F. X. Weninger SJ: Katholizismus, Protestantismus und Unglaube
Vorrede des Verfassers Pater F. X. Weninger SJ
Es sind nun über vierzehn Jahre, seit ich den Boden von Amerika betrat. Während dieser Reihe von Jahren habe ich als Missionär in den Vereinigten Staaten gearbeitet; ich ging vorwärts von einem Platz an den anderen, gab ununterbrochen Missionen und habe Amerika durchreist, von Virginia bis an die Grenzen von Mexiko und von New York bis Dakota. Ich kenne Amerika besser als mein eigenes deutsches Vaterland.
Im Laufe dieser meiner Missionen traf es sich wohl oft, dass Amerikaner mich aufforderten, sie in ihrer Landessprache anzureden. So oft ich es tat, überraschte mich die gespannte Aufmerksamkeit und der tiefe Ernst, mit dem dieselben diesen meinen improvisierten Vorträgen zuhörten; und im Allgemeinen bemerkte ich auch in meinem sonstigen verkehr mit denselben so viele herrliche Eigenschaften, des Herzens und des Geistes, dass ich nicht ohne tiefgefühltes Mitleiden ein so edles und intelligentes Volk von religiösem Irrtum umnachtet sehe, da es doch bei auch nur einigem Ernst aufrichtiger Prüfung so leicht für dasselbe wäre, die Vorurteile der Erziehung und Gewohnheit zu überwinden und die katholische Kirche als die allein wahre und als den einzigen Weg des Heiles zu erkennen.
Amerikaner, ich denke wahrlich nicht daran, euch zu schmeicheln; allein ich darf doch in Wahrheit behaupten, dass, wenn es ein Volk auf Erden gibt, auf welches die katholische Kirche mit besonderer Neigung und Teilnahme blickt, und das es verdient, dass man jede menschliche Rücksicht beiseite setze, um es für die volle christliche Wahrheit zu gewinnen, Ihr es seid, Bürger der Vereinigten Staaten.
Mein Beruf als Missionär unter den Deutschen und Franzosen hat es mir nur selten gestattet, euch von der Kanzel anzureden. Ich entschloss mich demnach, gedrängt von dem Verlangen, euch nach meinen Kräften in religiöser Beziehung zu dienen, dies durch die Presse zu tun.
Ich hoffe mit dem Beistand Gottes, dass meine Beweisführung, wenn ihr sie mit Ernst und Aufrichtigkeit erwägt, euch zweifelsohne von der Wahrheit der katholischen Kirche überzeugen werde. Was dazu Not tut, sind nicht langweilige polemische Erörterungen, sondern dass ich dem Leser solche Grundwahrheiten vor Augenstelle, welche gleich der Sonne in unzweifelbarer Evidenz erstrahlen.
Wer vor solch einem Licht des Beweises die Augen schließt, für den genügt auch eine Bibliothek von Kontrovers-Schriften nicht. Ein solcher verschließt sein Auge vorsätzlich dem Licht; er will nicht erkennen, weil er sich nicht stark und bereit genug fühlt, die Opfer zu bringen, die seine Bekehrung zur katholischen Kirche vielleicht von ihm fordern würde. Der Nebel, der von seinem Herzen aufsteigt, verdunkelt das Sonnenlicht der Wahrheit, das seinen Geist durchstrahlt. –
Ich fürchte, dass die Zahl der so Gesinnten eine bedeutsame sei, besonders unter denjenigen, in deren zeitlichem Interesse es liegt, Protestanten zu bleiben.
Nicht für solche sind diese Blätter geschrieben, sondern für die große Mehrzahl derjenigen, die bloß deshalb Protestanten heißen, weil sie einmal so geboren und in diesem Bekenntnis erzogen wurden, die aber sonst willig und entschlossen sind, aufrichtig zu prüfen und ihrer Überzeugung entschlossen zu folgen. – Ich wünsche, dass zu dieser Zahl jeder meiner geehrten Leser gehöre.
Was ich übrigens in diesem Buch zu sagen habe, das will ich unverhohlen und für alle leicht verständlich frei heraussagen. – Dies schulde ich der Wichtigkeit des Gegenstandes, dies der Ehrlichkeit eures Charakters, dies meinem eigenen Herzen, und dazu berechtigt mich euer eigenes Beispiel in öffentlichen Besprechungen, und um so mehr das Ansehen und Beispiel der heiligen Schrift selbst; diese nennt ohne Umschweife alles bei seinem rechten Namen; sie nennt die Lüge – Lüge und die Wahrheit – Wahrheit.
So will ich auch mit euch reden. Ich werde keine meiner Überzeugungen bemänteln, sondern will euch die Wahrheit gerade heraussagen, und wäre es auch die bitterste Wahrheit.
Ein Arzt tut Recht daran, wenn er die Krankheit seines Freundes bei ihrem rechten Namen nennt, und wenn er die geeignete Arznei vorschreibt, sie sei bitter oder nicht. Handelte er anders, so wäre er kein Freund. Ich bin der eure, Gott weiß es. Nie hat mein Herz Bitterkeit gegen irgendeinen Protestanten oder Ungläubigen gefühlt. –
Was ich für euch, als Irrende, fühle, ist Liebe und Teilnahme, die mich antreiben, euch die Bruderhand zu reichen und euch wo möglich zur Wahrheit und zum Heil zu führen. – Euer Heil, das ist alles, was diese Blätter bezwecken; ihr werdet euch davon vollkommen überzeugen, wenn ihr dieselben durchlest.
Meine Beweisführung wird, so hoffe ich, durchweg als gründlich sich bewähren; um jedoch derselben mehr den Charakter einer freundschaftlichen Unterredung als einer polemischen Erörterung zu geben, so nahm ich keinen Anstand, manche Ereignisse aus meinem Missionsleben mit einzuflechten. Solche Erwähnungen werden das Gesagte passend beleuchten und auch dazu beitragen, dass ihr das Buch mit weniger Mühe und mit größerem Interesse durchgeht.
Amerikaner! Lest und prüft, und dann entscheidet euch für das, was ihr als wahr erkennt. –
Einleitung
Wenn ein konsequenter Denker die Gesamtlehre des Protestantismus, so wie dieselbe ursprünglich von den Stiftern desselben zusammengestellt und in die Welt eingeführt ward, kritisch beleuchtet, so drängt sich ihm ein Urteil auf, das in der Tat sehr hart klingt; und dennoch richtig ist. – Es weist nämlich hinauf eine charakteristische Eigenschaft des Protestantismus in psychologischer Hinsicht, die für das menschliche Herz unermesslich betrübend ist. Und das ist es eben, worauf man meines Erachtens bisher viel zu wenig aufmerksam gemacht hat.
Was taten die Reformatoren des sechszehnten Jahrhunderts, als sie das Lehrsystem der alten Kirche nach ihrem Sinn umgestalteten?
Es ist wahrhaft unbegreiflich! Diese Männer warfen gerade diejenigen Wahrheiten der christlichen Religion über Bord, welche das Herz des Menschen trösten, und stellten dagegen Behauptungen auf, die dasselbe verwirren, betrüben, ja den Weg zur endlichen Verzweiflung anbahnen. – Wie konnte man so etwas tun? Der Verlauf meiner Abhandlung wird auf die Grundquelle hinweisen. – Doch mit noch größerer Verwunderung müssen wir fragen: Wie konnten andere, und sogar Millionen einer solchen Richtung dreihundert Jahre hindurch blindlings folgen? Ich halte dies für eine der merkwürdigsten Tatsachen menschlicher Verirrungen.
Weit begreiflicher wäre es in der Tat – angenommen, dass beide Religionen, die protestantische und katholische, nur menschliche Erfindungen wären – dass Menschen aus Protestanten Katholiken geworden, als dass aus Katholiken Protestanten hervorgehen sollten; denn wer sollte nicht lieber das glauben, was tröstet, als das, was betrübt und entmutigt? Das Gegenteil taten die Reformatoren und tun alle die Millionen, die bis auf diese Stunde ihnen folgen.
Bei jedem Glaubenssatz der katholischen Lehre, welchen die Reformatoren geleugnet, und ihre Nachfolger leugnen, muss jedes Menschenherz, welches den katholischen Glaubenssatz an und für sich betrachtet, ausrufen: O wie schön und trostreich! Wäre es doch wirklich so! Der Katholik sagt: So ist es. Der Protestant leugnet es. Was hat er doch davon, sich dieses Trostes so leichtsinnig und hartnäckig zu berauben?
Was ich hiermit behaupte, das will ich nun auch nachweisen und beweisen. Ich tue dies am bündigsten und klarsten, wenn ich die Glaubenssätze, welche die Urheber des Protestantismus verworfen haben, gerade nur unter diesem Gesichtspunkt des Trostes, den trostlosen Behauptungen der protestantischen Lehrsätze gegenüberstelle. Ich halte mich dabei an die natürliche Reihenfolge, wie sie sich aus der Beantwortung der folgenden Grundfragen des Christentums ergibt, nämlich wie Gott den Menschen erschuf; was die Folgen seines Falles gewesen; wie Gott ihn erlöst und welche Mittel er demselben in seinem Reich bereitet habe, damit er, wenn er will, gewiss und sicher ewig selig werde.
Ich schreibe, wenn ich das tue, kein theologisches Werk über die Unterscheidungslehren, wie etwa Möhler und Buchmann (1), sondern habe bei meinem Vergleich stets nur die rein menschliche Frage im Auge, welche von beiden Lehren tröstlich und welche trostlos sei für das menschliche Herz.
Die Quellen, die ich bei meiner Darstellung der pritestantischen Lehre benutze, sind die Schriften der Reformatoren und die öffentlichen Bekenntnisschriften der Protestanten. Desgleichen stelle ich die katholische Lehre nach den öffentlichen Bekenntnisschriften der katholischen Kirche dar.
Es fragt sich übrigens durchaus nicht, ob jeder meiner protestantischen Leser in allem heute noch so denkt, wie die Urheber des Protestantismus und ihre ersten Nachfolger gedacht; es genügt nachzuweisen, dass die Gründer des Protestantismus so gedacht und gelehrt, und dass ihre Nachfolger bis auf den heutigen Tag, in den meisten Punkten noch das nämliche glauben und lehren.
Habe ich dieses dargetan, dann werde ich berechtigt sein zu fragen: Wie konnten eure Väter einen solchen Umtausch von Trost und beseligender Hoffnung gegen Trostlosigkeit und Verzweiflung annehmen? Das konnte nicht das Resultat von ernster, nüchterner Prüfung gewesen sein, sondern nur eine Folge von übertäubender Leidenschaft. So war es auch. Ich bin aber, wenn ich meine Behauptung bewiesen, auch berechtigt, euch selbst zu fragen: Wie könnt ist so lange in einem so trostlosen Lehrsystem verharren und nicht zurückkehren zum Bekenntnis jener Kirche, die euch durch ihre Lehren und Heilmittel so überschwänglich tröstet, und mit solcher Sicherheit den Weg zur seligen Ewigkeit leitet.
Ich antworte: die Ursache, die euch zurückhält, ist eine zweifache; nämlich Mangel an ernster Prüfung und Vorurteile religiöser und politischer Natur. –
Leider sind überdies bereits sehr viele aus euch nicht einmal mehr Christen, sindern ganz eigentlich Ungläubige, die gar kein positives Glaubensbekenntnis aufzuweisen haben. Auch an diese habe ich in diesem meinem Aufruf ein Freundeswort zu richten.
Somit zerfällt meine ganze Abhandlung in vier Hauptstücke. Ich rede von dem Charakter des Protestantismus, von seinem Glaubensprinzip, von seinen Vorurteilen, besonders hier zu Lande, und endlich vom Unglauben, als der letzten, streng logischen Konsequenz des Protestantismus.
(1) Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze zwischen Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. Von Dr. J. A. Möhler. 5. Aufl. Mainz bei Kupferberg. Populärsymbolik oder: Vergleichende Darstellung der Glaubensgegensätze zwischen Katholiken und Protestanten. J. Buchmann, lic. Theol. Mainz bei Kirchheim. 3. Aufl. -aus: F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869 –
aus: F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869. S. 1-4
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Folgebeitrag: Vom Urzustand des Menschen und seinem Fall
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- Beiträge von F. X. Weninger
- F. X. Weniger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube – Inhaltsangabe des Buches
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Bildquelle
- Weninger_Franz_Xaver: wikimedia