Kennzeichen der Kirche
Die Kirche ist ein vom Hl. Geist beseelter Leib
Wenn nun ein Mensch der sichtbaren Kirche einverleibt ist, wenn er mit ihr denselben Glauben bekennt, von ihren sichtbaren Heilsmitteln Gebrauch macht und ihren geistlichen Vorgesetzten Gehorsam leistet, so gehört er zum Leib der Kirche, durch sein äußeres Leben bekundet er sich als Glied der Kirche. Wenn ihm aber die heiligmachende Gnade fehlt, so gehört er nicht der Seele der Kirche an, indem sein inneres Leben mit dem inneren Leben der Kirche nicht übereinstimmt. Ein solcher ist dann wohl noch ein Glied der Kirche, aber ein verdorrtes, abgestorbenes Glied, ähnlich einem Zweig, den der Saft des Baumes nicht mehr durchdringt, oder einer verdorrten Hand, die vom Kreislauf des Blutes nicht mehr belebt wird. Hinwieder ist es auch möglich, wie später gezeigt werden wird (siehe den Beitrag: Sind die schuldlos Irrenden ewig verloren?), daß jemand die heiligmachende Gnade besitzt, ohne der Kirche äußerlich einverleibt zu sein. Ein solcher gehört der Seele der Kirche an, weil sein inneres Leben mit dem inneren Leben der Kirche im Einklang steht. Da er aber anderseits nicht zum Leib der Kirche gehört, so entbehrt auch er einer großen Menge von Gnaden, die den Gliedern des Leibes der Kirche durch das sichtbare Lehr-, Priester- und Hirtenamt zukommen.
Daraus, daß es einzelne gibt, welche auf besagte Weise nur dem Leib der Kirche, und andere, die bloß der Seele der Kirche zugehören, läßt sich aber keineswegs schließen, daß es zwei voneinander getrennte und gleichsam für sich bestehende Kirchen, eine sichtbare und eine unsichtbare gebe; es folgt nur, daß man auch auf zwei verschiedene Weisen, von denen jede für sich allein mangelhaft ist, ein Glied der einen Kirche sein kann. Es gibt also nur eine Kirche Christi, die zugleich sichtbar und unsichtbar ist: sichtbar ist sie, insofern man ihre äußere Erscheinung, unsichtbar, insofern man ihr inneres Gnadenleben ins Auge faßt. Wer demnach die sichtbare Kirche gefunden hat, der hat auch die unsichtbare gefunden, d. h. er hat die vom Hl. Geist belebte, von demselben unsichtbarer Weise geleitete und regierte, mit herrlichen Gnadenschätzen bereicherte Kirche gefunden. Denn wie Christus, der Sohn Gottes, bei seiner Menschwerdung nicht einen toten, sondern einen lebendigen Leib angenommen hat, so ist auch die Kirche, sein mystischer Leib, kein toter, sondern ein von seinem Geist, d. h. vom Hl. Geist beseelter Leib. Und wie die Gottheit in Christus nie aufhörte mit der einmal angenommenen menschlichenNatur, mit Leib und Seele vereinigt zu sein, so will Christus auch mit seiner einen Kirche, die aus Leib und Seele besteht, bis zum Ende der Welt vereinigt bleiben. Und in der Tat, wiche der Geist Gottes je von der sichtbaren, auf den Felsen Petri gebauten Kirche, so könnte dieses nur geschehen, weil dieselbe der Verheißung Christi zuwider von den Pforten der Hölle überwältigt worden wäre.
Da Christus seine Kirche zum Heil der Menschen gestiftet hat, so ist es natürlich auch sein Wille, daß alle in dieselbe eintreten. Die Kirche Christi muss deshalb nicht bloß irgendwie, sondern leicht erkennbar sein, d. h. es müssen ihr gewisse äußere Kennzeichen zukommen, mittelst deren es jedem Unbefangenen leicht wird, sie von den vielen Religions-Gesellschaften, die sich unbefugter Weise für die Kirche Christi ausgeben, zu unterschieden. Es folgt demnach die Frage, welches diese Kennzeichen seien. –
aus: Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 1, 1911, S. 496 – S. 497
siehe auch den Beitrag: Pius XII über Existenz zweier Kirchen