Unfehlbarkeit des Papstes: Widerlegung der Einwürfe

VI. Einwurf: Die gallikanischen Freiheiten (Teil 1) -Bossuet und die gallikanischen Freiheiten

VI. Einwurf:

„Allein“, sagt man weiters, „nicht nur ein Cyprian, sondern die ganze französische Kirche erkennt die apostolische Glaubens-Vollmacht nicht an, wie dies aus dem vierten Artikel der gallikanischen Freiheiten ersichtlich ist, welche der Klerus von Frankreich im Jahr 1682 ergehen ließ.“

Antwort:

Weit entfernt, dass dieser vierte Artikel das Recht des apostolischen Stuhles selbst und das Ansehen der Tradition Frankreichs dafür, in irgendeiner Hinsicht entkräftet, so ist es im Gegenteil eben die Kirche Frankreichs, deren Zeugnis das Recht, das wir verteidigen, in voller Beweiskraft festsetzt, und den Einwurf zurückschlägt. –

Wir wollen bei dieser Lösung auch noch einige andere Ausflüchte verschließen, mit welchen unsere Gegner die Anerkennung der Rechte des apostolischen Stuhles zu umgehen pflegen.

Was den angezogenen vierten Artikel selbst betrifft, so ist es freilich ganz wahr, dass er unsere Behauptung entgegen ist; denn er gesteht dem Papst nur ein provisorisches oberstes Entscheidungs-Recht zu, kein peremptorisches, sondern verlangt zu diesem auch die erfolgte Beistimmung der übrigen Kirche.

Allein, wir fragen erstens: Sind die Bischöfe von 1682 schon die ganze gallikanische Kirche? Und wären sie es, – werden die Bischöfe einer Provinz gegen das Ansehen der übrigen kirchlichen Vor- und Mitwelt ein göttliches Recht und einen Glaubenssatz schwankend machen? –

Wäre dies der Fall, wie viele Glaubenssätze müssten nun in Zweifel geraten sein, weil England, weil Schweden, weil Preußen, weil Russland und so viele Provinzen im Orient und Okzident in Glaubens-Irrtum und Schisma geraten sind? – Diese Bemerkung richtet sich mit aller Kraft einer konsequenten Logik gegen die Beweiskraft dieser vier Artikel.

Die „Freiheiten der gallikanischen Kirche“

Doch, gehen wir zur Prüfung dieser Artikel selbst über. Sie heißen erstens: „Freiheiten der gallikanischen Kirche“. Ist dies nicht ein offenbares Eingeständnis jener Franzosen selbst, die sie geschmiedet, dass sie durch selbe von dem Gesamtglauben der übrigen gläubigen Welt abgewichen. Woher sonst der Ausdruck: „Freiheiten?!“ –

Zweitens, welch ein Brandmal des Irrtums in diesem Ausdruck selbst liegt! Es sind diese Artikel Lehrsätze, in Betreff geoffenbarter Wahrheiten und göttlich gegebener Rechte. Gibt es aber wohl in Bezug auf diese – Freiheiten?! – Sind da nicht alle schuldig zu glauben, was uns der Glaube zu bekennen vorstellt? –

Wir sagen drittens, diese Artikel sind wohl Aussprüche der Versammlung von 1682 gewesen; allein Aussprüche gegen die bisherige Tradition und Glaubens-Anerkennung der französischen Kirche und ihrer Traditions-Zeugnisse waren es, – höfische Aussprüche, welche diese Bischöfe später selbst feierlich zurücknahmen; was will man also aus ihnen gegen das Ansehen der gallikanischen Kirche, und mittelbar gegen das Recht der Nachfolger Petri folgern? –

Die Anerkennung des päpstlichen Primats durch die gallikanische Kirche

Hören wir den Beweis dafür:

Erstlich. Es sind Aussprüche gegen die ganze, bis auf jene Zeit feierlich ausgesprochene Tradition der französischen Kirche. Oder wie? Sind die Zeugnisse von Irenäus, dem Bischof von Lyon und apostolischen Schüler angefangen, die wir in so ausgedehnter Reihenfolge durch alle Jahrhunderte angeführt, sind dies keine Zeugnisse der gallikanischen Kirche und ihres Glaubens? Die Zeugnisse eines Hilarius von poitiers, eines Briccius von Tours, eines Cassian von Marseille, eines Eucherius von Lyon, eines Avitus von Vienne, und aller Bischöfe Galliens mit ihm, im fünften Jahrhundert? –

Sind die Zeugnisse eines Cäsarius von Arles, der Väter der Synode von Orleans im sechsten Jahrhundert; – sind die Zeugnisse eines Rhegino von Prüm, eines Lupus von Ferriers; – sind die Zeugnisse der Synoden von Soissons, Douzzi, Pontigny, Troyes und Fimes im neunten Jahrhundert, sind dies keine Zeugnisse der gallikanischen Kirche? –

Wissen unsere Gegner nicht, dass es eben die Gallikaner waren, welche die Päpste, wenn sie dieser ihrer Macht im Gottesreich auf Erden zu vergessen schienen, zur kräftigeren Amtsverwaltung aufriefen? – Sind die Zeugnisse eines Odo von Cluny, eines Abbo von Fleury, eines Filbert von Chartes; die Zeugnisse der Bischöfe von von Limoges, eines Ivo von Chartres, mit einem Wort, sind alle die Zeugnisse, die wir bis auf Bernard von Frankreich angeführt, sind es nicht Zeugnisse der Väter dieser gallikanischen Kirche? –

Welch herrliche Zeugnisse geben die Bischöfe dieser Kirche unter Gregor IX. zum Beweis der Anerkennung der Glaubens-Prärogative der Nachfolger Petri in den Synoden von Bezieres, Valence und Albi, – und so fort bis auf die Zeiten des großen Schisma, welches den Anfang jener Epoche bildet, von welcher Zeit, wie wir oben nachgewiesen, einzelne wohl hie und da Äußerungen fallen ließen, die den Rechten der Würdenträger Petri Abbruch tun; – indes nimmermehr haben diese einzelnen Abweichungen von der Urtradition, den Glauben im allgemeinen getrübt, auch nicht, was die Kirche von Frankreich betrifft.

Das Bekenntnis der gallikanischen Bischöfe zum Primat des Papstes

Gerson selbst, dessen Ansehen uns die Freikirchler Frankreichs früher gerne entgegen zu halten pflegten, blieb sich keineswegs in seinen Äußerungen so gleich, dass man ihn uns mit Bestimmtheit entgegensetzen könnte, und es bleibt zweifelhaft, ob seine Äußerungen nicht wie die, aus dem Konzil von Konstanz überhaupt genommenen, viel mehr von den Prätendenten der päpstlichen Tiara seiner Zeit, als von den legitimen Nachfolgern und Würdenträgern Petri zu nehmen seien.

Denn in der Rede, welche er am Fest Christi Himmelfahrt vor Alexander V. vortrug, da er den Grund angeben will, warum die griechische und nicht ebenso die lateinische Kirche in Irrtümer verfallen sei; folgert er die Unwandelbarkeit des römischen Glaubens aus dem: „Weil in der reinen und unversehrten Kirche des Abendlandes der Sitz Petri aufgeschlagen ist, für dessen Unwandelbarkeit im Glauben insbesondere derjenige gefleht, dessen Würde in allem Erhörung fand.“

Ausdrücklich aber lehrten nach ihm eine Unzahl französischer Gelehrten, wie man aus Raynald, Milante, Duvall und Claudius Florius ersehen kann, die apostolische Macht und Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens-Entscheidungen. Noch wichtiger sind dafür die oben angeführten Zeugnisse der Sorbonne. Ja, auch nach dem Konzil von Konstanz und Basel, und bis nahe an das Jahr 1682 ward in ganzen Synoden der Bischöfe Frankreichs diese Anerkennung immer noch feierlich und mit so bestimmten Worten als immer möglich, ausgesprochen.

Hören wir das Bekenntnis dieser Bischöfe in der Synode vom Jahr 1626, und zwar in dem Sendschreiben an den ganzen Klerus von Frankreich. – „Sie sollen“, heißt es in demselben, „unsern hl. Vater, den Papst, das sichtbare Oberhaupt der allgemeinen Kirche, als den Nachfolger des hl. Petrus verehren, auf welchem Christus die Kirche gegründet; dem er die Schlüssel des Himmels übergeben, samt der Unfehlbarkeit im Glauben, welchen wir nicht ohne Wunder in seinen Nachfolgern bis auf den heutigen Tag unversehrt erhalten sehen.“ – (…)

Im Jahr 1653 sandte die nämliche Geistlichkeit oben erwähntes Glückwunsch-Schreiben an Innozenz X., in welchem sie die nämlichen Gesinnungen äußerte.

Ein ebenso glänzendes Zeugnis liest man in dem, von der im Jahr 1663 versammelten französischen Geistlichkeit, an die Erzbischöfe und Bischöfe des Reiches erlassenen Rundschreiben (diei 2. act.); es lautet also: „Die Unterwürfigkeit, welche wir gegen den hl. Vater an den Tag legen, ist gleichsam das Erbgut der Bischöfe Frankreichs. Diese ist der feste Grund, auf den unsere Ehre beruht; diese erteilt unserem Glauben Unüberwindlichkeit, und unserem Ansehen Unfehlbarkeit.“ – „Quod et nostram fidem in invincibilem reddit et nostram auctoritatem infallibilem.“

Was Bossuet betrifft, hat er wider sein besseres Wissen gehandelt

Wenn es sich also traf, dass diese Bischöfe Frankreichs bald darauf, nämlich nach nicht vollen zwanzig Jahren anders erklärten, so steht ihre Erklärung offenbar mit sich selbst und mit dem Ansehen der Tradition ihrer Kirche im Widerspruch. Sie war, sagten wir zweitens, eine höfische Erklärung, welche sie später selbst feierlich mitsamt ihrem König zurückgenommen.

Ludwig XIV. nämlich dominierte in seinem hochfahrenden Herrschergeist diese Versammlung, und leider hatten diese Bischöfe vor des Königs Macht zu tief sich neigend und also schmachvoll gebeugt, für einige Zeit ihre Pflicht und das Recht der Nachfolger Petri aus den Augen verloren. Sobald sie sich wieder erhoben, bekannten sie auch den Irrtum und ihre Schuld und widerriefen feierlich. Man möchte da wohl sagen, nicht sowohl „aliquid humani“, sondern „gallicani quid passi sund“; denn es ist bekannt, welche oft überspannte Generation die Franzosen für ihren König ehemals zu hegen pflegten.

Insonderheit ist es von Wichtigkeit, dem Ansehen Bossuets hier zu begegnen, bevor wir den Abschnitt schließen, weil uns das Ansehen dieses Mannes aus dieser Versammlung besonders entgegen gestellt zu werden pflegt; und weil wir dabei, wie oben bemerkt, Gelegenheit haben, einige andere beliebte Ausflüchte unserer Gegner zu bezeichnen und zu verschließen.

Was also Bossuet betrifft, dessen Autorität gewiss keine geringe ist, so behaupten wir, Bossuet habe ebenso gut wie die übrigen Bischöfe jener Versammlung, eine Sünde höfischer Nachgiebigkeit begangen, wider sein besseres Wissen und Gewissen, wie dies aus den klarsten Bekenntnissen erhellt, die er an anderen Stellen, in seinen Werken, von diesem seinem Glauben an den absoluten Glaubensprimat der Nachfolger Petri abgelegt. Bossuet war sich auch dessen wohl bewusst; um aber beiden Teilen zu genügen: der Kirche und den Prätensionen des Hofes, so suchte er durch Unterscheidungen die Ausdrücke der Versammlung mit dem Glauben der Kirche und seiner eigenen Glaubens-Überzeugung in Einklang zu bringen.

Allein er täuschte damit nur sich und andere. Und das, was hier Bossuet aus sündhafter Nachgiebigkeit gegen Ludwig XIV. tat, dessen schmeichelhaftes Wort: „Wenn ich Bossuet höre, meine ich ein Concilium zu hören“; – leider die Wirkung nicht verfehlte, bleibt ein Flecken in dem Leben dieses großen Mannes, – und seine Biographie berichtet, dass er davon die Folgen für die Ruhe seines Gemütes bis an seinen Tod schmerzlich büßte.

Bossuet wollte es mit keiner Partei verderben

Wir sagten, Bossuet lehre in jenen Artikeln der Deklaration von 1682 wider sein besseres Wissen und Gewissen, und dies erhelle aus so vielen Stellen, wo Bossuet, weil frei von jenen höfischen Einflüssen, sich auch ganz in unserer Glaubens-Überzeugung über den Glaubens-Primat Petri aussprach.

Beweis dessen sind die oben gleich im zweiten Abschnitt des Werkes angeführten klassischen Stellen, die man hier wieder lsöen möge. – Mit gleicher Bestimmtheit spricht er sich aus, in seinen Betrachtungen über die Evangelien, über das XXII und XXIII. Hauptstück des hl. Lukas; desgleichen in seinem „Katechismus von den Kirchenfesten“, auf das Fest Petri und Pauli. –

Ferner in seinem I. und II. Pastoralschreiben an den Klerus seiner Diözese; ebenso in der „Widerlegung des Katechismus der hugenottischen Partei“; und endlich in seiner „Expositio doctrinae catholicae“.

Ja, so durchdrungen war Bossuet von dieser Wahrheit, dass er ihr auch selbst in der Inaugurations-Rede jener Versammlung und in der Defensio ihrer Deklaration, die ihm von Hof aus aufgetragen worden sein soll, die herrlichsten Zeugnisse gibt. –

Die berühmte Rede „von der Einheit“, war es ja, die er in jenem Konvent hielt, und in der er sich, wie wir oben angeführt, so überaus bestimmt und kräftig äußert: „Dass der römische Glaube immer der Glaube der Kirche sei; dass die römische Kirche immer Jungfrau geblieben; dass Paulus, vom dritten Himmel zurückgekehrt, doch zu Petrus geeilt, allen Geschlechtern ein Beispiel zu hinterlassen; – dass Petrus in seinen Nachfolgern die Grundfeste des Glaubens sei, und dass die allgemeinen Concilien, Afrika, Frankreich und die ganze Kirche vom Aufgang bis zum Untergang immer so geglaubt! –

Bossuet sprach in jener Rede deshalb seine Glaubens-Überzeugung und den Glauben der Kirche, diesen seinen Mitbischöfen so gellend in die Ohren, weil er sah, bis wie weit sie ihre Willfährigkeit gegen Ludwig reißen könnte. – Er wollte sein Möglichstes dagegen tun, doch nicht unmittelbar, und nicht präzise und konsequent genug, weil er, wie gesagt, es mit beiden Teilen nicht verderben wollte. –

Die Defensio von Bossuet führte ihn zu neuen Widersprüchen

Ja selbst in der Defensio ist diese Tendenz noch deutlich genug bemerkbar; denn auch in derselben heißt es von dem Glauben der gallikanischen Kirche: (…) – Es wird in derselben mit Abscheu die Zumutung zurückgewiesen, die sich doch in notwendiger Konsequenz aufdringt, als seie auf solche Weise das Haupt der Kirche nicht gehörig gekräftigt; (…) – „Wenn diese Cathedra in Irrtum fallen könnte, es wäre um die Kirche selbst geschehen“; (…) –

Und die Glaubensformel Hadrian II. anführend, sagt er in dieser Defensio: „Alle Kirchen bekannten also durch die Unterschreibung der Formel, dass der Glaube des apostolischen Stuhles und der römischen Kirche in unversehrter und vollkommener Festigkeit beharre, und dass für diese Unwandelbarkeit die gewisse Verheißung des Herrn Gewähr leiste. Welcher Christ kann also wohl einen so allgemein verbreitete, durch alle Jahrhunderte fortgepflanzte und durch ein ökumenisches Concilium geheiligte Lehre zurückweisen?“ (Lib. 10. et 16. c. 7) –

Was tut also Bossuet, um sich aus dem Widerspruch, in welchen er sich mit sich selbst und mit dem Glauben der Kirche gesetzt, herauszuziehen?! Er nahm zu Distinktionen und Erklärungen seine Zuflucht, die aber eitel und unstatthaft sind, und nur in neue Widersprüche verwickeln.

Seine erste Ausflucht ist: Er will, alle Päpste sollten nicht im einzelnen, sondern zusammen genommen, als die Eine Person Petri gedacht werden, die nicht irren könne, und bei welcher der Glaube nicht abnehmen werde; … mit anderen Worten, die einzelnen Päpste könnten in Glaubensirrtum fallen; jedoch dieser Irrtum könne nicht auf dem Stuhl Petri wurzeln. (…)

Also, alle römischen Päpste sind als Eine Person zu betrachten; – ganz richtig! – in dem Sinne, als wir es selbst in diesem Traktat behaupteten. Eben darum aber darf ja in keinem ein Irrtum statt haben, sonst befleckt derselbe, eben weil alle nur Eine Person Petri vorstellen, eben diese Eine Person. –

Welcher konsequente Kopf durchschaut das nicht auf den ersten Blick? Und ein Bossuet übersieht dieses!

Weiß Bossuet nicht, daß die dem Petrus verheißenen Privilegien nach der Stiftung der Kirche wirksam wurden?

Dieses Distinktion ist aber auch in einem ebenso fühlbaren Widerspruch mit den übrigen Eingeständnissen Bossuets in Betreff der Prärogative des apostolischen Stuhles. Gesteht er dann nicht mit den hl. Vätern und dem ganzen kirchlichen Altertum, dass Petrus in jedem seiner Nachfolger lebt und spricht; dass er in jedem der Fels sei, auf welchem die Kirche gebaut ist; – preist er nicht die ganze Formel Hadrian II., durch welche jeder schwört, den Verordnungen und Entscheidungen des Papstes, wer es immer sei, der den Stuhl Petri einnimmt, als Regel des Glaubens zu folgen?

Mithin auch in dem Einzelnen, – wenn der Papst als Haupt der Kirche irrt, so hat sich Petrus geirrt gegen die Verheißung Christi: „Petrus, ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke.“

Wenn Bossuet dies selbst fühlend, sich damit zu helfen meint, dass er selbst bei Petrus einen zeitweiligen Irrtum annehmen zu dürfen glaubt, da ja dieser im Vorhof Pilati auch Christum verleugnet habe, und dann wieder bekehrt worden sei: so stellt dies die Grundlosigkeit und den Irrtum seiner Distinktion in ihrer ganzen Blöße hin. Hatte dann Petrus im Vorhof Pilati eine Glaubens-Definition oder ein kirchliches Urteil erlassen, als er sich voll Furcht unter jene Kriegsleute gesetzt: wie er getan, als er sich nach bereits gestifteter Kirche im Konzil von Jerusalem unter seinen Mit-Aposteln erhob und die Frage entschied? –

Weiß Bossuet nicht, dass die Petro erteilten Privilegien für die Kirche gegeben waren, also auch erst nach der Stiftung der Kirche in Wirksamkeit traten? Die Verheißung lautet für die Zukunft: „aedificabo, dabo et tu aliquando.“

Will man aber einen Vergleich a simili ziehen, gut; aber dann wird er nicht anders lauten können also so: Gleichwie Petrus im Vorhof verleugnen konnte, wo er nicht als Haupt der Kirche fungierte, so kann auch jeder Papst sündigen – und selbst Irrtum im Glauben reden, wo er nicht als Haupt der Kirche fungiert und lehrt. Oder, wird wohl Bossuet oder sonst ein Katholik sich so weit vergessen und behaupten wollen, Petrus habe sich auch als Apostel und Statthalter Christi zeitweise irren können, wenn er die allgemeine Kirche belehrte? –

Was will man also mit dergleichen willkürlichen Sophistikationen. Die streng verfolgt bis zur Lästerung und zum offenbaren Irrtum führen?

Und wie wäre es wohl möglich, diese Annahme mit der unzerstörbaren Festigkeit der Kirche selbst zu vereinigen, da Christus Ihr durch Petrus so feierlich verhieß, auf dass die Pforten der Hölle sie nie überwältigen. Wie oft weist Bossuet selbst auf diese Verheißung hin!

Die Verheißung Christi entkräften wollen bedeutet Lästerung

Nun aber, angenommen, dass die Kirche auch nur durch den Irrtum einer einzigen falschen Glaubens-Entscheidung von Seite des Oberhauptes, einmal im Fundament gesunken wäre, so hätten die Pforten der Hölle sie damals überwunden; und doch sollte nach Christi Verheißung dies nie der Fall sein, bis an das Ende der Welt. Die Kraft dieser Verheißung Christi in irgendeinem Fall entkräften wollen, wäre dieselbe Lästerung, als sie überhaupt leugnen. Davor bebt nun freilich Bossuet selbst zurück, der ja wohl unmöglich die Klippe nicht gewahren konnte, an die er anfuhr.

Er meint daher wohl noch einen Schritt weiter machen zu dürfen und zugeben zu können, dass wenn der Papst die Kirche belehrt, oder, wie der Ausdruck der Schule lautet, wenn der Papst ex Cathedra spricht, es Petri Stimme, und seine Entscheidung unfehlbar sei (V. Coroll. def. § 8. 1. 2. p. 309) Um aber dadurch den absoluten Glaubensprimat nicht mit eingestehen zu müssen, versucht er eine zweite Ausflucht. Allein da zieht er wohl die Schlinge noch fester, in der er sich selbst gefangen.

Bossuet setzt die Beistimmung der zerstreuten Kirche hinzu

Bossuet sagt nämlich: „Der Papst könne wohl ‚ex Cathedra docens‘ als unfehlbar angesehen werden; allein unter die Kriterien oder Kennzeichen, ob er ex Cathedra geredet habe oder nicht, setzt er oben an den ‚Consensus Ecclesiae dispersae‘, die Beistimmung der zerstreuten allgemeinen Kirche.

Allein, gegen dieses Kriterium, sagen wir, streitet erstens alles das, was wir gegen diesen Consensus als allgemeine Glaubensnorm oben bewiesen. Es streitet dieses Kritierium aus allem daselbst Gesagten auch gegen die einhellige Lehre der hl. Väter, welche die Lehre der zerstreuten Kirche aus dem Munde der Nachfolger Petri, und nicht vice versa geschöpft wissen wollten.

Ferner zieht diese Annahme, sagten wir, Bossuet mit seinen eigenen Worten noch fester in die Schlinge. Kein Zweifel; denn wir bedienen uns seiner eigenen Worte asl Waffe wider ihn, und zur Darstellung der durchgreifenden Richtigkeit unserer Behauptung und ihrer Beweisführung, wie dies jederzeit bei der Wahrheit der Fall ist, die, wo man sie immer angreifen und aus dem Verband reißen will, sich als festgeschlossen und unbesiegbar beweist.

Bossuet nämlich argumentiert auf folgende Weise, er sagt:

„Der Papst und ein allgemeines Concilium stehen in ihrer Unfehlbarkeit im gleichen Verhältnis; aber eben deshalb bedürfe sein Auspruch noch der Bestätigung der zerstreuten Kirche.“ „Denn gleichwie“, sagt Bossuet, „bei einem allgemeinen Concilium, wenn es auch, wie kein Katholik bezweifelt, in Glaubens-Entscheidungen unfehlbar ist, dasselbe doch des Zeugnisses der zerstreuten Kirche bedarf, weil es ohne diese allgemeine Annahme doch zweifelhaft sein kann, ob es wohl ein allgemeines Concilium gewesen ist, was erst aus dem Zeugnis der zerstreuten Kirche vollends offenbar wird, so sei es“, sagt er, „dass der Papst ex Cathedra lehrend unfehlbar sei; – da man jedoch zweifeln kann, ob er wohl ex Cathedra gesprochen habe, muss dies letztlich aus der Beistimmung der zerstreuten Kirche entnommen werden.“ –

Wir fragen mir Recht: kann es wohl einen Vergleich geben, der siegreicher die Wahrheit der Thesis, die wir hier verteidigen ausspräche, als dieser Vergleich, der nur die Notwendigkeit des faktischen Beweises in Anspruch nimmt? Vorausgesetzt nämlich, dass es unbezweifelbar erwiesen sei, der Papst habe ex Cathedra gesprochen, lässt ihm Bossuet die Unfehlbarkeit zu, so gut wie dem allgemeinen Konzil.

Bossuet lässt dem Papst und dem allgemeinen Konzil die Unfehlbarkeit zu

Nun gut, wir nehmen also die Parität, die Bossuet uns in die Hände legt, ohne Anstand auf, und schlagen ihn vollkommen mit seinen eigenen Worten, indem wir also folgern: Gleichwie im Fall der faktischen Gewissheit, dass ein Konzil ein allgemeines war, die Unfehlbarkeit allen Definitionen desselben zukommt in Kraft der der Kirche göttlich verheißenen Unfehlbarkeit; welche Evidenz einer Definition aus der Bestimmtheit des Ausspruches selbst zu entnehmen ist, und nirgend andersher: ebenso muss man also nach der von Bossuet zugegebenen Parallele konsequent sagen:

Im Falle der faktischen Gewissheit, dass der Papst definitiv und an die ganze Kirche geredet – ex Cathedra, seien seine definitiven Aussprüche unfehlbar; welche Kraft einer Definition aus der Bestimmtheit der Entscheidung selbst zu entnehmen ist, und nirgend anderswoher.

Man erwäge nun, was denn dazu erforderlich ist, damit man dessen gewiss sei: Der Papst habe ex Cathedra gesprochen. Dazu ist nach Ansicht aller Theologen nur dies erforderlich: „Dass der Papst sich definitiv ausspricht, und sein Wort an die ganze Kirche richtet.“

Nun denn, ob dieser Ausspruch definitiv und an die ganze Kirche gerichtet sei, dies hängt ja von der Art und Bestimmtheit des päpstlichen Ausspruches und von der Form der Promulgation ab, aus welcher jedem Sprach- und Sachverständigen auch ohne erst die ganze Kirche zu fragen, von selbst klar ersichtlich wird, ob der Papst definitiv und an die ganze Kirche gesprochen habe oder nicht. Z. B. welcher, ich sage nicht Theologe, sondern welcher bloß nur gewöhnlicher Katholik wird wohl zweifeln, ob Pius IX. bei dem Ausspruch über das Dogma der unbefleckten Empfängnis entscheidend und an die ganze hl. Kirche geredet habe, oder nicht? –

Ähnliches gilt von allen Entscheidungen und Belehrungen dieses Papstes und aller seiner Vorgänger, wenn sie die ganze Kirche definitiv belehrend in ihren Bullen oder Allokutionen angeredet.

Ja, so lange es ungewiss ist, ob der Papst entscheidend und an die Kirche gesprochen, – ganz recht, – so lange stehe seine Aussprüche in gleicher Schwebe mit den Aussprüchen eines Konzils, von dem es noch zweifelhaft ist, ob es ein allgemeines war oder nicht. Dass aber dazu bei päpstlichen Aussprüchen, wie bei allgemeinen Konzilien, erst die Beistimmung der ganzen zerstreuten Kirche abzuwarten sei, stößt gegen alle Bedingnisse zum Beweis einer historischen Tatsache, für welche nichts anderes erforderlich wird, als relativ evidente, glaubwürdige, historische, mündliche oder schriftliche Zeugnisse; und dazu braucht man bei der Frage: „ob der Papst defintiv an die ganze Kirche gesprochen“, gewiss nicht die Beistimmung der ganzen Kirche abzuwarten.

Bei der Frage, um die Tatsache allgemeiner Konzilien, mag dies gelten, sofern es sich bloß um die faktische Übereinstimmung der zertreuten Kirche mit dem Konzil fragt; nicht aber, was seine bindende Macht betrifft, die, wie oben bewiesen, von der Konfirmation des Papstes abhängt, und von sonst nichts in der Welt. –
aus: F. X. Weninger SJ, Die Unfehlbarkeit des Papstes als Lehrer der Kirche, 1869, S. 347 – S. 362

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