Rangordnung der Nächstenliebe

Views: 98

Rangordnung der Nächstenliebe – Ordo amoris

Aus dem ‚Handbuch der Moraltheologie‘ von Dominic M. Prümmer, O.P

224. Bei der Ausübung der Nächstenliebe ist eine Ordnung zu beachten: 1. zwischen den Personen, die man liebt; 2. zwischen den Gütern, die man an ihnen liebt.

1. Bei der Liebe zu den Personen ist folgende Ordnung zu beachten:

a) Wir sind verpflichtet, Gott über alles zu lieben, dann uns selbst und an dritter Stelle unseren Nächsten.

Dass Gott über alles geliebt werden muss, ergibt sich aus der Tatsache, dass unsere Liebe zu ihm die höchste Wertschätzung offenbaren muss. Dass der Mensch sich selbst mehr lieben muss als seinen Nächsten, ergibt sich aus dem Gebot Christi, den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Daher ist die wahre Selbstliebe der Maßstab für die Liebe zu unserem Nächsten.

b) Wir sind nicht verpflichtet, unsere Nächsten gleichermaßen zu lieben, sondern im Verhältnis zu ihrer Nähe zu Gott und zu uns selbst.

Die Nächstenliebe speist sich aus zwei Quellen – Gott und uns selbst. Je näher etwas einem dieser beiden Prinzipien steht, desto größer muss unsere Liebe zu ihm sein. So verdienen diejenigen, die in den Augen Gottes besser und vollkommener sind, eine größere Liebe als diejenigen, die weniger vollkommen sind, da sie Gott ähnlicher sind. Dies bezieht sich auf unsere Ehrfurcht vor diesen Personen und unsere Wertschätzung für sie, nicht unbedingt auf unsere Gefühle ihnen gegenüber.

So muss ein Sohn eine heilige Person mehr achten als seinen eigenen bösen Vater, aber es ist nicht notwendig, dass er größere Gefühle der Liebe für diese Person hat. In der Nächstenliebe gegenüber unseren Verwandten und Freunden ist unter normalen Umständen die folgende Reihenfolge einzuhalten: Ehefrau (oder Ehemann), Kinder, Eltern, Geschwister, andere Verwandte, Freunde und Wohltäter. Diese Reihenfolge kann aus einem hinreichenden Grund geändert werden.

2. Zwischen den geliebten Gegenständen besteht folgende Reihenfolge: a) das eigene geistige Wohl; b) das geistige Wohl des Nächsten; c) das eigene leibliche Wohl; d) das leibliche Wohl des Nächsten; e) die äußeren Güter.

ERSTE REGEL. In der äußersten geistigen Not eines anderen sind wir verpflichtet, ihm zu helfen, auch wenn wir dabei unser eigenes körperliches Leben ernsthaft gefährden, vorausgesetzt, es besteht eine begründete Hoffnung, ihn zu retten, und es entsteht kein ernsthafter öffentlicher Schaden. Das ewige Leben unseres Nächsten ist ein viel höheres Gut als das Leben unseres eigenen Körpers.

ZWEITE REGEL. Außer wenn sich ein anderer in einer extremen geistigen Notlage befindet, gibt es keine strikte Verpflichtung, ihm auf die Gefahr hin, dass er ernsthaften körperlichen Schaden nimmt, zu helfen.

Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass wir nicht einmal verpflichtet sind, unser eigenes Leben zu schützen, wenn die Gefahr eines schweren Schadens besteht.

DRITTE REGEL. In der schweren Not eines anderen (sei es geistlich oder zeitlich) müssen wir ihm helfen, wenn wir es ohne große Unannehmlichkeiten tun können, es sei denn, die Gerechtigkeit, die Frömmigkeit oder unser Amt stellen höhere Ansprüche an uns.

VIERTE REGEL. In gewöhnlicher oder leichter Not müssen wir bereit sein, einige leichte Unannehmlichkeiten zu ertragen, um unserem Nächsten zu helfen.

(Rev. Dominic M. Prümmer, O.P., Handbook of Moral Theology [Cork: The Mercier Press, Limited, 1956], übersetzt von P. Gerald W. Shelton, S.T.L., Nr. 224; kursiv gesetzt; Unterstreichungen hinzugefügt. Dieses Buch wurde von Benedictus Books neu aufgelegt [#CommissionLink]).

Aus dem Buch ‚Moraltheologie‘ (1958) der Dominikanerpatres John McHugh und Charles Callan

Die vollständige Behandlung findet sich in nn. 1158-1182. Im Folgenden werden nur die wichtigsten Teile zitiert:

1158. Die Ordnung der Nächstenliebe: Die Nächstenliebe verlangt nicht nur, dass wir Gott, uns selbst und unsere Nächsten lieben, sondern sie verpflichtet uns auch, diese Gegenstände nach einer bestimmten Ordnung zu lieben, wobei einige den anderen vorgezogen werden.

(a) Gott muss über alles geliebt werden, mehr als sich selbst (Mt 24), mehr als Vater und Mutter (Mt 37; Lk 26), denn er ist das gemeinsame Gut aller und die Quelle alles Guten.

(b) Unter sonst gleichen Umständen soll man sich selbst mehr lieben als den Nächsten, denn die Selbstliebe ist das Vorbild für die Nächstenliebe (Mt. 22, 39), und die Natur selbst neigt dazu, wie es heißt: „Die Nächstenliebe beginnt zu Hause.“

(c) Unter den Nächsten sollen diejenigen mehr geliebt werden, die aufgrund ihrer größeren Nähe zu Gott oder zu uns selbst einen größeren Anspruch haben.

1171. Die Reihenfolge der Nächstenliebe zwischen den verschiedenen Nachbarn ist wie folgt: (a) Was das allgemeine Gut betrifft (z. B. die Erlangung des Heils), sollen wir alle Nächsten gleich lieben, denn wir sollen das Heil für alle wünschen; b) was das besondere Gut betrifft (z. B. den Grad der Seligkeit), sollen wir einige mehr lieben als andere. So soll man für die selige Jungfrau einen höheren Grad der Seligkeit wünschen als für die Heiligen.

1172. Die Gründe dafür, den einen Nächsten mehr zu lieben als den anderen, lassen sich auf zwei reduzieren. (a) Ein Nachbar kann Gott näher sein als ein anderer und daher mehr Liebe verdienen – zum Beispiel kann ein heiliger Bekannter Gott näher sein als ein sündiger Verwandter. (b) Ein Nachbar kann uns aufgrund von Blutsverwandtschaft, Heirat, Freundschaft, zivilen oder beruflichen Bindungen usw. näher stehen. So ist ein Cousin seinem Cousin von Natur aus näher als eine andere Person, die nicht verwandt ist.

1173. Die Ordnung der Nächstenliebe zwischen denen, die Gott näher stehen, und denen, die sich selbst näher stehen, ist die folgende:

(a) Objektiv sollen wir die Besseren mehr achten und für sie den höheren Grad der Gunst Gottes wünschen, der ihren Verdiensten entspricht. Aber für die, die uns näher sind, können wir wünschen, dass sie schließlich diejenigen, die jetzt besser sind als sie, an Heiligkeit übertreffen und so eine größere Seligkeit erlangen. Während wir in einer Hinsicht (nämlich der der Heiligkeit) einen heiligen Menschen bevorzugen, der uns fremd ist, bevorzugen wir in vielerlei Hinsicht (z. B. aufgrund von Verwandtschaft, Freundschaft, Dankbarkeit) einen anderen, der weniger heilig ist.

(b) Subjektiv ist die Liebe zu denjenigen, die einem selbst näher stehen, größer, d. h. intensiver, lebendiger empfunden. Die Bevorzugung derer, die einem selbst am nächsten stehen, ist also keineswegs falsch oder Ausdruck bloßer natürlicher Liebe, sondern Ausdruck der Nächstenliebe selbst. Denn es ist der Wille Gottes, dass wir denen, die uns näher stehen, mehr Liebe entgegenbringen: „Wer sich nicht um die Seinen kümmert, besonders um die seines Hauses, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Ungläubiger“ (1. Tim., V. 8). Die Nächstenliebe selbst neigt also dazu, mehr Liebe für die Seinen zu empfinden, und sie übernatürisiert die kindliche Frömmigkeit, den Patriotismus und die Freundschaft.

1174. Die Reihenfolge, in der sich die Nächstenliebe manifestieren soll, entspricht der Reihenfolge der Nächstenliebe selbst. (a) Denen, denen aufgrund ihrer Heiligkeit eine größere objektive Liebe gebührt, soll mehr Achtung entgegengebracht werden, die ihrer Vortrefflichkeit entspricht. (b) Denjenigen, denen aufgrund der von ihnen erwiesenen Wohltaten (als Eltern, Freunde usw.) eine größere Gegenliebe gebührt, sollte mehr geistige und zeitliche Unterstützung zuteil werden. Das heißt, wenn man die Wahl hätte, entweder einem Verwandten oder einem Fremden, der tugendhafter ist, zu helfen, müsste man sich für den Verwandten entscheiden. (c) Denjenigen, denen eine größere subjektive Liebe gebührt, sollte man mehr Zeichen der Zuneigung (wie Besuche) geben.

1175. Ausnahmen von dem oben Gesagten sind die folgenden Fälle, in denen das Wohl der besseren Person vorgezogen werden sollte:

(a) wenn das Gemeinwohl eine solche Bevorzugung erfordert. So verlangt das öffentliche Interesse, dass man sich bei der Vergabe von Ämtern, bei Ernennungen oder bei der Wahl von Kandidaten nicht von familiären Zuneigungen oder privaten Freundschaften leiten lässt, sondern nur vom Gemeinwohl; und man sollte sich für den besseren Menschen entscheiden;

(b) wenn die Person, die einem selbst näher steht, ihren Anspruch auf Bevorzugung verwirkt hat. So kann einem Sohn, der seinen Vater mit Verachtung behandelt hat und ein Verschwender ist, sein Anteil an den Familiengütern zugunsten von Fremden entzogen werden, die aufopferungsvoll sind und eine heilige Sache fördern.

1176. Die Reihenfolge der Nächstenliebe zwischen den verschiedenen Arten von natürlichen Beziehungen ist wie folgt: (a) Die Verwandtschaft, die aus der Blutsverwandtschaft hervorgeht, ist vorrangig und beständiger, da sie aus der Natur selbst hervorgeht und nicht beseitigt werden kann; b) die Freundschaft, da sie aus eigener Wahl hervorgeht, kann angenehmer sein und sogar der Verwandtschaft vorgezogen werden, wenn es um Gesellschaft und Kameradschaft geht (Spr., 18. 24).

1177. In der Praxis sollte man, wenn alles andere gleich ist, einem Verwandten gegenüber mehr Liebe in den Dingen zeigen, die zur Beziehung gehören.

(a) Denjenigen, die blutsverwandt sind, gebührt eher körperliche oder zeitliche Hilfe. Wenn man sich entscheiden muss, ob man seinen bedürftigen Eltern oder einem bedürftigen Freund hilft, sollte man eher seinen Eltern helfen.

(b) Denjenigen, die geistlich verwandt sind (z. B. Pfarrer und Gemeindemitglied, Direktor und Büßer, Pateneltern und Patenkind), gebührt mehr geistliche Hilfe in Form von Unterweisung, Rat und Gebet. So soll sich ein Pfarrer mehr um die Unterweisung seiner Gemeinde bemühen als seine Verwandten, die einer anderen Gemeinde angehören.

(c) Denjenigen, die durch ein besonderes Band verbunden sind, sei es politisch, militärisch, religiös usw., wird in politischen, militärischen, religiösen usw. Dingen mehr geschuldet als den anderen. So schuldet ein Soldat seinem Offizier und nicht seinem Vater Gehorsam in Angelegenheiten, die das Leben in der Armee betreffen; ein Priester schuldet einem kirchlichen Vorgesetzten in kirchlichen Angelegenheiten Gehorsam und nicht seinen Eltern.

(Rev. John A. McHugh und Rev. Charles J. Callan, Moral Theology: A Complete Course Based on St. Thomas Aquinas and the Best Modern Authorities [New York, NY: Joseph F. Wagner, Inc., 1958]; nn. 1158,1171-1177; Unterstreichungen hinzugefügt). Das Buch ist hier kostenlos online verfügbar.

Quelle: novusordowatch

Von Rev. John A. McHugh & Rev. Charles J. Callan siehe auch den Beitrag

Category: Moraltheologie
Tags: Kirche
katholisch glauben und leben: Kreuz mit Dornenkrone
Protestantismus und Unglaube
katholisch glauben und leben: Kreuz mit Dornenkrone
Verbindlichkeit der Enzykliken

Empfehlenswert