Der Reformkatholizismus der jüngeren Ordnung
Die modernen Reformer Feinde der Logik
In dieser Lage sind aber gar viele moderne Reformer, jene Feinde der Logik, jene systemlosen Eklektiker, die meistens noch vollends glauben wunder welche Weisheit in ihr Verfahren zu legen, wenn sie aus allen Heerlagern Beutestücke zusammen schleppen und daraus eine Mustersammlung zusammen stellen, die eher einem Museum von Sonderbarkeiten gleicht als einem Kriegsarsenal oder einem wissenschaftlichen Laboratorium.
Es mag ja dem uneingeweihten für einige Zeit starres Staunen oder unheimliches Gruseln machen, wenn er Juden und Griechen, Buddhisten und Neuheiden aller Länder und sprachen, Dichter, Philosophen, Naturforscher und Literaten nebeneinander gereiht findet wie die Käfer im Schaukasten des Sammlers, gleich als seien sie alle eines Sinnes und lehrten alle, was der gelehrte Zusammensteller sie sagen läßt. Zuletzt merkt aber doch jeder, daß ihnen Gewalt angetan worden ist und daß diese vergleichende Religionswissenschaft nichts als Widersprüche enthält, jedenfalls nichts Ganzes ist.
Nicht anders verhält es sich mit all den Versuchen, die alte christliche Philosophie und Theologie durch das Aufkleben neuer bunter Lappen, durch den Neukantianismus und die moderne Psychologie, mit Goethe und mit Darwin, mit Tolstoi, mit Spencer und mit Ruskin annehmbarer und zeitgemäßer zu machen. Die ehrenwerten Gelehrten, die mit solchem Flickwerk die Wahrheit zu stärken und den Irrtum besser widerlegen zu können glauben, lassen sich ja gewiß – das Zeugnis wird ihnen niemand versagen – die Mühe sauer werden. Da sie aber doch die Wahrheit der Offenbarungs-Lehren nicht ganz verlassen wollen, so sehen sie sich genötigt, die unvereinbarsten Dinge miteinander zu vereinbaren, und das erweckt zum allermindesten selbst bei denen, die nicht tiefer sehen und die inneren Widersprüche nicht nachweisen können, das Gefühl der Unsicherheit und Unklarheit. Dadurch aber wird der Zweck, die Irrenden zu gewinnen, am aller sichersten vereitelt.
Die guten Männer, die diese Richtung hoch halten, glauben der hergebrachten kirchlichen Lehrweise einen Vorwurf zu machen, indem sie sagen, die alten Schullehren seien zur Gewinnung der modernen Welt unbrauchbar gerade wegen ihrer eisernen Konsequenz und geschlossenen Festigkeit; einer so schwankenden Zeit wie der unsrigen flöße nichts mehr Schrecken ein als ein fertiges System; einen Suchenden könne man nur dadurch gewinnen, daß man sich zu ihm auf den Boden des Zweifels, auf den Weg des Suchens stelle; dazu aber sei die bisherige kirchliche Wissenschaft unbrauchbar, denn in ihr sei alles fertig, alles abgeschlossen, alles in ein System gebracht, darum alles so einförmig und alles über einen Leisten geschlagen.
Nun, was die getadelte kirchliche Lehrweise selber betrifft, so könnte man ihr gewiß kaum ein besseres Zeugnis ausstellen. Gerade darin liegt ihre Stärke und ihre Brauchbarkeit im Kampf gegen den Irrtum. Darüber wollen wir kein Wort verlieren.
Was aber die modernen Geister betrifft, so sei ja gerne zugegeben, daß Leute, denen das Leben ein Spiel und die Wahrheit einzig ein Gegenstand zum Experimentieren ist, über die unerschütterlichen Lehren der Kirche und über die von der Kirche empfohlenen Lehrweise dasselbe Grausen empfinden wie ein Bürger von Sybaris über das Lebens der Altväter. Aber das können wir nicht glauben, daß sich auch nur einer, dem es ernstlich um sein gewissen und sein Heil zu tun ist, von dem näheren Eingehen auf die kirchliche Lehre deshalb zurück schrecken lasse, weil ihm diese in zu greifbarer und zu abgeschlossener Gestalt vor Augen tritt, oder daß er leichter die rettende Wahrheit finden und sie lieber ergreifen werde, wenn wir sie ihm darstellen als einen Nebelkern, eingehüllt in tausend Nebelformen oder vielmehr formlose Nebel.
Im Gegenteil, aller Erfahrung gemäß liegt die Anziehungskraft der Glaubenslehre für die Verirrten, die aufrichtig nach Wahrheit und nach Sicherheit suchen, gerade darin, daß sie sich ohne Zweideutigkeit kund gibt. Seifenblasen, Kaleidoskope, in allen Farben schillernde Chamäleone haben sie in der modernen Welt und Wissenschaft genug gefunden. Sie werden doch nicht zur Wahrheit und zur Kirche kommen, um hier wieder eines jener wunderlichen Schreckenstiere zu finden, wie sie uns Daniel und die Apokalypse schildern, Drache, Bär, Löwe und Ziegenbock auf einmal. So wenig redlich Strebende die Unfehlbarkeit des Papstes und das feste Gefüge der Kirche abschreckt, so wenig stößt die von Meinung zu Meinung Gehetzten und immer wieder Betrogenen der Quaderbau einer Lehrweise zurück, deren Konsequenz und Solidität ihnen endlich einmal das stets entbehrte Gefühl der Sicherheit und Zuverlässigkeit gewährt.
Denn das ist wohl der größte Schaden bei diesem Liebäugeln mit dem Modernismus und bei diesem dilettantischen und willkürlichen Zusammenbrauen von Wahrheit und Lüge, daß sich die Welt, die ja doch auch Sinn und Verstand hat, im stillen sagt: Nun wollen diese Ärzte uns heilen und sich doch ihrer Sache so wenig sicher als wir der unsern oder halten auf die unsrige noch mehr als auf die ihrige! Wie könnten sie denn sonst von uns Behauptungen hinnehmen, an die keiner von uns glaubt! Wie könnten sie um die Wette Lehren wegwerfen, um die wir sie heimlich beneiden! Sie glauben offenbar selber nicht und wollen uns nur durch Taschenspieler-Künste zu sich hinüber locken, nicht um uns für die Wahrheit zu gewinnen, sondern um über uns zu triumphieren. Jetzt sehen wir erst recht, daß es keine Wahrheit gibt, jedenfalls daß sie bei diesen Ärzten nicht zu finden ist, und daß wir besser daran tun, uns auf eigene Rechnung fortzuhelfen, als uns ihnen anzuvertrauen. –
aus: Albert Maria Weiß, Die Religiöse Gefahr 1904, S. 459-463
siehe auch den Beitrag: Die Logik des Reformkatholizismus