Die Apokalypse des hl. Johannes – Kap. 20, 1-15

Die Universelle Herrschaft von Jesus Christus

Die Worte des hl. Paulus an die Thessalonicher (1) beweisen eindeutig, dass der Antichrist ein bestimmtes Individuum sein muss, und unser Studium der Apokalypse zeigt, dass er in der Welt noch nicht erschienen ist. Aber praktisch alle Ausleger, die diese Schlussfolgerungen akzeptieren, nehmen die Herrschaft des Antichristen als Vorspiel für das letzte Gericht und das Ende der Welt. Im Gegensatz zum reinen Sinn der Heiligen Schrift setzen sie dann die universelle Herrschaft Christi vor die Zeit des Antichristen. Dies wiederum macht die Ankettung des Drachen zu einem schwierigen Problem. Einige beziehen sich auf die Zeit des Todes unseres Erretters oder auf den Pfingsttag. Andere bestimmen den Tag der Bekehrung Konstantins, die Herrschaft Karls des Großen, den Fall des Westlichen Imperiums oder die Einnahme Konstantinopels durch die Türken – alles rein willkürliche Termine, wie ihre großen Unterschiede zeigen.

Eine sorgfältige Lektüre der Apokalypse zeigt deutlich, dass der Antichrist lange Jahrhunderte vor dem letzten Gericht und dem Ende der Welt erscheinen wird. Tatsächlich wird seine Herrschaft nur der letzte Versuch Satans sein, die universelle Herrschaft Christi in der Welt zu verhindern. Seit dem Pfingsttag befindet sich die Kirche im ständigen Krieg. Das Judentum war ihr erster Feind; dann folgten Arianismus, Mohammedanismus, das griechische Schisma, die Reformation und geheime Gesellschaften, die Atheismus und Rationalismus fördern. Heute kämpft sie auch gegen Indifferentismus und eine Wiederbelebung des Heidentums. Die Herrschaft des Antichristen soll der endgültige Konflikt in diesem anhaltenden Kampf mit den Mächten der Finsternis sein.

Nach der Niederlage des Antichristen werden die heidnischen Völker in die Kirche zurückkehren und die Juden werden in ihren Schoß hereinkommen. Dann werden sich die Worte Christi erfüllen: „Es wird eine Herde und einen Hirten geben.“ (2) Unglücklicherweise werden Sünde und Böse nicht vollständig verschwunden sein, das Gute und das Böse werden immer noch in der Kirche vermischt sein, obwohl das Gute vorherrschen wird. Nach vielen Jahrhunderten, symbolisiert durch tausend Jahre, wird der Glaube nachlassen und die Nächstenliebe erkalten als ein Resultat des langen Friedens und der Sicherheit, die die Kirche genießt. Dann wird Satan, der für kurze Zeit nicht angekettet ist, viele Nationen verführen (Gog und Magog), um gegen die Kirche Krieg zu führen und die Gläubigen zu verfolgen. Diese abtrünnigen Nationen werden sofort von einer Flut von Feuer überwältigt, und die Kirche wird wieder triumphierend hervorgehen. Das allgemeine Gericht und das Ende der Welt sind dann nahe bevorstehend. Die Menschen werden in täglicher Erwartung leben, bis unser Herr in den Wolken mit der Jähheit eines Blitzes erscheint. (3) Dann werden alle Menschen zum Gericht versammelt werden.

Die Gründung der Kirche über alle Nationen ist auf fast jeder Seite der Heiligen Schrift vorhergesagt. „Er wird herrschen von einem Meer zum andern, und vom Flusse bis an die Grenze der Erde… Und alle Könige der Erde werden ihn anbeten; und alle Völker ihm dienen.“ (4) „Alle Nationen, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten o Herr.“ (5) „Sein Reich wird sich vervielfachen und der Frieden wird kein Ende haben.“ (6) „Sein Königreich ist ein ewiges Königreich, und alle Könige werden ihm dienen und ihm gehorchen.“ (7) „Er wird Frieden den Heidenvölkern verkünden und seine Macht wird von Meer zu Meer reichen, von den Flüssen bis an die Enden der Erde.“ (8)

Die Apostel wurden ausgesandt, um das Evangelium allen Völkern und allen Geschöpfen zu predigen (9), und der hl. Paulus wendet auf sie die Worte des Psalmisten an: „Ihr Schall ist über die ganze Erde ausgegangen und ihre Worte bis an die Enden der ganzen Welt.“ (10) Kann man annehmen, dass diese Prophezeiungen durch die Bekehrung einiger tausend Seelen in den verschiedenen heidnischen Ländern der Welt erfüllt wurden? Können wir zugeben, dass eine vom Heidentum durchtränkte, und von Schisma und Häresie zerrissene Welt das einzige Ergebnis des Todes Christi am Kreuz ist? Ein solches Eingeständnis ist notwendig, wenn die Schließung des Abgrunds und die Bindung Satans an den Beginn des Christentums und die tausend Jahre der Herrschaft Christi vor der Niederlage des Antichristen gesetzt werden.

Die oben zitierten Prophezeiungen und Hunderte von anderen, die in den Schriften verstreut sind, stellen sicher, dass die Herrschaft Christi wirklich universell sein wird. Nachdem die Heidenvölker zum Glauben zurückgekehrt sind, werden sich die Juden auch dem Joch des Evangeliums unterwerfen. Der heilige Paulus legt dies sehr deutlich dar: „Die Blindheit eines Teiles von Israel dauert, bis die Fülle der Heideneingegangen ist. Und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: „Aus Sion wird der Retter kommen, der da wegnimmt und abwendet die Bosheit von Jakob.“ (11) Wieder schreibt er: „Wenn ihr Verlust (der Juden) die Versöhnung der Welt ist, was wird ihre Aufnahme anders sein als Aufleben von den Toten?“ (12)
Diese Prophezeiungen werden sich nicht vor der Zeit des Antichristen erfüllen, da die Apokalypse eindeutig zeigt, dass er in eine Welt kommen wird, die von Heidentum, Abtrünnigkeit, Schisma und Ketzerei drangsaliert wird. (13) Die Juden, die noch nicht bekehrt sind, werden ihn als Messias akzeptieren und in seinem Krieg gegen die Kirche unterstützen. Erst nach der Niederlage des Antichristen und der Rückkehr der heidnischen Völker zum Glauben werden die Juden Christus als den wahren Messias akzeptieren. Dann wird die universale Herrschaft Christi über alle Völker, Stämme und Zungen beginnen.

Nach der Zerstörung Roms in den Tagen des Antichristen bleibt es für immer nur ein Trümmerhaufen und der Ort der schmutzigen Tiere; „diese große Stadt soll überhaupt nicht mehr gefunden werden.“ Diese Tatsache im Zusammenhang mit den vielen Prophezeiungen über die zukünftige Herrlichkeit Jerusalems rechtfertigt den Glauben, dass es von der Zeit des Antichristen bis zur Vollendung der Welt die Stadt der Päpste und die Hauptstadt der Christenheit werden wird. Wir glauben, dass dies nicht gegen die Lehre der Kirche ist. Viele Theologen sind der Ansicht, dass das Papsttum durch die göttliche Institution mit dem Bistum Rom verbunden ist; dies kann jedoch kein Glaubensartikel sein, weil er weder in der Schrift noch in der Tradition enthalten ist. Es ist Glaube, dass der Nachfolger von St. Peter das Oberhaupt der Kirche ist, und in der gegenwärtigen Ordnung der Dinge ist es auch Glaube, dass der Bischof von Rom der Nachfolger von St. Peter ist. (14)

Die Übertragung des Papsttums von Rom nach Jerusalem könnte durch Erlass eines mit dem Papst handelnden Konzils oder durch direktes Eingreifen der göttlichen Vorsehung erfolgen. Die Propheten des Alten sagen die zukünftige Herrlichkeit Jerusalems voraus, wenn sie wieder zur Heiligen Stadt und zur geistigen Hauptstadt der Welt werden wird, von der die Wasser des Heiles allen Völkern zufließen wird. Es soll auch die Hauptstadt eines jüdischen Volkes werden, das sich erneut um sie versammelt. Einige Texte reichen aus, um diese Punkte festzulegen.

„Frohlocket und jauchzet, dir ihr zu Sion wohnt: denn groß in deiner Mitte ist der Heilige Israels.“ (15)
„Singe Lob und freue dich, Tochter Sion; denn siehe, ich komme und werde wohnen in deiner Mitte, spricht der Herr. Und viele Völker werden sich an den Herrn anschließen zu jener Zeit, und werden mein Volk sein, und ich werde in deiner Mitte wohnen.“ (16)
„Und es wird einen Tag geben, der dem Herrn bekannt ist. . . . Und an jenem Tag soll lebendiges Wasser von Jerusalem ausgehen: die Hälfte bis ins östliche Meer, und die Hälfte davon ins äußerste Meer; Sommer und Winter durch wird es bleiben. Und der Herr wird König über die ganze Erde; an jenem Tag wird Ein Herr sein, und sein Name wird Einer sein. … und Bann wird nicht mehr sein; sondern Jerusalem wird sicher thronen.“ (17)
„Zu dieser Zeit wird man Jerusalem heißen: der Thron des Herrn; und es werden sich dahin versammeln alle Völker im Namen des Herrn zu Jerusalem, und werden nicht mehr wandeln nach der Bosheit ihres so überaus bösen Herzens.“ (18)
„So spricht der Herr der Heerscharen: Ich kehre wieder nach Sion, und werde wohnen in Jerusalems Mitte: und Jerusalem wird heißen die Stadt der Wahrheit, und der Berg des Herrn der Heerscharen, … Siehe, ich erlöse mein Volk aus dem Lande des Aufgangs und aus dem Lande des Untergangs der Sonne. Und ich will sie herbeiführen, und sie sollen zu Jerusalem wohnen, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein, in Wahrheit und Gerechtigkeit. … Und es wird geschehen: gleichwie ihr, Haus Juda und Haus Israel, verflucht wart unter den Heiden: also will ich euch erlösen, und ihr werdet zum Segen sein.“ (19)

Diese und ähnliche Prophezeiungen erregten in der jüdischen Brust eine bange Sehnsucht nach dem herrlichen Erwachen Israels. Die Menschen freuten sich auf den lang erwarteten Messias als großen Anführer der Restauration. Die Apostel teilten diese Erwartung ihrer Landsleute. Als unser Herr ihnen sagte, dass der Heilige Geist bald über sie kommen würde, sagten sie: „Herr, willst du zu dieser Zeit das Königreich wieder in Israel wiederherstellen?“ Christus sagte ihnen nicht, dass ihre Erwartungen vergeblich waren. Er sagte nur: „Es ist nicht an euch, die Zeiten oder Zeitpunkte zu kennen, die der Vater in seine eigene Macht gelegt hat.“ (20) Er sagte ihnen tatsächlich, dass das Königreich nach Israel zurückkehren würde, aber es war nicht für sie, die Zeit zu kennen, weil der Vaters sie nicht offenbart hatte.

Anmerkungen:

(1) 2. Thess. 2, 8.
(2) Joh. 10, 16.
(3) Matth. 24, 27.
(4) Ps. 71, 8, 9.
(5) Ps. 85, 9.
(6) Is.9, 7.
(7) Dan. 7, 27.
(8) Zach. 9, 10.
(9) Matth. 28, 16; Luk. 16, 15.
(10) Röm. 10, 18; Ps. 18, 5.
(11) Röm. 11, 25, 26; Is. 59, 20.
(12) Röm. 11, 15.
(13) Apok. 9, 20, 21.
(14) Tanquery, „Synopsis Theol. Dogm.“ pp. 383-4.
(15) Is. 12, 6.
(16) Zach. 2, 10, 12.
(17) Zach. 14, 7-11.
(18) Jer. 3, 17.
(19) Zach. 8, 3, 7, 8, 13.
(20) Apostelg. 1, 2. –
aus: Rev. E. Sylvester Berry, Die Apokalypse des heiligen Johannes [The Apocalypse of St. John, Columbus, OH: John W. Winterich, 1921], S. 189-195; mit Imprimatur; eigene Übersetzung