Der Antichrist und die Zeit der Apostasie
Die katholische Kirche wird keine Hilfe erhalten
Ausblick in die Zukunft aus der Sicht von 1861
Wenn ich nun genötigt bin, etwas in die Zukunft einzugehen, so werde ich mich darauf beschränken, nur einen sehr allgemeinen Umriß davon zu zeichnen. Die unmittelbare Tendenz aller Ereignisse, die wir gegenwärtig sehen, ist offenbar diese, den katholischen Kultus in der ganzen Welt zu stürzen. Bereits sehen wir, dass jede Regierung in Europa die Religion von ihren öffentlichen Akten ausschließt. Die Staatsgewalt entweiht sich selbst; die Regierung ist ohne Religion, und wenn die Regierung ohne Religion ist, dann muss auch die Erziehung ohne Religion sein. Wir sehen dies schon in Deutschland und in Frankreich. Es wurde wiederholt in England versucht. Die Folge davon kann nichts Anderes sein, als die Wiederherstellung der bloß natürlichen Gesellschaft, das heißt, die Regierungen und die Mächte der Welt, die von der Kirche Gottes zum Glauben an das Christentum, zum Gehorsam gegen die Gesetze Gottes und zu der Einheit der Kirche gebracht wurden, haben sich gegen dieselbe empört und sich selbst entweiht, und sind in ihren natürlichen Zustand zurück gefallen.
Der Prophet Daniel sagt im zehnten Kapitel, dass zur Zeit des Endes „viele werden ausgeschieden, gereinigt und wie im Feuer bewährt werden; die Gottlosen aber werden gottlos handeln, und alle die Gottlosen werden es nicht verstehen, aber die Erleuchteten werden es verstehen“, das heißt, Viele, die den Glauben erkannt haben, werden ihn verlassen. „Von der Erleuchteten werden einige fallen“ (Daniel 11, 35), das heißt, sie werden abfallen von ihrer Treue gegen Gott. Und wie soll diese geschehen? Teils aus Furcht, teils aus Täuschung, teils aus Feigheit, teils weil sie nicht für eine unpopuläre Wahrheit gegen eine populäre Lüge sich erheben wollen, teils weil die vorherrschende öffentliche Meinung, z.B. in einem Lande, wie das unsrige, und in Frankreich, die Katholiken so einschüchtert, dass sie es nicht wagen, ihre Grundsätze zu bekennen, und wenigstens nicht so keck sind, sie zu beobachten. Sie werden Bewunderer und Anbeter der materiellen Wohlfahrt protestantischer Länder. Sie sehen den Handel, die Manufakturen, den Ackerbau, das Kapital, die praktischen Wissenschaften, die unwiderstehlichen Heere und die Flotten, welche das Meer bedecken und sie kommen herein geströmt, um anzubeten, und sagen: Nichts ist so groß als dieses protestantische England. Und so geben sie ihren Glauben auf und werden, indem sie nach den Schätzen dieser Welt suchen, geblendet und überwältigt von der Größe eines Landes, das seine Treue gegen die Kirche abgelegt hat.
Das letzte Resultat aber von all diesem wird eine Verfolgung sein, die zu beschreiben ich nicht versuchen will. Es ist genug, wenn wir uns an die Worte unseres göttlichen Meisters erinnern: „Ein Bruder wird den andern dem Tode überliefern“; es wird eine Verfolgung sein, wo Niemand seinen Nachbarn schonen wird, wo die Mächte der Welt an der Kirche Gottes eine solche Rache ausüben werden, wie die Welt nie zuvor erfahren. Das Wort Gottes sagt uns, daß gegen das Ende der Zeit die Macht der Welt so unwiderstehlich und so triumphierend werden wird, daß die Kirche unter ihren Händen nieder sinken wird; dass die Kirche keine Hilfe mehr erhalten wird von Kaisern, Königen, oder Fürsten oder Völkern der Erde, um der Macht ihres Gegners Widerstand zu leisten. Sie wird alles Schutzes beraubt sein. Verachtet und verspottet wird sie blutend im Staube liegen zu den Füßen der Mächte dieser Welt. Scheint dies unglaublich? Was sehen wir denn in diesem Augenblick? Betrachtet die katholische Kirche in der ganzen Welt. War sie jemals ihrem göttlichen Haupt ähnlicher in der Stunde, da er an Händen und Füßen von denen gebunden ward, die ihn verrieten? Seht die katholische Kirche an, die noch unabhängig ist und treu an ihrem göttlichen Vermächtnis hängt, und dennoch von den Völkern der Welt verworfen wird. Betrachtet den Heiligen Vater (*), den Statthalter unsers Herrn, wie er in diesem Augenblick verspottet, verachtet, verraten, verlassen und seines Eigentums beraubt wird. Wann, frage ich, war die Kirche jemals in den Augen der Menschen in einem schwächeren Zustande? Und woher, frage ich, soll die Befreiung kommen? Gibt es auf Erden eine Macht, die sich für sie verwendete? Gibt es einen König, Fürsten oder Potentaten, der die Macht hat, entweder seinen Willen oder sein Schwert zum Schutz der Kirche in die Waagschale zu legen? Nicht einen, und es ist vorausgesagt, daß es so sein werde. Auch dürfen wir dies nicht wünschen; denn der Wille Gottes scheint anders zu sein. Aber es gibt eine Macht, die alle Gegner vernichten wird; es gibt eine Person, welche alle Feinde der Kirche zu Staub zermalmen wird; denn Er ist es, der seine Feinde verzehren wird dem Hauch seines Mundes, und sie vernichten wird mit dem Glanz seiner Ankunft. Es scheint, als ob der Sohn Gottes eifersüchtig wäre, dass sonst Niemand seine Autorität rächen sollte. Er hat den Kampf sich selbst vorbehalten; er hat den Handschuh aufgenommen, der ihm hingeworfen wurde. Und die Prophezeiung ist klar und deutlich, daß die letzte Niederlage des Bösen sein Werk sein werde; dass es von Niemand getan werden wird, als von dem Sohne Gottes; damit alle Völker der Welt erkennen, daß Er und Er allein König ist und daß Er und Er allein Gott ist.
(*) Gemeint ist hier Papst Pius IX. siehe: Papst Pius IX. ein unblutiger Märtyrer –
aus: Heinrich Eduard Manning, Kardinal, Der Antichrist oder die gegenwärtige Krise des heiligen Stuhls, im Lichte der Weissagung betrachtet, 1861, S. 88 – S. 91
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