Der Antichrist und die Zeit der Apostasie
Die Restauration des sozialistischen Heidentums
Wir haben bereits gesehen, was dem Aufschwung dieses Prinzips der Unordnung im Wege steht. Nun aber wird dieses Hindernis sichtbar mit jedem Tage schwächer. Es wird intellektuell schwächer. Die intellektuellen Überzeugungen der Menschen werden immer schwächer; die christliche und katholische Zivilisation weicht vor der natürlichen materiellen Zivilisation, die ihre höchste Vollkommenheit in bloß materieller Wohlfahrt findet. Sie nimmt in ihre Sphäre Personen jeder Kaste oder Glaubensfärbung auf, nach dem Grundsatz, daß die Politik mit der künftigen Welt nicht zu schaffen habe, – daß die Regierung der Völker bloß für ihr zeitliches Wohlsein da sei, für den Schutz von Personen und Eigentum, für die Entwicklung der Industrie und für die Förderung der Wissenschaften, d. h. für die Kultivierung der natürlichen Ordnung allein. Dies ist die Theorie der Zivilisation, die jeden Tag herrschender wird.
Auch die katholische Frömmigkeit wird schwächer und schwächer und zwar in einem Grade, daß es Nationen gibt, die noch katholisch heißen, in welchen das Verhältnis zu der Masse derer, welche die heiligen Sakramente besuchen, kaum berechenbar ist, wie unserer Herr es voraussagte: „Weil die Ungerechtigkeit überhand nimmt, wird die Liebe bei Vielen erkalten.“ (Matth. 24,12) Die christliche Gesellschaft ferner wird überall schwächer, d. h. der wahre christliche Geist und das Prinzip der Gesellschaft. Der verstorbene Tocqueville, der, soviel ich erkennen kann, durchaus nicht die Absicht hatte, das, was ich eben behaupte, zu bestätigen, hebt in seiner Schrift über die Demokratie in Amerika den Umstand hervor, daß die Tendenz jeder Regierung in der Welt und jeder Nation auf die Demokratie geht, d. h. auf die Verminderung und Erschöpfung der Regierungsgewalten und auf die Entwicklung der Zügellosigkeit des Volkswillens, so dass alles Gesetz sich in dem Willen der Massen auflösen soll…
Ein anderer Schriftsteller ferner, ein Spanier, von großem Geist und auch von starkem Glauben, (…) Donoso Cortez, sagt, indem er den Zustand der Gesellschaft beschreibt, dass die christliche Gesellschaft verurteilt ist, dass sie ihre Bahn zu durchlaufen hat und dann erlöschen muss: denn die Grundsätze, die jetzt im Schwange sind, sind wesentlich antichristliche… Er sagt: Indem die Gesellschaft das Reich des Glaubens als tot aufgab, und die Unabhängigkeit der Vernunft und des menschlichen Willens verkündigte, hat sie das Übel absolut, allgemein und notwendig gemacht, das nur relativ, ausnahmsweise und zufällig war. Diese Periode einer schnellen rückgängigen Bewegung begann in Europa mit der Wiederherstellung des Eigentums in Philosophie, Religion und Politik. Heute steht die Welt am Vorabend ihrer letzten Restauration, – der Restauration des sozialistischen Heidentums. (Lettre à M. de Montalembert, 4. Juni 1849) Ferner schreibt er: Die europäische Gesellschaft ist am Sterben. Die Extremitäten sind kalt, das Herz wird es auch bald sein. Und wisst ihr, warum sie am Sterben ist? Weil sie vergiftet wurde, weil Gott sie mit der katholischen Wahrheit nähren ließ, und die empirischen Doktoren ihr zur Speise den Nationalismus gegeben haben. Sie ist am Sterben, weil, gleichwie ein Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt, ebenso die Gesellschaft nicht durch das Schwert allein zu Grunde geht, sondern durch jedes Wort, das aus dem Munde ihrer Philosophen kommt. Sie ist am Sterben, weil der Irrtum sie tötet, und weil die Gesellschaft jetzt auf Irrtümer gegründet ist. Wisset also, daß Alles was ihr für unbestreitbar haltet, falsch ist.
„Die Lebenskraft der Wahrheit ist so groß, dass, wenn ihr eine einzige Wahrheit besitzen würdet, nur eine einzige, diese Wahrheit euch retten könnte; aber euer Fall ist so tief und eure Blindheit so vollständig, daß ihr selbst diese einzige Wahrheit nicht habt. Aus diesem Grunde wird die Katastrophe, welche kommen muss, in der Geschichte die allergrößte sein. Einzelne können sich vielleicht noch retten, weil Einzelne immer gerettet werden können; aber die Gesellschaft ist verloren, nicht weil es für sie schon rein unmöglich ist, gerettet zu werden, sondern weil sie nicht den Willen hat, sich selbst zu retten. Es gibt keine Rettung für die Gesellschaft, weil wir unsere Söhne nicht zu Christen machen wollen, und weil wir selbst nicht wahre Christen sind. Es gibt keine Rettung für die Gesellschaft, weil der katholische Geist, der einzige Lebensgeist nicht das Ganze durchdringt; er durchdringt nicht die Erziehung, die Regierung, die Gesetze und die Moral. Den Lauf der Dinge in dem Zustande, in welchem sie sind, ändern wollen, würde ich nur zu gut einsehen, eine Riesen-Unternehmung sein. Es gibt keine Macht auf Erden, die für sich selbst diesen Zweck erreichen könnte, und schwerlich könnten alle Mächte, wenn sie zusammen wirkten, dieses Ziel erlangen. Ich überlasse euch das Urteil, ob eine solche Mitwirkung möglich ist, und bis zu welchem Punkt, und zu entscheiden ob, selbst diese Möglichkeit angenommen, die Rettung der Gesellschaft nicht in jeder Hinsicht ein wahres Wunder wäre.“ (Polémique avec divers Journeaux de Madrid, vol. 1.574-576) –
aus: Heinrich Eduard Manning, Kardinal, Der Antichrist oder die gegenwärtige Krise des heiligen Stuhls, im Lichte der Weissagung betrachtet, 1861, S. 59 – S. 63
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