel. –

Was soll man nun erst von anderen Sätzen sagen, die in den Bereich des Glaubens einschlagen, und über welche einzelne Kirchen sich gar nicht oder nur ganz dunkel äußern. Hundert Tore ständen da den Ausflüchten einer im Irrtum Befangenen offen. Um so weniger wäre ein so vages und dunkles Urteil im Stande, die Hartnäckigkeit eines Ketzers zu brechen. Und wie erst, wenn der Irrtum sich, wie bei griechischen Schisma, in weiteren Kreisen verbreitet und ganze Provinzen überflutet und selbst hunderte von Bischöfen und Patriarchen an sich gezogen, die sich auch zur Kirche rechnen?

Drittens, es fehlt diesem Kanon die Anwendbarkeit. Die Bachweisung dieser Übereinstimmung aller Kirchen verlangt eine Masse von Dokumenten, von geschichtlichen Forschungen und eine Kenntnis von Sprachen, die gar nicht im Bereich der Gläubigen liegen und eine Gelehrsamkeit voraussetzen, die nur im Besitz der Wenigsten ist. Und selbst was diese Gelehrten betrifft, so sind dieselben nicht immer im Stande zu einem evidenten und ganz unbezweifelbaren Schluss zu gelangen, da ja selbst die größten Gelehrten, wie ein Thomas von Aquin und Bonaventura, nicht in allem übereinstimmten, während doch beide das zu lehren meinten, was sie als die Lehre der zerstreuten Kirche ansahen.

Viertens, bleibt diese Annahme des Konsenses der zerstreuten Kirche immer nur eine persönliche Annahme, mithin immer nur im Grunde eine Privatmeinung, die keinen Dritten unter der Pflicht eines göttlichen Glaubensaktes beizustimmen verbindet, wie es eine Glaubensregel als solche verlangt. –
aus: F. X. Weninger SJ, Die Unfehlbarkeit des Papstes als Lehrer der Kirche, 1869, S. 54 – S. 59

siehe auch die Beiträge:

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