Das protestantische Glaubensprinzip

Die Merkmale der wahren Kirche: hl. Petrus mit dem Schlüssel

F. X. Weninger SJ: Katholizismus, Protestantismus und Unglaube

Beiträge von Franz Xaver Weninger: österreichischer Jesuit, geistlicher Schriftsteller und Volksmissionar

Zweites Hauptstück

Zweiter Abschnitt – Das protestantische Glaubensprinzip und ihre Unhaltbarkeit

Ich habe bisher, indem ich auf die Merkmale der Kirche hinwies, kurz aber unwiderlegbar bewiesen, dass die katholische Kirche eben die sei, die Christus gestiftet und dass die Unfehlbarkeit ihres Lehramtes die von Christus eingesetzte Regel des Glaubens und das letztgültige Tribunal für Entscheidungen in Sachen des Glaubens ist.

Welche Beweisgründe könnt ihr dagegen anführen, dass der Protestantismus die wahre Kirche Christi sei, und welches Tribunal des Glaubens anerkennt ihr, das euch über die wahre Lehre Christi vollkommen genügenden Aufschluss gibt? Ihr beruft euch auf die Bibel.

Das Feldgeschrei der Protestanten

Die Bibel, ja wohl, das ist das Feldgeschrei der Protestanten: Die Bibel, die Bibel! Und sie merken nicht, dass sie dadurch mittelbar wider Willen selbst die Unfehlbarkeit der katholischen Kirche proklamieren.

Ich erinnere mich da unwillkürlich an den Lärm, mit dem das Volk gegen die Predigten des hl. Paulus zu Ephesus die Stimme erhob und unter wildem Geschrei durch die Stadt zog mit dem Ruf: „Diana, Diana, die große Göttin Diana.“ Dagegen bemerkte der Stadtschreiber richtig: „Was schreit ihr so unsinnig, die ganze Welt weiß doch, wer Diana ist, und welch berühmten Tempel sie zu Ephesus habe; aber wie wollt ihr damit eure Rebellion rechtfertigen?“ (Apstg. 19, 23ff.)

So möchte ich auch die Protestanten mahnen, die, was man immer von der Wahrheit der katholischen Kirche sagen, erklären und beweisen mag, dagegen doch nur immer ihr Losungswort im Munde führen: „Die Bibel, die Bibel!“ –

Freunde! Wo ist ein Katholik in der Welt, der nicht wüsste, was die Bibel ist. Wo ist einer, der da leugnet, dass die Bibel die heilige Schrift ist und Gottes Wort enthalte. Protestanten! Das haben wir Katholiken fünfzehnhundert Jahre vor euch gewusst und gelehrt. Ja, eben weil die Bibel die Bibel ist, beweisen wir euch sonnenklar, dass ihr im Irrtum seid und durch eure Auflehnung gegen die katholische Kirche eine Trennung veranlasst habt, die ihr nie und nimmer zu rechtfertigen imstande seid, so wahr die Bibel Gottes Wort ist.

Warum das Grundprinzip des Protestantismus unhaltbar ist

Worin besteht die Quintessenz dieser eurer Auflehnung gegen die Kirche? Ich antworte: darin, dass ihr behauptet, die Bibel sei die einzige Glaubensrichtschnur, und dass ihr zu der Fahne geschworen, die Luther einst mit dem Ausruf erhoben: „Was kümmere ich mich um sechshundert Augustinus und Hieronymus? Die Bibel in der Hand richten wir die heiligen Väter und die Kirche selbst.“ Wahrlich, so unangreifbar der Grundbeweis für die Wahrheit der katholischen Kirche ist, nämlich, die erste Kirche, die wahre, – ebenso unhaltbar nach allen Seiten ist das Grundprinzip des Protestantismus: die Bibel sei die einzige Glaubensregel.

Von wem haben die Protestanten die Bibel?

Denn erstlich, von wem habt ihr denn die Bibel? Hat vielleicht ein Engel dieselbe dem Luther und seinen Genossen vom Himmel gebracht? Gewiss nicht. Ihr habt sie aus den Händen der katholischen Kirche, ihr habt sie mit euch genommen, als ihr von ihr gezogen. Was folgt hieraus? Dies, dass ihr nur gestützt auf das Zeugnis der katholischen Kirche wisst, dass die Bibel die Bibel ist. –

Oder, schlagt die Bibel auf, wo steht es geschrieben, dass gerade diese Bücher, die man die heilige Schrift nennt, wirklich von Gott eingegebene Bücher seien. Ihr möget sagen, dass es hie und da in der Bibel stehe, man solle die heilige Schrift lesen, sie enthalte Gottes Wort; allein woher wisst ihr, dass gerade diese Bücher damit gemeint seien, und woher wisst ihr, dass das Buch selbst oder der Brief, worin es steht, dass die heilige Schrift Gottes Wort enthalte, selbst ein von Gottes Geist geschriebenes Buch sei. Ihr wisst dies einzig nur aus dem Zeugnis der katholischen Kirche, welche diese Bücher als die heilige Schrift erklärte und vom Anfang her als solche benützte. –

Augustinus hatte daher ganz recht, wenn er sagte: „Ich würde dem Evangelium selbst nicht glauben, wenn nicht das Ansehen der Kirche mich dazu nötigte.“

Jeder andere Beweis für die Göttlichkeit der Bibel ist und bleibt eine petitio principii, ein circulus vitiosus, d. h. eine Behauptung dessen, was erst noch zu beweisen ist. Hier ist der Widerspruch evident. Ihr sagt, ihr glaubt, dass die Bibel unfehlbar die Bibel sei, das unverfälschte Wort Gottes, und ihr beschuldigt die Kirche, aus deren Händen ihr die Bibel genommen, sie habe sich geändert, sie sei verfälscht und wohl gar das Reich des Antichrist geworden.

Woher wisst ihr denn, dass die katholische Kirche, die ihr als durch und durch verrottet erklärt, gerade die heilige Schrift rein bewahrte? Ihr meint aus dieser Bibel, die ihr von der katholischen Kirche genommen, die katholische Kirche des Irrtums zu überweisen. Würde die Kirche, wenn dem so wäre, nicht Ursache und Gelegenheit genug gehabt haben, diese Beweise aus der Bibel zu entfernen oder wenigstens Worte und Sätze hineinzuschieben und selbe nach Umständen zu verfälschen.

Hat sich doch Luther selbst erlaubt, ein gewaltiges Wort in die Bibel hineinzuflicken, um seine Lehrmeinung durch das Ansehen derselben zu befestigen, nämlich das Wörtchen „allein“ bei der Stelle des hl. Paulus: „Der Glaube macht selig.“

Wer steht euch dafür, dass die Kirche in den 1000 Jahren ihrer Verirrung, wie ihr sie derselben beschuldigt, nicht gar vieles in der Bibel gemodelt, geflickt und ausgestrichen?

Hätten Luther und seine Mitreformatoren vorgegeben, die Bibel durch einen Engel vom Himmel erhalten zu haben, und ihre Lehrmeinung auf dieses Buch gestützt, wie Mohammed die seine auf den Koran, so hätten sie wenigstens einen Schein von Konsequenz für sich, so aber sind dieselben vom Anfang her in ihrem Grundprinzip selbst mit sich im Widerspruch und bezeugen wider Willen die Göttlichkeit und Unfehlbarkeit der katholischen Kirche gerade durch das Prinzip selbst, mit welchem sie dieselbe bekämpfen wollen.

Eine Glaubensregel muss allgemein sein

Zweitens. Von einer Glaubensregel verlangen wir mit Recht, dass dieselbe allgemein, ganz klar, vollständig, vom Anfang her für jeden zugänglich und für sich allein genügend sei. Ist dies bei dem Buch, das wir die Bibel nennen, wirklich der Fall? Nein, durchaus nicht. Ich sage: Eine Glaubensregel muss erstlich allgemein sein. Christus offenbarte ja den heiligen Glauben für alle Menschen, und der Glaube ist jedem zur Erlangung der Seligkeit notwendig.

Passt nun die Bibel als Glaubensregel wirklich für alle? Die Bibel ist ja ein Buch – wie sollte ein Buch als allgemeine Glaubensregel gelten können, da doch der größte Teil der Menschheit gar nicht lesen kann? Wer kann der göttlichen Weisheit einen solchen Plan zumuten wollen? Die heilige Schrift selbst bezeugt das Gegenteil und weist auf eine andere Glaubensregel hin.

Christus schickte seine Apostel mit dem Befehl auszupredigen, nicht zu schreiben. Er sagte: Wer euch hört, hört mich. Er sandte den heiligen Geist in der Gestalt von Zungen, nicht von Schreibfedern, über die Apostel herab. Hören kann jeder, lesen nicht. Mithin, so gewiss es ist, dass Christus für alle Gottes Wort geoffenbart und dieses zu hören befohlen hat, und so gewiss es ist, dass nicht alle Menschen lesen können und dass auch fast alle diejenigen, die lesen können, die Sprache nicht verstehen, in welcher die Bibel ursprünglich geschrieben ward, ebenso gewiss ist es, dass die heilige Schrift nicht die allgemeine, also auch nicht die einzige Glaubensregel sei.

Sie ist es nicht für die, welche nicht lesen können – eben weil sie dieselbe nicht lesen können. Sie ist es nicht für diejenigen, welche die heilige Schrift nicht in der Sprache selbst lesen können, in der sie geschrieben ist, nämlich hebräisch und griechisch, weil solche Menschen, die diese Sprachen nicht gründlich verstehen, die Bibel nur in einer Übersetzung lesen können. Doch wer verbürgt solchen Lesern unfehlbar, dass der Übersetzer unfehlbar treu den Urtext der Bibel in die neue Sprache übersetzt habe?

Beide, diejenigen, welche nicht lesen können, und diejenigen, welche die Bibel nur in einer Übersetzung lesen, (und das ist heutzutage fast die gesamte Menschheit), beide, sage ich, müssen sich, wenn sie etwas von der Bibel wissen wollen, zuletzt doch nur auf ein rein menschliches und mithin fehlbares Zeugnis verlassen, und haben kein unfehlbares Fundament, wie solches doch der Glaube verlangt, der ja seiner Natur nach, jeden Zweifel völlig von sich ausschließt.

Eine Glaubensregel muss klar und verständlich sein

Ich sage: Eine Glaubensregel muss zweitens für alle ganz klar und fasslich sein, eben weil sie als Richtschnur des Glaubens zu gelten hat, der keinen Zweifel zulässt.

Ist nun die Bibel so geschrieben? Die Bibel selbst bezeugt das Gegenteil.

Der hl. Petrus erklärt, dass in den Briefen des hl. Paulus manches sich finde, das schwer zu verstehen sei und dass Übelgesinnte diese Briefe, so wie überhaupt die Schrift, zu ihrem Verderben missbrauchen. (2. Petr. 3, 16) Dasselbe bezeugt auch die Erfahrung aller Zeiten.

Die Juden hatten die heilige Schrift des alten Testamentes in der Hand und haben dennoch Jesum Christum nicht erkannt, sondern ihn an das Kreuz geschlagen. Was die Irrlehrer nach Christus betrifft, so bemerkte mit Recht schon der alte Hieronymus, aus Texten der heiligen Schrift habe immer jeder Irrlehrer sich für seinen Irrtum das Hauptkissen gepolstert. Und der hl. Augustin klagte schon vor vierzehnhundert Jahren: „Woher kommen die vielen Irrlehren, als weil die heilige Schrift, die an sich gut ist, schlecht verstanden wird.“

Der Kämmerer der Königin Kandaze las den Propheten Isaias, und auf die Frage des hl. Philipp, ob er auch verstehe, was er lese, antwortete er: „Wie kann ich das, wenn es mir niemand erklärt?“ (Apostelg. 8) Wenn ein fein gebildeter Hofmann, der eine dem Urtext verwandte Sprache redete, es damals schwierig fand, den Propheten Isaias zu verstehen, wie sollte jetzt nach achtzehnhundert Jahren jeder die heilige Schrift zu verstehen sich weise genug dünken? Darüber wunderte sich schon vor vierzehnhundert Jahren der gelehrte Hieronymus. Er sagt: Schreiner schreinern und Köche kochen, nur die heilige Schrift wagt jeder auszulegen? Welch eine Anmaßung!

Was hätte Hieronymus erst dazu gesagt, wenn es damals jemanden eingefallen wäre, eine solche Privat-Auslegung der heiligen Schrift als alleinige Glaubensregel zu proklamieren?

Eine Glaubensregel muss alles enthalten, was den Glauben betrifft

Eine Glaubensregel muss drittens auch alles in sich enthalten, was die Lehre des heiligen Glaubens selbst betrifft. Das ist bei der Bibel nicht der Fall. Die Bibel selbst bezeugt dies. So lesen wir am Schluss des Evangeliums des hl. Johannes: „Es sind aber noch viele andere Dinge, die Jesus getan, denn wenn man sie alle im Einzelnen hätte schreiben sollen, so meine ich, würde die ganze Welt die Bücher nicht fassen, die da geschrieben werden müssten.“ (Joh. 20, 30 u. 31) Christus der Herr predigte durch mehr als drei Jahre, wer wollte also wohl meinen, Er habe nicht mehr gesagt, als in den Evangelien geschrieben steht.

Was die Apostel betrifft, so predigen alle, und ihr Wort erging, wie der hl. Paulus versichert, bis an das Ende der Welt. Nur einige aus ihnen schrieben, und selbst diese zumeist nur gelegentlich in der Form von Briefen. Und selbst in diesen Briefen weisen sie hin auf das, was sie gepredigt, und befehlen den Gläubigen, dasjenige, was sie durch die mündliche Predigt gehört, ebenso fest und unerschütterlich zu bewahren, als das, was sie durch Briefe von ihnen gehört und gelernt. (Thess. 1, Kor.)

„Ich wollte euch noch mehr schreiben, sagt Johannes in einem seiner Briefe, doch ich wollte es nicht durch Papier und Tinte tun, denn ich hoffe, bald bei euch zu sein und von Mund zu Mund mit euch zureden.“ (Joh. 13, 14)

War das etwa alles unnützes Zeug, was die Apostel an die Gläubigen geredet und gepredigt und doch nicht aufgeschrieben haben?

Eine Glaubensregel muss auch so alt sein wie der Glaube selbst

Eine Glaubensregel muss viertens auch so alt sein als der Glaube selbst. Das ist aber bei der Bibel nicht der Fall, wie sie selbst bezeugt. Sie selbst erzählt und bezeugt, dass bereits Tausende am heiligen Pfingsttag getauft und der heiligen Kirche einverleibt wurden, und doch war damals noch kein Buchstabe des Neuen Testamentes geschrieben. Waren das keine wahren Christen, und hatten dieselben keine Glaubensregel? Die Apostel selbst blieben nicht persönlich an jedem Ort, sondern zerstreuten sich in die ganze Welt.

Doch nicht nur dies. Erst im vierten Jahrhundert erhielt die Kirche den Frieden, und es ward den Bischöfen gestattet, sich in einem Concilium, in dem von Nicäa, zu versammeln, und der Kanon der heiligen Schrift wurde festgestellt. Bis dahin waren die Evangelien und die Briefe der Apostel noch zerstreut und nicht allgemein bekannt und ihre Authentizität nicht allgemein festgestellt, was uns auch nicht Wunder nehmen darf: denn da gab es noch keine Presse, und die Kirche musste sich verbergen ob der Verfolgungen.

Ich frage, waren jene ersten Christen, ohne die Schriften des Neuen Testamentes, nicht vollständig belehrte Christen? Hatten diese Muster-Gläubigen der apostolischen Zeit und ersten Christenheit keine Glaubensregel oder nur eine verstümmelte? Der alte Irenäus berichtet, es habe zu seiner Zeit noch ganze Völker gegeben, die ohne ein Wort der heiligen Schrift gelesen zu haben, doch Christen im besten Sinne des Wortes gewesen.

Eine Glaubensregel muss für alle zugänglich sein

Eine Glaubensregel muss fünftens eine für jedermann zugänglich sein. Das war aber die Bibel bis in das fünfzehnte Jahrhundert nicht und ist es im Grunde auch heute noch nicht. Sie war es nicht bis in das fünfzehnte Jahrhundert, denn bis dahin gab es keine Druckerei; die fünfundsiebzig Bücher mussten abgeschrieben werden, und das mit welcher Genauigkeit! Das machte die Bibel sehr teuer und verhältnismäßig selten. Nur Priester und bemitteltere Laien konnten sich dieselbe verschaffen.

Ich frage, ist Christus nur für die Priester und Reichen gekommen? Im Gegenteil, wie jüngst Dr. Ives, der konvertierte Bischof, den Episkopalen ganz treffend bemerkte: Christus versicherte: „Den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Wäre die heilige Schrift die von Christus eingesetzte Glaubensregel, dann wären die Reichen auch heute noch besser daran als die Armen; das beweisen eure Bibelgesellschaften, mit denen ihr dem Übel abzuhelfen strebt. Und wie viele, selbst aus den Reichen, hätten auch heute noch keine Bibel, wenn es keine Presse gäbe.

Ein König wagte es einst in seinem philosophischen Hochmut, die Lästerung auszustoßen, dass, wenn Gott bei der Schöpfung ihn befragt hätte, er Ihm manchen guten Rat gegeben hätte. Da umnachtete sich plötzlich der Himmel, ein Gewitter rollte heran, furchtbar dröhnten die Donner und links und rechts schlugen die Blitze um den Palast des Königs ein. Da erblasste und bebte der Frevler, der ganze Hof wurde zusammenberufen, ein Kreuzbild auf den Tisch gestellt, zwei Kerzen angezündet, und der König widerrief seine Lästerung.

Doch hört, dürfte nicht jeder, wenn man die Bibel und die Menschheit betrachtet, wie sie war und ist, also bei sich denken: Im Falle es in dem Plan der göttlichen Vorsehung gelegen hätte, dem Menschen ein Buch zur allgemeinen Glaubensregel zu geben, dann hätte Er wohl besser getan, die Sprachen zu Babel nicht zu verwirren und die Bibel vom Anfang her den Menschen zu übergeben und sie so deutlich schreiben zu lassen, dass niemand dieselbe hätte missverstehen können; Gott hätte dann auch dem Menschen ebenso die Fähigkeit zum Lesen wie zum Hören mitteilen und den Lauf der Welt so ordnen müssen, dass auch die Presse mit der Schrift zugleich dem Menschen gegeben worden wäre.

Doch heißt so denken nicht Gott gute Ratschläge geben, was sicher eine Lästerung ist – und doch wäre sie dem Menschen, bei solchem Stand der Dinge, wie ihr vorgebt, von selbst in den Mund gelegt?

Nein, Gott ist unendlich weise, Er bedarf unseres Rates nicht. Er hat uns die Schrift, wie sie ist, als kostbare Hinterlage des Glaubens gegeben, und sie hat als solche ihren höchst heilsamen Nutzen, doch nicht als einzige Glaubensregel, und zu diesem Zweck hat Gott sie uns auch nicht gegeben.

Die Bibel als einzige Glaubensregel widerspricht der Weisheit Gottes

Wie sehr die Annahme und Behauptung, die Bibel sei die einzige und letzte Glaubensregel, der Weisheit Gottes widerspricht, erhellt noch ganz besonders aus der Erwägung der letzten Eigenschaft einer Glaubensnorm.

Eine Glaubensregel als letzte Instanz muss endlich in der Tat so beschaffen sein, dass sie auch imstande ist, jeden Streit in Sachen des Glaubens durch sich selbst zu schlichten.

Ist und kann das bei der Bibel der Fall sein? Durchaus nicht. Die Bibel ist ja ein Buch, das sich selbst nicht auslegt, wo also jeder, in den Sinn des Textes die Meinung, die ihm beliebt, hineinlegen kann.

Was würdet ihr wohl zu dem Plan sagen, wenn man alle Gerichtshöfe aufhöbe, und in einer Stadt, statt des Gerichtshofes, bloß ein Gesetzbuch mit der Erklärung hinlegen würde, dass jeder, wenn ein Streit zwischen den Bürgern entstehe, sich aus diesem Buch sein Recht selbst herauslesen solle.

Meint ihr, dass da des Streitens ein Ende sein würde, und dass das Ende zur Befriedigung der Parteien ausfallen könnte? Und wie, wenn dieses Gesetzbuch noch überdies sehr dunkel und mehr für Gelehrte als für das Volk, und dazu ursprünglich nicht in der Landessprache, sondern hebräisch und griechisch geschrieben wäre? Meint ihr, ein solcher Plan Gottes, wenn Er die Bibel wie sie ist, den Menschen, wie sie sind, als letzte Glaubensnorm für alle Völker, Zeiten und Sprachen gegeben hätte? Wagt ihr, der göttlichen Weisheit einen solchen Widersinn zuzumuten? Und das tut ihr doch faktisch, wenn ihr die heilige Schrift ohne einen Ausleger und lebenden Richter als letzte Instanz in Sachen des Glaubens proklamiert.

Die heilige Schrift weist auf die Kirche als Glaubenswächterin hin

Endlich, wenn ihr der heiligen Schrift wirklich glaubt, so weist sie euch ja selbst an die Kirche als Glaubenswächterin, und die katholische Kirche ist im vollen Recht, die Worte Christi für sich gegen euch in Anspruch zu nehmen, nämlich: „Forscht in der Schrift, von der ihr sagt und meint, dass sie das Leben in sich habe. Nun denn, die Schrift selbst ist es, die von mir Zeugnis gibt.“ So auch was die Wahrheit der katholischen Kirche betrifft und ihre Vollmacht in Glaubensentscheidungen.

Die katholische Kirche darf euch mit Recht zurufen: Ihr sagt, die Bibel, die Bibel! Lest sie nur und glaubt ihr, sie selbst ist es ja, die von mir Zeugnis gibt: „Wer die Kirche nicht hört, der sei dir wie ein Heide.“ Welche Kirche? Gewiss, die, von der es in derselben Bibel geschrieben steht: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Das ist die katholische Kirche, wie wir das bereits unwidersprechbar nachgewiesen haben.

Was soll daher eure Trennung von ihr je erlaubt gemacht haben? Die heilige Schrift selbst verdammt diese Trennung und weist es von sich zurück, dass sie die einzige Richtschnur des Glaubens sei. Seht, so schwach und in sich selbst zerfallen ist das, was ihr als den Grundpfeiler eurer Glaubensneuerung und kirchlichen Gemeinschaft betrachtet. Es lassen sich da auf euch, wie ihr euch mit euren Privatauslegungen der heiligen Schrift abmüdet, ohne je auf eine unfehlbare Lösung des Zweifels zu kommen, in seiner Art die Worte anwenden, die einst Goethe spottweise von den metaphysischen Grüblern gesagt, nämlich: „Ein Mensch, der spekuliert, ist wie ein Tier auf wüster Heide, vom bösen Geist im Kreis geführt, und ringsumher ist schöne, grüne Weide.“

So auch ist der Mensch, der über den Sinn der Bibel spekuliert, wenn sich selbst überlassen, der Ungewissheit hingegeben, da uns doch Gott durch das Ansehen der heiligen Kirche die sichere Weide auf den Gefilden der Wahrheit überall so nahe gelegt hat.

Amerikaner! Was hält euch zurück, in die Arme jener Mutter und göttlich bevollmächtigten Lehrerin zurückzukehren, von der euch eure Väter getrennt? Ich antworte: Mangel an Prüfung, an ernster Prüfung ist es, das habe ich bisher bewiesen. Ich sage zweitens: Vorurteile sind es, und das will ich euch nun ebenso bündig beweisen. –
aus: Franz Xaver Weninger, Katholizismus, Protestantismus und Unglaube. Ein Aufruf an alle zur Rückkehr zu Christentum und Kirche, 1869. S. 103 – S. 112

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5. Merkmal der Kirche Unfehlbarkeit
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