Umwandlung in eine Arbeitsreligion

Der Reformkatholizismus der jüngeren Ordnung

Die Umwandlung der katholischen Religion in eine Arbeitsreligion

Und wiederum sind es jene Apostel des Friedens und der Versöhnung, die aller religiösen Kontroverse und aller konfessionellen Polemik so entschieden entgegen treten. Das alles stoße unsere Zeit ab, denn sie liebe Frieden und hasse alles, was die Geister trenne, zumeist jede Art von religiösem Fanatismus und von konfessioneller Einseitigkeit. Lernten wir nur erst uns alle hoch schätzen als Kinder des einen Vaters im Himmel und uns alle lieben als Brüder und als Mitglieder einer Familie auf Erden, wie es auf dem Religionskongress zu Chicago (*) hieß, so sei schon Großes geschehen.

(*) Anm.: Gemeint ist das Weltparlament der Weltreligionen, das 1893 das erste Mal in Chicago zusammen trat.

In der Tat ein Heilverfahren, das zu schlau ausgedacht ist, als daß es nicht mißglücken sollte. Den nach Wahrheit Dürstenden die Wahrheit verhehlen und sie so lang hinhalten, bis sie glauben, sie hätten nun alle Opfer gebracht und alles Bittere überwunden, und ihnen dann erklären, jetzt beginne erst das Schwerste; oder sie ihrem Schicksal überlassen, bis sie endlich nach schweren Kämpfen selber darauf kommen, daß man sie doch eigentlich zum Besten gehalten habe: das ist ein ebenso seltsames Verfahren, als wenn der Arzt einem Leidenden ein Fingerglied nach dem andern abschneidet, bis alle zehn Finger entfernt sind, und ihm hierauf eröffnet, jetzt müsse er ihm den ganzen Arm abnehmen.

Die Geringschätzung des aszetischen und geistlichen Lebens, die sich zum Glück vorerst noch weniger in der Praxis, wohl aber in so manchen Äußerungen kund gibt, die unmäßige, einseitige Hervorhebung der Wissenschaft, der Belletristik, der öffentlichen, politischen und sozialen Tätigkeit, die Umwandlung des Christentums aus einer Religion des Gottesdienstes und des Betens in eine Art von rationalistischer Arbeitsreligion, mitunter selbst in eine leere Phrasen- und Witzreligion, die nur dazu vorhanden ist, um das eigene Licht leuchten zu lassen, das alles gibt den genannten Männer Hoffnung, daß sich der Klerus allmählich in die Rolle von Laienaposteln finden, und daß er aus der Jenseits-Religion eine Diesseits-Religion, eine Welt-, eine Zivilreligion machen werde. Immer mehr, erwartet Ludwig Stein, werde der Klerus jeder Konfession einsehen, daß die Jenseitigkeits-Bedürfnisse zunehmen, und daß er sich entweder dieser Frontänderung der gesitteten Menschheit anschmiegen müsse oder daß er unrettbar verloren sei. In der Tat habe sich bereits ein „verweltlichter Klerus“ angebahnt in den Kirchlich-Sozialen, in der Heilsarmee, in der „üppig wuchernden religiösen Vereinsbildung“. Es sei nun seine Sache, „das sittliche Ideal seiner Transzendenz zu entkleiden, es vom Himmel herab zu holen und in die Menschheit zu verlegen“ und so die „Perfektionierung des Typus Mensch im Diesseits energisch zu betonen“ im Sinn des modernen Geistes.

Damit werden freilich selbst die Fortgeschrittensten unter den Reformern nicht einverstanden sein. Und, Gott sei Dank, bis dahin, daß dieses Ziel erreicht werde, hat es noch weite Wege. Immerhin mag es aber gut sein, daß sich alle an das erinnern, was wir früher über die Logik der Geschichte gesagt haben…

In so ernsten Zeiten wie heute, wo alle Worte ihre Bedeutung verloren, ja ins Gegenteil umgewandelt haben – wir haben ja Beispiele genug dafür gefunden -, in Zeiten, da die letzten religiösen und philosophischen Grundwahrheiten geleugnet werden, in Zeiten, da die Neuerungssucht zur ansteckenden Seuche geworden ist, in Zeiten, da die sittliche Tatkraft so gemindert, der Glaube so geschwächt, die Religion so gefährdet ist: in diesen unsern Tagen verlangt es das einfachste Gebot der Klugheit, daß man mit dem Eingehen auf die Denk-Redeweise der Welt vorsichtiger umgehe als in andern, ruhigeren Zeiten.

Das Übernatürliche ist zu sehr in Vergessenheit geraten und außer Übung gekommen. Wir reden von der Heiligen Schrift, von Gott und göttlichen Dingen fast ebenso unehrbietig wie die Ungläubigen und stellen unsere Untersuchungen so kalt und teilnahmslos an, als handle es sich um eine chemische Prüfung von Ammoniak oder Guano…

Etwas mehr religiöser Sinn und dementsprechend etwas weniger Disputieren und Kritisieren, etwas mehr Versetzung in die Gegenwart Gottes, dafür dann weniger Schelten und Wettern, etwas mehr Würde, etwas mehr Bescheidenheit, etwas mehr Gebet: das alles könnte ganz gewiß der Sache, die wir fördern wollen, nur nützlich sein und uns selbst eher die in so schwierigen Fragen höchst nötige Gabe der übernatürlichen Erleuchtung verschaffen. Auch hier gilt das Wort des Apostels, daß die Frömmigkeit zu allem nutz ist. –
aus: Albert Maria Weiß, Die Religiöse Gefahr 1904, S. 464-479