Apokalypse – Die zwei Tiere
Die zwei Tiere. Kap. 13 Vers 11-15. Das zweite Tier der Lügenprophet
So oft Johannes fortan das zweite Tier erwähnt, nennt er es den „Lügenpropheten“ (16, 13; 19, 20; 20, 10), während das Tier aus dem Meer schlechthin „das Tier“ heißt. Stellt also das erste Tier den Antichristen als einen endzeitlichen Herrscher dar, die dämonische Verkörperung, den Träger aller gottesfeindlichen Staatsgewalt, den teuflischsten aller Verfolger des Gottesreiches, gesellt sich in dem Tier aus der Erde eine Prophetengestalt hinzu, eine Persönlichkeit, die der Inbegriff, der dämonische Repräsentant der widergöttlichen und christushassenden Geisteskultur, Künder einer nicht mehr an einen persönlichen Gott gebundenen, sondern ausschließlich dem Antichristen dienenden Staatsreligion ist. Jesus hatte von einer Vielheit von falschen Christussen und falschen Propheten gesprochen (Mark. 13, 22). Wie nun im Antichristen die Attribute der verschiedenen vorauf gegangenen trügerischen Erlöser-Gestalten und Feindmächte sich vereinen, so in diesem Tier aus der Erde die Kennzeichen der falschen Propheten. Nach außen gleicht es einem Lamm, täuscht also die Gestalt des Gotteslammes vor. Tut es aber den Mund auf, so wird seine wahre Gesinnung offenbar, denn „es redet wie ein Drache“. (siehe auch den Beitrag: Wer ist der falsche Prophet des Antichristentums?) Der Anklang an die Warnung des Herrn vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern auftreten, innen aber reißende Wölfe sind, ist deutlich. Schein und Sein stehen im Widerspruch. Unwahrhaftigkeit ist sein Wesenszug. So verrät es seine Verwandtschaft mit dem teuflischen Drachen, dem Vater der Lüge. Jung-Stilling hat diese drei, den Drachen, das Tier aus der Erde, die „satanische Dreieinigkeit“ genannt. In ihnen erreicht die Nachäffung des Göttlichen und Christlichen den Höhepunkt. Nach außen werden die Formen der Religion Christi beibehalten, aber sie sind ihres echten Gehaltes entleert und mit dem Geist des Drachen gefüllt. Die christlichen Worte werden weiter gebraucht, aber diese Worte haben ihre ursprüngliche Bedeutung gewechselt. Das geschieht bewußt; denn so gelingt das Wegziehen der Menschen von der Wahrheit zur Lüge, ohne daß die Mehrheit etwas davon merkt.
Indem nun Johannes die Tätigkeit des zweiten Tieres schildert, entnimmt er, ähnlich wie beim ersten, die Farben des Bildes aus seiner Umwelt. Aber der Sinn der Wissen erschöpft sich nicht im Zeitgeschichtlichen, geht vielmehr aufs Endgeschichtliche. Der Lügenprophet hat seine eigentliche Aufgabe in der Werbetätigkeit für den Antichristen. Wie der Drache diesem seine Gewalt übertragen hat (13, 2 u. 4), so geht sie nun auf den Lügenpropheten über. Und er weiß von dieser Vollmacht so erfolgreich Gebrauch zu machen, daß „die Erde und ihre Bewohner“ also wiederum alle, die als Erdenpilger nicht im Himmel ihre Heimstätte haben, dem ersten Tier göttliche Verehrung erweisen. Die geheilte Todeswunde wird besonders erwähnt. Niemand soll darum je glauben, das Böse sei endgültig überwunden und der Böse für immer aus der Welt verjagt, wenn einmal dem Guten zeitweise eine größere Entfaltungs-Möglichkeit belassen ist. Solange diese Weltzeit dauert, muss mit den Intrigen des Teufels gerechnet werden. Wer nicht damit rechnet, erweist seinem Propheten den größten Gefallen. Nur während der tausendjährigen Fesselung des Drachen ist dessen verführerische Tätigkeit unterbrochen (20, 3).
„Mächtig in Wort und Werk“ werden Moses und Christus als Propheten genannt (Luk. 24, 19; Apg. 7, 22). Auch die Werbetätigkeit des Lügenpropheten für den Antichristen beschränkt sich nicht aufs Lehren. Er wirkt „große Zeichen“, so daß in Erfüllung geht, was Jesus von den falschen Propheten allgemein und und Paulus vom Antichristen im besonderen voraus gesagt hatten (Mark. 13, 22; 2. Thess. 2, 9f.). Die Masse ist stets wundersüchtig und will ihre Sensation haben. Jesus hat die Forderung von bloßen Schauwundern abgelehnt, nicht nur gegenüber dem Versucher in der Wüste (Matth. 4, 1-11; Luk. 4, 1-13), sondern auch im öffentlichen Leben bis ans Kreuz (Matth. 12, 38f.; 16, 1ff.; Luk. 23, 8; Mark. 15, 29ff.). Dem Lügenpropheten dagegen sind die Blendwunder ein Haupt-Propagandmittel. Darum hütet er sich, wie es kleinere Geister als er gerne machen, den Wunderglauben mit billigem Spott abzutun; er missbraucht ihn vielmehr zu seinen Zwecken. Ähnlich wie Elias (3. Kön. 18, 38; 4. Kön. 1, 10) läßt er sogar Feuer vom Himmel fallen, wobei ihm wohl die Kenntnis verborgener Naturkräfte zugute kommt. So stellt er scheinbar „das Recht seiner Herrschaft und die Wahrheit seiner Botschaft fest. Wer kann noch an ihnen zweifeln, wenn sogar das himmlische Feuer, der Blitz, seinem Wort gehorcht? Die Christenheit, für die kein Blitz vom Himmel fällt, die vielmehr wehrlos leidet und hilflos stirbt, scheint widerlegt zu sein“ (A. Schlatter 99).
Der Eindruck der Scheinwunder auf die leichtgläubige und kritiklose Menge ist um so größer, weil sie „vor den Augen des Tieres“, also des Antichristen, gewirkt werden. Die Warnung des wahren und größten Wundertäters: „Seht euch vor, daß euch niemand verführe (Mark. 13, 5), bleibt unbeachtet. Die Verführten lassen sich sogar bereden, ein Kultbild für das Tier anzufertigen und aufzustellen. Dabei werden sich viele beeilt haben, durch besondere Willfährigkeit und tatkräftige Förderung des vom Lügenpropheten angeregten Planes bei diesem und beim Antichristen sich in empfehlende Erinnerung zu bringen. Ist das Tier aus dem Meer mit seiner geheilten Todeswunde nicht selber ein lebendiges Wunder? Diese Schwertwunde wird als charakteristisches Merkmal an dem Kultbild deutlich in Erscheinung getreten sein. Das wäre dann nicht nur eine Nachahmung der Schlachtwunde des Lammes Gottes, sondern auch eine Karikatur der glorreichen Wundmale des auferstandenen Erlösers. Die auffällige Verwendung des männlichen statt des sächlichen Fürwortes nach „Tier“ verstärkt diese Vermutung. Die rasche Verführung der Menge zur Herstellung des Kultbildes erklärt sich aus der Beliebtheit des Bilderdienstes im Orient. In der apokryphen „Himmelfahrt des Isaias“ heißt es vom Antichristen ebenfalls: „Er wird sein Bild vor sich aufstellen in allen Städten“ (4, 6). Aus Daniel (3, 1ff.) war den Lesern der Apokalypse die riesenhafte Götzenbild-Säule Nabuchodonosors bekannt; und die Städte Kleinasiens überboten sich in der Errichtung von Kaiser-Standbildern. Das erste Gebot des Dekalogs ließ keinen Zweifel über die Sündhaftigkeit solchen Treibens zu.
Die Aufstellung des Tierbildes
Die Aufstellung des Tierbildes mit der geheilten Schwertwunde ist dem schlau berechnenden Lügenpropheten nicht Selbstzweck; ein Wahrzeichen der Macht und Gegenwart des Herrschers war dadurch geschaffen. Wie zum Dank dafür verleiht der Antichrist seinem eifrigen Helfer die Macht, das Bild sogar lebendig zu machen, so daß es zu reden beginnt. Oder sollte auch hier Gott selbst als der Geber dieser Macht gemeint sein? Ohne seine Zulassung konnte es nicht geschehen. Ist das wirklich der Sinn, so gibt der Satz von neuem den Christen zu bedenken, daß der Herr im Himmel um alle Erfolge seiner Feinde auf Erden weiß und sie in die ewigen Pläne seiner Vorsehung einbezogen hat. In dem Blendwerk des redenden Bildes will der Lügenprophet wohl die Erschaffung des ersten Menschen nachahmen. An wirkliche Belebung brauchen wir nicht zu denken. Berichte über ähnliche Erscheinungen im Altertum sind häufig. Da die nicht steinernen Statuen hohl waren, konnte sich jemand darin verbergen und reden, wenn nicht Bauchreden eines Daneben-Stehenden in Frage kommt. Bei der berühmten „klagenden Statue des Memnon“ in Oberägypten handelte es sich wahrscheinlich nu um Schwingungen des Steins unter Einwirkung der Sonne (vgl. Ketter, Im Lande der Offenbarung 1931, 233f.). Die von dem „Wunder“ begeisterten Menschen huldigen anbetend dem redenden Bild. Jene aber, die ihm die Anbetung verweigern, werden getötet. Der Befehl dazu wird wohl von dem sprechenden Bild erteilt, die Vollstreckung jedoch durch die öffentliche Gewalt besorgt. Sie glaubt, dazu berechtigt zu sein. Was wollen denn diese Widerspenstigen und Unbelehrbaren noch mehr? Sie sehen doch mit eigenen Augen in dem redendenKultbild des Tieres die Widerlegung dessen, was sie in ihren Gottesdiensten so oft behaupten. Wenn nämlich die Heiden höhend fragen: „Wo bleibt denn ihr Gott?“, geben sie zur Antwort: „Unser Gott, der ist im Himmel, er kann alles, was er will, vollbringen. Ihre Götzen aber sind von Silber und von Gold, Gebilde nur von Menschenhänden. Sie haben einen Mund und reden nicht…, sie geben keinen Laut mit ihrer Kehle“ (Ps. 115 [113b], 2 ff.). Aber der im Himmel wohnende Gott greift nicht ein, um die Seinen zu retten. Wie viele trotzdem standhaft die Anbetung des Tierbildes verweigern und ihre Treue mit dem Leben besiegeln, sagt der Seher nicht. Obgleich keiner begnadigt wird, folgt aus dem Satz nicht die völlige Austilgung des christlichen Bekenntnisses durch das Martyrium aller Christen in der Endzeit. Viele werden den Häschern entgangen sein. Der Kampf geht ja im Folgenden weiter (14, 1ff.; 16, 16; 17, 6 u. 14; 19, 5; 20, 9). Schonend erwähnt der Seher nichts von den Abtrünnigen. Daß es deren aber viele geben wird, hat Jesus selbst voraus gesagt (Matth. 24, 5). –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 200 – S. 203
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