P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung
IV. Von der Übertretung der Gebote oder von der Sünde
§ 2. Von den verschiedenen Gattungen der Sünde
1. Von den sieben Hauptsünden
Wann sündigt man durch Unmäßigkeit?
Wenn man zu viel oder in ungeordneter Weise ißt oder trinkt.
Unmäßigkeit ist die ungeregelte Begierde nach Speise und Trank. Speise und Trank sind da, um den Körper in Kraft und Wohlsein zu erhalten. Damit der Mensch diesem unabweislichen Bedürfnis der Natur, das ihn gar sehr an seine Schwäche und Armseligkeit erinnert, desto breitwilliger nachkomme, hat der Schöpfer eine gewisse sinnliche Annehmlichkeit mit dem Genuss von Speise und Trank verbunden. Die Annehmlichkeit oder die Befriedigung des Gaumens ist aber keineswegs der Zweck, dessentwegen wir nach der Absicht des Schöpfers Nahrung zu uns nehmen sollen, sie ist vielmehr bloß ein Mittel, uns dieses an sich so niedrige Geschäft zu erleichtern. Wer demnach nur um dieser sinnlichen Annehmlichkeit willen, aus bloßer Gaumenlust ißt oder trinkt, der verkehrt die rechte Ordnung, seine Begierde nach Speise und Trank ist ungeordnet und darum sündhaft. (*) Weil eine derartige Begierde meist dazu führt, das rechte Maß im Genuss von Speise und Trank zu überschreiten, so nennt man diese Sünde einfachhin Unmäßigkeit. Man macht sich derselben auch schuldig, wenn man ohne Überschreitung eines vernünftigen Maßes das Nahrungsbedürfnis auf eine ungeordnete Art und Weise befriedigt. Dies geschieht, wenn man zur Unzeit, ohne vernünftigen Grund ißt oder trinkt; ferner wenn man allzu wählerisch ist in Bezug auf die Art der Speisen; endlich wenn man mit ungeziemender Gier über dieselben herfällt, sie gleichsam mit Augen und Mund verschlingt.
Dieses niedrige Laster, wodurch der Mensch, dem Tiere gleich, seine Glückseligkeit in der Befriedigung des Gaumens sucht, ja nicht selten durch den übermäßigen Genuss berauschender Getränke tief unter das unvernünftige herabsinkt, ist wiederum eine Quelle vieler anderer Sünden. Aus derselben entspringt vor allem die Naschhaftigkeit, die namentlich bei Kindern und Dienstboten so häufig ist; ferner Verschwendung des Vermögens infolge kostspieliger Mahlzeiten oder Trinkgelage, die oft genug den Ruin ganzer Familien nach sich ziehen. Letztere Folge tritt um so leichter ein, weil eine üppige Lebensweise fast notwendig Unlust und Unfähigkeit zu ernster, pflichtmäßiger Arbeit erzeugt. Am schlimmsten aber pflegen die Folger der Unmäßigkeit zu sein, wenn dieselbe in der Gestalt der Trunksucht erscheint. Fluchen und schwören, Rohheit und Liederlichkeit, Ehebruch und jegliche Art von Unzucht, Zerstörung des häuslichen Friedens und Wohlstandes und schließlich die tiefste sittliche Verkommenheit sind die heillosen Früchte dieses ebenso häufigen als schändlichen Lasters. Von den Trunksüchtigen gilt in ganz besonderer Weise, was der Apostel (Phil. 3, 19) von den Unmäßigen überhaupt sagt, daß „ihr Gott der Bauch ist.“ Welch trauriges Ende die Unmäßigen nur zu oft nehmen, zeigt unter andern das Beispiel Baltassars, des Königs von Babylon (Dan. 5), und des reichen Prassers im Evangelium (Luk. 16).
(*) Deshalb hat Papst Innozenz XI. den Satz: „Aus bloßer Lust bis zur Sättigung essen oder trinken ist keine Sünde“ durch Dekret vom 2. März 1679 verworfen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß man nicht mit Lust Speise oder Trank genießen dürfe.
Quelle: P. Joseph Deharbes größere Katechismuserklärung, Bd. 2, 1912, S. 351-352