Apokalypse – Die zwei Tiere
Die zwei Tiere. Kap. 13 Vers 10. Gott schickt einen starken Irrwahn
Mit dem in der Tiervision unseres Kapitels vom Antichrist Ausgesagten deckt sich das Bild der paulinischen Apokalypse. Um den falschen Parusie-Erwartungen der Thessalonicher entgegen zu treten, weist Paulus sie auf die Tatsache hin, daß der „Tag des Herrn“, das Endgericht, nicht kommt, ehe der Antichrist auf Erden erschienen ist: „Denn es geschieht nicht, ohne daß vorher der Abfall kommt und der Mensch der Gesetzlosigkeit offenbar wird, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles erhebt, was Gott oder Heiligtum heißt, so daß er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und von sich selbst behauptet, er sei Gott.“ Wenn einmal „das Geheimnis der Gesetzlosigkeit am Werke ist“, also die Menschen sich um Gott und sein Gesetz nicht mehr kümmern, naht die Zeit des Antichristen. „Seine Ankunft vollzieht sich unter Wirksamkeit des Satans mit allerlei Macht und trügerischen Zeichen und Scheinwundern, mit jeder Art ungerechter Verführung für jene, die verloren gehen, zur Vergeltung dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit verschmähten, durch die sie gerettet worden wären. Deshalb schickt ihnen Gott einen starken Irrwahn, damit sie der Lüge Glauben schenken“ (2. Thess. 2, 3ff.). Der Antichrist wird demnach kein Kollektivwesen sein, keine bloße gottlose und gottfeindliche Geistesrichtung oder öffentliche Meinung, sondern eine Despoten-Persönlichkeit im unmittelbaren Dienst Satans gegen Gott und Gottes Reich auf Erden. Er „ist eine menschliche Gestalt, die den Christus nachahmt, nur nicht in seinem Leiden und Sterben, nicht in seiner Liebe“ (Phil. Dessauer 108).
Wenn also Johannes bei der Zeichnung des Antichristen im Bild des Tieres aus dem Meer die Farben zwar aus den damaligen Verhältnissen im Römerreich entnommen hat, so wollte er doch weder dieses Weltreiches noch einer seiner Imperatoren als das aus dem Meer aufsteigende Tier darstellen. Weil auch die Vertreter der Staatsgewalt das gemerkt hätten, würde der Seher mit seiner visionären Allegorie den Christen-Gemeinden mehr geschadet als genützt haben. Anderseits tat es not, niemand in Zweifel darüber zu lassen, was es mit der Benennung der Kaiser mit göttlichen Titeln, mit der ihnen gezollten Anbetung und mit dem von ihnen geführten Vernichtungskrieg gegen die Christen in Wahrheit für eine Bewandtnis habe. Das ist, aus übergeschichtlicher Sicht geschaut und beurteilt, Teufelswerk und Teufelskult. Dem darf sich ein Jünger Jesu niemals beugen, auch dann nicht, wenn „alle, die auf der Erde wohnen“, es tun. Denn diese alle gehören zu den von jeher im Urteil Gottes Verworfenen.
Warum aber schaute Johannes den Antichristen in dieser furchtbaren Tiergestalt und nicht als einen Menschen, der Schrecken um sich verbreitet? „Es ist die alte Wahrheit, daß Humanität ohne Divinität zur Bestialität entartet… Erst im Reich Gottes kommt das wirkliche, das heißt das Gott ebenbildliche Menschentum zur Erscheinung und zur Geltung. Der König des Reiches Gottes ist „der Menschensohn“. Der letzte und machtvollste Herrscher des Weltreiches aber ist das „Tier“. Er ist alles wahrhaft und Gott ebenbildlich Menschlichen ganz verlustig gegangen. Sein ganzes Wesen ist im eigentlichsten Sinne tierisch geworden“ (B. Keller, Die Offenbarung des Johannes 235). Nietzsches Wort von der „blonden Bestie“ kennzeichnet das Ideal derer, die das Tier aus dem Meer anbeten, weil sie nicht wollen, daß „dieser (Christus) als König über sie herrsche“ (Luk. 19, 14). Es geht also auch in dieser Vision um letzte Triebkräfte der geschichtlichen Entwicklung. In ihren äußeren Belangen wird die Kirche stets der widergöttlichen Gewalt unterliegen, sobald diese in in totalitärem Machtanspruch sich selbst an Gottes Stelle setzt. Die Kirche kann und darf nicht mit unmoralischen Waffen kämpfen. Die Massen aber werden begeistert stets den Erfolg anbeten. Trotzdem waltet über allem eine andere Macht, die warten kann, weil ihr Ewigkeiten zu Verfügung stehen. Und dieses Warten können in fester Entschlossenheit aus Glaubensüberzeugung ohne jede Illusion wird den „Heiligen“ als stärkste Waffe empfohlen. Auch hier besagt also die geduldige Ausdauer, die „hypomonē“, alles andere als ein resigniertes, tatenloses Verzichten auf jeden Widerstand oder ein grundsatzloses Gutheißen bedenklicher Kompromisse. Es ist vielmehr die innere Wahrhaftigkeit des eindeutigen Neinsagens zu allem, was Gottes Rechte verletzt, und des tapferen Jasagens zu dem, was an Leid und Not daraus folgt. Wer das vermag, hat die stärkste Kraftprobe bestanden; denn er beweist Märtyrergeist. An dieser granitenen Festigkeit eines gläubigen Gewissens zersplittern alle Drohungen äußerer Übermacht. Da geht es im eigentlichen Sinne hart auf hart. –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 198 – S. 199
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