Vom Urzustand des Menschen und seinem Fall

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Vom Urzustand des Menschen und seinem Fall: Lucas Cranach d.Ä. - Sündenfall und Erlösung

F. X. Weninger SJ: Katholizismus, Protestantismus und Unglaube

Beiträge von Franz Xaver Weninger: österreichischer Jesuit, geistlicher Schriftsteller und Volksmissionar

Erstes Hauptstück – Vom Charakter des Protestantismus

Was ich unter dem Charakter des Protestantismus verstehe, habe ich bereits in meiner Einleitung angedeutet. Derselbe besteht in der betrübenden Eigenheit, dass er dem Christentum seinen Trost raubt, und dafür dem darnach sich sehnenden Menschenherzen Trostlosigkeit, Entmutigung, ja Verzweiflung bietet. Ich weise dies nun in der eben erwähnten Ordnung nach.

Erster Abschnitt – Gegenüberstellung der Lehrsätze

1. Vom Urzustand des Menschen und seinem Fall

Die erste Gegenüberstellung, die sich uns zur Nachweisung meiner eben aufgestellten Behauptung von selbst vor Augen stellt, ist die Antwort auf die Frage, über den ursprünglichen Zustand des Menschen und über seinen Fall.

Die katholische Lehre unterscheidet bei dem Zustand des ersten Menschen einen natürlichen und übernatürlichen Stand.

Schon die Worte der hl. Schrift: „Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild und Gleichnis“ weisen auf diese Unterscheidung hin. Die Lehrer der katholischen Kirche begreifen nämlich unter dem Ausdruck: Ebenbild, die Vernünftigkeit des Menschen und unter dem Ausdruck: Gleichnis seine Vereinigung mit Gott durch den Stand der übernatürlichen Gnade. Welch ein erhabener, herrlicher und wahrhaft paradiesischer Zustand des ersten Menschenpaares und ihrer Nachkommen, liegt in dieser Auffassung. Die Menschen sollten als Kinder Gottes und Bürger des Himmels einige Zeit auf Erden wandeln, Gott Beweise ihrer Ehrfurcht und Liebe geben, und dann nach Vollendung ihrer irdischen Prüfungszeit, ohne die Schrecknisse des Todes in die Glorie und Seligkeit Gottes eingehen.

Die katholische Lehre behauptet ferner, dass das erste Menschenpaar vollkommen frei gewesen sei, dass es mithin in seiner ganz freien Wahl lag, in diesem Stande zu verbleiben oder nicht, das heißt zu sündigen oder nicht zu sündigen. Die katholische Lehre behauptet, dass selbst nach dem Fall nur die in der übernatürlichen Heiligkeit bestehende Ähnlichkeit mit Gott für den Menschen verloren gegangen, dagegen seine natürliche Vernünftigkeit und Freiheit, d. h. das Ebenbild Gottes, nur geschwächt, nicht aber zerstört worden sei. Hieraus folgert sie, dass der Mensch auch nach dem Fall noch fähig geblieben, etwas natürlich Gutes zu üben, und dass er überhaupt noch die natürliche Freiheit des Willens besitze, wie vor dem Fall.

Diese Lehre gewährt dem menschlichen Herzen doch noch Trost in Mitte der Trauer über den ersten Sündenfall; – denn bei jedem Verlust fühlen wir uns getröstet, wenn wir wissen, dass uns noch etwas geblieben ist, und dass wir mit diesem Rest uns noch helfen können, wenn wir unterstützt werden von einem anderen.

Die ursprüngliche protestantische Lehre leugnet diese Ansicht über den ersten Zustand des Menschen und seinen Fall und raubt euch diesen Trost.

Nach der Lehre Luthers, Calvins und ihrer ersten Anhänger, war der Zustand des ersten Menschen, trotz seiner hohen Begabung, doch nur ein bloß natürlicher Stand. (Luther in Gen. c. 3)

Nach ihrer Ansicht verschwand durch die Übertretung des Gebotes Gottes, durch den Verlust der heiligmachenden Gnade, nicht etwa nur die übernatürliche Ähnlichkeit mit Gott, sondern auch das natürliche Ebenbild Gottes wurde in dem Menschen zerstört und gänzlich verwüstet, nicht bloß geschwächt und entstellt; mit anderen Worten, sie lehren, Adam habe durch den Sündenfall die Freiheit des Willens und die Fähigkeit zu allem Guten für sich und seine Nachkommen gänzlich verloren, so zwar, dass der Mensch aus sich nur Böses zu tun vermöge und seine natürlichen Tugenden nach dem Fall vor Gott nur Sünde und Laster seien.

Der lutherische Theologe Quenstedt sammelte eigens die Aussprüche Luthers aus dessen verschiedenen Büchern über diesen Gegenstand. – Diese Ausdrücke lauten wie folgt: „Die Natur des Menschen nach dem Fall sei sündigen.“ „Der Mensch selbst sei nichts als Sünde.“ „Das, was aus Vater und Mutter geboren werde, das sei lauter Sünde.“ (Quenstedt, Theol. Didact. Polem. Wittenberg 1669, part. II, p. 134-135 Bellarm. De Statu Protop. Und Luther Com. c. 3. in Gen.)

Protestantismus und demokratische Freiheit: Luther in Wittenberg

Luther schrieb selbst ein ganzes Buch, betitelt: »Der servo arbitrio», d. h. „von der Unfreiheit des Willens“, worin er zu beweisen sucht, dass der Mensch nach dem Fall keine moralische Freiheit zwischen Gutem und Bösem zu wählen mehr besitze, sondern dass er alles, was er immer tut, nur genötigt tue, sowohl das Gute als das Böse, je nachdem nämlich Gott oder der Teufel sich seines Willens bemächtigt.

Weltbekannt ist der originelle Vergleich, dessen sich Luther dabei bediente. Er vergleicht nämlich den Willen des Menschen mit einem Lasttier: „Reitet Gott auf demselben, so treibt Er den Menschen zum Guten, wohin Er will; reitet der Teufel auf demselben, so treibt er ihn zum Bösen, wohin er will.“ „Was immer geschieht“, behauptet Luther zu wiederholten Malen in diesem und anderen Büchern, „das geschieht notwendig, wenn es auch scheint, dass es von uns freiwillig geschehen. (Luth. adv. Erasm.)

Das merkwürdigste dabei ist, dass Luther sich über diesen freiheitslosen Zustand des Menschen sogar erfreut. Er sagt: „Selbst wenn er die Freiheit des Willens haben könnte, so wollte er sie gar nicht, sie würde ihn nur beunruhigen. So aber könne er denken und sagen: Ich bin zwar ein Sünder, doch Gott straft mich nicht, weil ich fest glaube, dass beruhigt mich.“ (Luth. de servo Arb. f. 235)

Ist es hiernach nicht offenbar, dass diese Lehre, die Grundbedingung aller sittlichen Würde und das höchste Glück des Lebens, das Bewusstsein der Freiheit, mit der Wurzel ausreißt.

Luthers Ansicht über die Unfreiheit des Menschen und die alles zerstörenden Folgen des Sündenfalls ist auch die seiner Schüler und Mitreformatoren.

Melanchthon, der zuverlässliche Ausleger der Ansichten Luthers, nennt die Lehre von der Freiheit des Willens „einen lästerlichen Satz, der von den Heiden nach und nach in das Christentum sich eingeschlichen habe. Der Mensch könne aus sich gar nichts anderes tun, als sündigen; gleich wie das Feuer brenne und der Magnet Eisen an sich ziehe.“ (Loc. Theol. p. 19 und 122)

Calvin behauptet gleichmäßig: „Alles im Menschen sei Sünde.“ „Die Tugenden der Heiden“, sagt er, „wie die eines Sokrates, Xenokrates und Zeno, seien vor Gott nur glänzende Laster gewesen.“ (Calv. Inst. 1. 2. c. 1. et 3.)

Dass aber diese Ansicht über den gänzlich verwüsteten und gleichsam verteufelten Zustand des Menschen durch den Fall Adams nicht nur die Privatmeinung einzelner Reformatoren gewesen, sondern in die Grundansichten des Protestantismus übergegangen sei, beweisen die öffentlichen Bekenntnisschriften der ersten Protestanten. – Sie gehen zwar nicht ausdrücklich so weit, wie Luther und Calvin sich ohne Scheu äußern, aber sie gehen doch weit genug, um in logischer Konsequenz eben bis dahin zu gelangen.

Das angesehenste dieser symbolischen Bücher ist die Konkordien-Formel vom Jahr 1577, auch «Solida Declaratio» genannt. Da heißt es nun ausdrücklich: „Das Ebenbild Gottes sei durch die Erbsünde gänzlich im Menschen verschwunden und eine böse Substanz sei in das geistige Wesen des Menschen eingedrungen, durch welche das Wesen desselben zur abscheulichsten Abscheulichkeit geworden.“

Diese Konkordien-Formel erklärt: „Es sei ein Irrtum, zu behaupten, dass nach dem Fall auch nur das geringste Gute, so klein es auch sei, im Menschen übrig geblieben sei. – Die Menschennatur könne aus sich nichts als sündigen. Der Mensch sei durch und durch schlecht geworden.“ (Sol. Decl. de Pecc, orig. § 21. und 22. II. De Lib. Arb. § 14.)

In demselben Sinne drückt sich die helvetische, gallische, belgische und schottische Konfession aus.

Ja so allgemein und charakteristisch trat diese Lehre des Protestantismus bei seinem Beginn auf, dass der Kirchenrat von Trient sich genötigt fand, demselben einen eigenen Kanon entgegen zu stellen, indem er also entscheidet: „Wenn jemand sagt, alle Werke, die vor der Rechtfertigung geschehen, seien Sünde, der sei von der Kirche ausgeschlossen.“ (Conc. Trid. Sess. VI. c. 7)

Calvin und Zwingli mit ihren Anhängern behaupten sogar „Adam habe fallen müssen. Gott habe es so angeordnet.“ (Calv. Inst. I. 1. c. 18, § 2. et I. III., c. 23, § 4. und 8.; Zwingli De prov. c. V. und c. VI.)

Welch eine verzweiflungsvolle Ansicht! – Amerikaner! Wollt ihr dieser beipflichten? Wie viele Calvinisten haben es getan und tun es heute noch! Geht nach Neu-England, da könnt ihr noch Männer solcher Ansicht finden. – Doch, empört sich dagegen nicht euer Herz und Verstand? –
aus: F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869. S. 5 – S. 9

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Folgebeitrag: Von der Erlösung des Menschen

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