Die Botschaft von Fatima für die heutige Zeit
Warum Gott sich von der Menschheit abwendet
Wir wissen alle aus der Glaubenslehre, daß in der Lehre Christi und seiner Kirche alle Wahrheiten enthalten sind, die wir zu einem wahren Christenleben brauchen, und daß darum die allgemeine Offenbarung abgeschlossen ist. „Der Geist der Wahrheit“ aber, von dem der Herr uns verheißen daß „er uns in alle Wahrheit einführen werde“ und daß er von dem, was des Vaters und des Sohnes ist“ (vgl. Joh. 16,13), er hat unleugbar immer wieder im Laufe der Zeiten auf wenig beachtete und verstandene oder mehr in Vergessenheit geratene Wahrheiten in verschiedener, von ihm auserwählter Weise hingewiesen und sie nachdrücklich in lebendigere Erinnerung gebracht.
Wir wissen auch, daß in den unendlichen Verdiensten, die uns der Gottmensch durch sein welterlösendes Leben, Lieben und Leiden erworben hat, alle Gnaden im Überfluß enthalten sind, die wir brauchen, um das Böse in und um uns zu überwinden, um die gottgegebenen Gebote zu halten, die geistige Gestalt Christi in uns auszuprägen und damit wieder vollkommene Kinder des himmlischen Schöpfers und Vaters zu werden. Es läßt sich aber wiederum nicht leugnen, daß heute auch in Ländern, die sich noch christlich nennen, nicht bloß der Glaubensgeist weithin verflacht und geschwunden ist, und daß man sich vielfach über die Gebote Gottes hinweg setzt, als würden sie für unsere Zeit nicht mehr gelten; es scheint heute sogar der Begriff der Sünde selbst und der rechten Ordnung überhaupt in einem erschreckenden Ausmaß geschwunden zu sein. Es ist beinahe ein oft wiederholter, aber nur zu wahrer Gemeinplatz geworden, daß auch in anderen Zeiten gesündigt wurde, daß man aber wohl niemals so wie heute die Unordnung und die Sünde, d.h. die Übertretung der Gebote des Schöpfers und der Forderungen des Erlösers, nicht bloß zu entschuldigen und zu beschönigen, sondern sogar zu rechtfertigen, wenn nicht zu verherrlichen suchte. – Die notwendige Folge davon ist, daß die Menschheit sich immer mehr von Gott und damit von ihrem eigentlichen Ziel und Glück entfernt, daß sie die Auswirkungen dieser Gottentfremdung in ihrer anscheinend ausweglosen Lage und Not zu spüren bekommt und daß sie „das Opfer ihrer eigenen Verkehrtheit“ wurde, wie Papst Pius XII. in seinem Weihegebet an das Unbefleckte Herz Mariens sagte. (A.A.S. 1942, S. 318,324,345)
Ist es nicht seiner unendlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit schuldig, daß er sich gleichsam entrüstet abwende von einer Menschheit, die nicht bloß das in ihre Natur hinein geschriebene Gesetz des Schöpfers geradezu mit Füßen tritt, sondern auch die übergroße Liebe des Erlösers zurückweist und das ganze Werk der Menschwerdung Gottes und der Erlösung sozusagen zur Nutzlosigkeit verurteilt? Und wo könnte die Menschheit dann noch Hilfe finden, wenn sie den einzigen, nie versagenden Helfer sich durch ihre Schuld entfremdet hat?
aus: Ferdinand Baumann SJ, Fatima und die Rettung der Welt, 1951, S. 123-125