Gebote Gottes
Das Weltgericht setzt voraus die Weltmission
Christus, den Menschensohn, zum Richter haben, bedeutet für die Völker nichts anderes, als daß ihnen auch Christus als Erlöser gebracht wurde. Die Universalität des Heilsgerichtes hat zur Grundbedingung die Universalität der Heilsdarbietung; das Weltgericht setzt voraus die Weltmission.
Die Weltmission ist die Voraussetzung des Weltgerichtes, das ist der erste Missionsgedanke, der sich aus dem heutigen Evangelium ergibt. Ein zweiter Missionsgedanke kommt hinzu. Wenn es eine Weltmission gibt, eine verpflichtende Vermittlung der Heilswahrheiten und Heilsmittel, dann muss es auch ein Weltgericht geben; denn der Aussaat muss ein Ernteaustrag, dem Angebot eine Entscheidung folgen. Wenn Christus den Völkern als Erlöser gebracht wurde, dann haben die Völker auch Christus als Richter gegenüber sich zu verantworten. Das Weltgericht zeigt den Ertrag der Weltmissionstätigkeit; das Weltgericht ist der feierliche Abschluss der Weltmission.
Durch die Stellungnahme der Völker zu Christus, dem Erlöser, besiegelt sich ihr Schicksal, wird Christus ihnen zum Fall oder zur Auferstehung, zum Retter oder zum Richter.
Beides, Richter oder Retter, ist Christus im universellsten Sinn des Wortes. Wie sein Erlösungswerk eine universelle Heilstat war, so wird sein Richten ein universeller Urteilsakt sein. Die Welt erlöste er, die Welt wird er richten. Für alle Völker erwarb er das Heilsgut, von alle Völkern wird er die Heilsrechenschaft fordern. „Und es werden alle Völker vor ihm versammelt werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet“ (Mt. 25, 32)
So ist denn Jesus Christus universeller Retter und universeller Richter, so geht denn von ihm aus Leben und Tod für das gesamte Menschengeschlecht; die Rechtsbasis aber, gemäß welcher das Gericht erfolgt, ist die Stellungnahme zu Christus, dem Erlöser, und seiner Rettungstat. Wenn das aber der Fall ist, dann muss allen vor dem Gericht Gelegenheit geboten werden, Christus als Erlöser und Retter zu erkennen, Gelegenheit, sich zu entscheiden, das Heilsangebot ergreifen oder abzuweisen; denn von strafbarer Schuld kann nur dort die Rede sein, wo klare Erkenntnis und freier Wille sich betätigt haben. Die Heilsdarbietung ist die Voraussetzung des Heilsgerichtes, die Lehrtätigkeit unter den Völkern die Vorbedingung ihrer Belohnung oder Verurteilung, die Weltmission die Prämisse eines Weltgerichtes.
Christus selbst, er, der Richter, hat diesen Schluß gezogen. Ehe das Ende kommt, „wird dieses Evangelium vom Reich in der ganzen Welt allen Völkern zum Zeugnis gepredigt werden“ (Mk. 13, 10).
Die Weltmission ist mithin das göttliche Angebot an die Menschheit alles dessen, was an Heilswahrheiten und Heilsmitteln Christus uns erworben hat. Seine Verdienste und Gnaden sind ein Saatgut, das universelle Bestimmung in sich trägt. Hinaus soll es getragen werden in alle Welt, hinein soll es gestreut werden in alle Völker. Wenn Christus seiner Kirche dieses göttliche Saatgut anvertraute, so geschah es mit der Berechtigung, aber auch mit der Verpflichtung, es durch die Zeiten und Zonen zu tragen mit derselben alle umfassenden Liebe, mit derselben überreichlichen Fülle, mit demselben nie versagenden, nie kargenden Opfermut, mit denen es Christus erworben. An dieser Berechtigung und an dieser Verpflichtung nehmen wir alle teil, je nach Maßgabe unserer Stellung und unserer Kräfte. Sind wir nicht alle „als Glieder eines Leibes Christi berufen“ (Kol. 3, 15)? „Durch einen Geist sind wir alle zu einem Leib getauft, Juden und Heiden, Knechte oder Freie“ (1. Kor. 12, 13). Soll dieser Leib Christi sich auswachsen und alle Menschen umfassen, dann darf und kann „das Auge nicht zur Hand sagen: Ich bedarf deiner Dienste nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ihr seid mir nicht notwendig“ (1. Kor. 12, 21), dann müssen alle innigen Anteil nehmen an den hohen Aufgaben der Kirche den Menschen gegenüber.
Die Weltmission findet ihren endgültigen Abschluss im Weltgericht. Da wird sowohl die Opferfreudigkeit und Pflichttreue im Angebot als auch die Bereitwilligkeit in der Annahme zum Austrag gebracht werden.
An jenem Tage werden wir uns Gott und seinen Missionären gegenüber zu verantworten haben, wie wir das göttliche Angebot durch die Mission entgegen genommen, wie wir mit dem Heilsgut gewirkt, wie wir dasselbe bewahrt haben. Jene Männer, die wir heute als unsere Apostel und Patrone verehren, einen Bonifatius, einen Ludgerus, einen Kilian, sie werden dann mit Christus über uns Gericht halten. Und deshalb drängt der echte Missionsgeist zuerst und zunächst dahin, im eigenen Herzen, im eigenen Vaterland das heilige Glaubenslicht rein und hell und werktätig zu erhalten. –
aus: Robert Streit OMI, Missionspredigten, Bd. III, Das apostolische Werk, 1914, S. 133 – S. 140
siehe auch den Beitrag: Der Missionsbefehl Jesu