Gottvater, ein Engel mit dem Flammenschwert zu Eva gewandt, ein anderer Engel mit einem Zweig zu Maria gewandt

P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
1. Von den sieben Hauptsünden

Wann sündigt man durch Zorn?

Wenn man bei Widerwärtigkeiten sich erbittert, ungebührlich aufbraust und sich zur Rache hinreißen läßt.

Der Zorn ist eine unordentliche Aufwallung des Gemütes über vermeintliches oder wirkliches Unrecht oder über irgend etwas anderes, das uns zuwider ist. Diese Gemütserregung ist gewöhnlich verbunden mit der Begierde, sich zu rächen. Wird z.B. jemand von einem andern durch Wort oder Tat beleidigt, oder bildet er sich ein, beleidigt worden zu sein, so pflegt in seinem Herzen eine Aufregung zu entstehen, welche gegen die Person des Beleidigers gerichtet ist, und die ihn antreibt, sich durch sofortige Rache für das zugefügte Unrecht Ersatz zu verschaffen.

Mit dem sündhaften Zorn darf jedoch nicht der gerechte Unwille, die begründete Entrüstung verwechselt werden, die beim Anblick eines Vergehens aus Liebe zur Ordnung, Gerechtigkeit und Religion entspringt. Eine derartige Entrüstung ist keineswegs unordentlich zu nennen; sie ist vielmehr gut und lobenswert, indem sie zur Verhinderung des Bösen und zur Förderung des Guten nicht wenig beiträgt. Von diesem heiligen Zorn redet der königliche Prophet, wo er sagt: „Zürnet ihr, so sündiget nicht.“ (Ps. 4, 5) Von demselben war auch der sonst so sanftmütige Heiland erfaßt, als er die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel hinaustrieb. (Joh. 2, 17) Ungeordnet und darum sündhaft ist die Entrüstung dann, wenn sie sich gegen einen Unschuldigen richtet, oder wenn man dabei ein vernünftiges Maß überschreitet. Sie ist schwer sündhaft, wenn man dem Nächsten ernstlich ein großes Übel wünscht oder zuzufügen sucht; desgleichen, wenn sie sich in schlimmen Flüchen oder Gotteslästerungen Luft macht, oder wenn sich jemand so weit davon fortreißen läßt, daß er sich wie ein Rasender gebärdet, alles, was ihm in die Hände fällt, zertrümmert und vernichtet.

Daß der unberechtigte Zorn viele und schwere Sünden gegen die Nächstenliebe, nämlich Haß, Feindschaft, Streit, Verwünschungen, Beschimpfungen, Schlägereien, Verwundungen und selbst Totschlag herbeiführe, ist schon beim fünften Gebot dargetan worden. Beispiele dafür bietet das tägliche Leben in Fülle. Auch die Hl. Schrift enthält verschiedene Beispiele, die uns zeigen, wie der Zornige selbst vor dem Mord nicht zurückbebt. So wollte Esau in der Aufwallung des Zornes seinen Bruder Jakob umbringen (1. Mos. 27, 51), und Absalom tötete, von dieser Leidenschaft hingerissen, seinen Bruder Amnon wirklich. (2. Kön. 13) „Der Zorn“, sagt daher der hl. Basilius (Homilie 10), „schärft den Mordstahl und taucht denselben in das Blut des Mitmenschen; im Zorne verleugnet der Bruder den Bruder, Väter und Kinder hören nicht mehr die geheiligte Stimme der Natur. Der Zornige kennt sich selbst nicht mehr, wie sollte er noch seine Angehörigen kennen? In seinem wilden Ungestüm gleicht er dem Bergstrom, der ins Tal herabstürzt und alles mit fortreißt, was ihm in den Weg tritt. Nichts vermag den wie von Raserei Ergriffenen in den Schranken des Anstandes zu halten, weder die Ehrfurcht vor grauen haaren, noch die einem tugendsamen Wandel schuldige Achtung, noch die Bande des Blutes, noch die Bande des Blutes, noch die Dankbarkeit für geleistete Dienste.“ „Der Zornige“, spricht der hl. Chrysostomus (Rede 8 gegen die Juden), ist gleich dem Betrunkenen. Auch ihm schwillt das Gesicht auf, auch seine Stimme wird heftig, seine Augen sind mit Blut unterlaufen, sein Verstand umnachtet, seine Einsicht verkümmert, seine Zunge zittert, seine Augen verdrehen sich, seine Ohren hören nicht recht, in seinem Innern erhebt sich ein Sturm und ein Gewitter, das sich nicht mehr stillen lassen will. Um all dieser verderblichen Folgen willen mahnte der Apostel die Christgläubigen zu Ephesus (4, 31) so nachdrücklich: „Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung werde weggeschafft aus eurer Mitte samt aller Bosheit.“

Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 352-354