Die Apokalypse des hl. Johannes – Kap. 20, 1-6

Die Herrschaft Jesu und erste Auferstehung

Tausendjährige Gefangenschaft des Satans und tausendjähriges Reich Christi mit den Seinigen. Erste Auferstehung. Der Satan wird wieder los auf eine kleine Zeit. Gog und Magog. Auferstehung der Leiber. Jüngstes Gericht.

1. Und ich sah einen Engel nieder fahren vom Himmel, der hatte den Schlüssel des Abgrundes (1) und eine große Kette in seiner Hand.
2. Und er faßte den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan, und fesselte ihn auf tausend Jahre,
3. und warf ihn in den Abgrund, und verschloß und versiegelte über ihm, daß er nicht mehr verführe die Völker, bis tausend Jahre vollendet wären: und darnach muss er los gelassen werden auf eine kurze Zeit. (2)
4. Und ich sah Stühle, und sie setzten sich darauf, und es wurde ihnen gegeben, Gericht zu halten, und (sah) die Seelen derjenigen, die wegen des Zeugnisses Jesu und wegen des Wortes Gottes enthauptet worden sind, die weder das Tier, noch dessen Bild angebetet, noch dessen Malzeichen an ihrer Stirne oder an ihrer Hand empfangen haben: und sie lebten und regierten mit Christo tausend Jahre. (3)
5. Die übrigen Toten lebten nicht, bis daß tausend Jahre vollendet waren. (4) Dies ist die erste Auferstehung. (5)
6. Selig und heilig ist, wer Teil hat an der ersten Auferstehung (6): über solche hat der zweite Tod keine Gewalt (7), sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein, und mit ihm regieren tausend Jahre. (8)

Anmerkungen:

(1) Die Macht, die Hölle zu öffnen.
(2) Der Sinn dieser Bilder ist folgender: Wenn das römische Heidentum vernichtet ist, wird dem Satan auf eine unbestimmt lange Zeit die Gewalt genommen, die Völker auf solche Weise zu verführen, wie er es zur Zeit des römischen Heidentums getan. Sobald aber diese lange Zeit vorüber ist, wird ihm die vorige Gewalt wieder gegeben werden, aber nur auf kurze Zeit. – „Wenn das römische Heidentum vernichtet ist“; denn das gegenwärtige Gesicht reiht sich unmittelbar an das vorher gehende an, welches von der Vernichtung des römischen Heidentums handelt. Die Zeit der Vernichtung wird aber verschieden angegeben. Einige verstehen das Jahr n. Chr. 313, in welchem der Götzendienst durch Konstantin gestürzt ward; Andere rücken den völligen Sturz des Heidentums noch weiter hinauf. Da das Heidentum nicht plötzlich zu Ende ging, läßt sich dieser Zeitpunkt wohl nicht genau bestimmen. Nach diesem Zeitpunkt „wird dem Satan die Gewalt genommen, die Völker wie ehedem zu verführen“; denn die Ausdrücke, Binden, Verschließen und Versiegeln, deuten eben so wenig auf eine völlige Beschränkung der Verführungs-Kräfte des Satans als das Loslassen seine unbeschränkte Macht bedeutet. Offenbar stehen sie nur bezugsweise auf die im Heidentum geübte Macht des Satans, und wollen bildlich anzeigen, daß ihm nur die Macht, wie er sie im römischen Heidentum geübt, genommen sei. Diese Erklärung wird auch durch die Geschichte bestätigt. In keiner Zeit nach dem Sturz des Heidentums wurde das Christentum im Ganzen verfolgt, nie hatte ein Regent es auszurotten gesucht, wo es einmal festen Fuß gefaßt, nie wurde der Götzendienst wieder eingeführt, und nie kamen jene Gräuel wieder, welche damit verbunden waren. Indes war der Satan nicht ganz untätig. Hie und da wurde das Christentum selbst mitten unter Christen verunglimpft und verfolgt, durch Irrlehren entstellt, der Friede durch Krieg gestört, der feinere Götzendienst an die Stelle des Bilderdienstes gesetzt. – Die Einschränkung der satanischen Macht geschieht auf eine unbestimmte Zeit. Der Text sagt wohl Tausend Jahre; daß dies aber nur eine runde Zahl sei, geht schon daraus hervor, daß die letzte Zeit, welche nach den tausend Jahren schon eintritt, unbekannt bleiben soll (Matth. 24, 36; Mark. 13, 32; Apostelg. 1, 7). Nach dem heiligen Augustin und den besten Auslegern ist darunter die Zeit verstanden, die nach dem Sturz des Heidentums bis zur Endperiode verfließt. In der Endperiode wird dem Satan auf eine kurze Zeit seine vorige Gewalt wieder gegeben. Davon wird gehandelt Vers 7.
(3) Nachdem der Satan gefesselt, das Heidentum gestürzt war, begann die Herrschaft des Christentums. Die verklärten Heiligen, insbesondere die heiligen Märtyrer herrschten, und richteten mit Christo die tausend Jahre hindurch. Und den auf Stühlen sitzenden, sind überhaupt die seligen Christen verstanden; denn allen wahren Christen ist die Herrschaft mit Christo versprochen (1. Thess. 2, 12). Besonders werden die heiligen Märtyrer erwähnt; denn sie haben für Christum selbst ihr Leben gegeben. Die Herrschaft und das Gericht werden im Himmel geübt; denn nur Seelen, nicht in ihren Leibern erstandene Gerechte üben es aus. Die Herrschaft besteht in der Teilnahme an der Herrschaft Christi. Da Christus seine Kirche regiert, leitet und schützt, so nehmen die Heiligen Teil an dieser Regierung, und wenn wir sie in den Angelegenheiten unseres Heiles um ihren Schutz bitten, muss ihre Fürbitte für uns die größte Kraft haben, da sie Mitregenten mit Christus sind. Diese Herrschaft der Seelen dauert bis zur Endperiode, wo nach dem völligen Sieg über die letzten Anstrengungen des Heidentums das Gericht und die Auferstehung der Leiber erfolgt, die Herrschaft also nicht mehr von bloßen Seelen, sondern von Seelen ausgeübt wird, die mit verklärten Leibern bekleidet sind.
(4) Die übrigen Toten, die verstorbenen Gottlosen, die es mit dem Tier hielten, lebten nicht die tausend Jahre hindurch, lebten und regierten nicht mit Christo im Himmel der Seele nach; sondern waren wie am Leibe, so auch der Seele nach tot, vom Angesicht Jesu verworfen, aus dem Himmel ausgeschlossen, verdammt. Die Worte „lebten nicht“ sind der Gegensatz von dem im vorher gehenden Vers stehenden „lebten“. Wie dieses das selige Seelen-Leben der Gerechten bedeutet, so jenes Nicht-Leben den unseligen Seelen-Tod der Ungerechten. Bemerke auch: Die Phrase: lebten nicht bis daß etc. will nicht sagen, daß diese Toten nach vollendeten tausend Jahren der Seele nach zu leben anfingen, sondern wie das „bis daß“ häufig im biblischen Sprachgebrauch die Handlung nicht über den angegebenen Zeitpunkt fortführt, sondern überhaupt verneint: so ist auch hier diesen Toten das selige Seelen_Leben überhaupt abgesprochen.
(5) Dieses selige Seelenleben ist die erste Auferstehung, die Auferstehung des Menschen der Seele nach, sie geht der zweiten beim Gericht, wo der Körper ersteht und sich mit der Seele vereinigt, voran. In diesem Sinne ist auch die Erklärung zu fassen, wenn in den Noten zu Matth. 24, 28-31 von einer ersten und zweiten allgemeinen Auferstehung die Rede ist.
(6) Selig und heilig kann genannt werden, wessen Seele nach dem Tode des Körpers zu Christo in den Himmel kommt, um mit ihm zu leben, zu herrschen und zu richten. Dahin kommen jene Seelen, welche schon in diesem Leben wahrhaft durch die Gnade Gottes leben, und in dieser Gnade verscheiden: Darum nennt der Herr schon dieses Leben der Gnade auf Erden eine Auferstehung (Joh. 5, 25) so wie auch der Apostel Paulus (Ephes. 5, 14).
(7) Der erste Tod ist der Tod des Körpers, der zweite ist der Seelentod, die ewige Verdammnis (siehe Kap. 21, 8). Wer mit Christo lebt, hier zu leben in ihm angefangen hat, und in diesem Leben zu ihm hin verscheidet, der stirbt wohl den ersten Tod dem Leibe nach, aber nicht den Tod der Seele, den Tod der ewigen Verdammnis, sondern etc.
(8) sondern im Himmel, gleich, als wären sie Priester, Gott dienend, werden sie Teil nehmen an der Herrschaft Christi schon der Seele nach bis zur Endperiode, wo sie dann auch dem Leibe auferstehen und in vollendeter Herrlichkeit fortleben und fort herrschen werden in alle Ewigkeit. –
aus: Joseph Franz Allioli, Die Heilige Schrift des alten und neuen Testamentes. Aus der Vulgata, 6. Bd. 1838, S. 486 – S. 488