Apokalypse – Der Ansturm der antichristlichen Mächte

 Die himmlische Frau und der Drache. Kap. 12 Vers 3 – 6. Der große Drache am Himmel

Mit starker Kontrastwirkung erscheint ein zweites Zeichen am Himmel, ein feuerroter, großer Drache. Seine Deutung macht wenig Schwierigkeiten, zumal sie nachher vom Seher selbst gegeben wird (Vers 9). Ist die Frau das geheimnisvolle Wahrzeichen des Heils, so enthüllt sich in dem höllischen Drachen das schauerliche Geheimnis der Bosheit. Ob es im Tierreich tatsächlich Drachen gibt, ist für die Echtheit des visionären Bildes belanglos. In der Vorstellungswelt vieler Völker wird die gottfeindliche Macht der Urzeit und der Endzeit als Drache, als mehrköpfiges Schlangen-Ungeheuer dargestellt. In der Apokalypse ist der Drache der geläufigste, dreizehnmal gebrauchte Titel für den Teufel. Die feuerrote Farbe weist hin auf seinen Sitz im Höllenfeuer, aber auch auf die Blutgier des „Menschenmörders von Anbeginn“ (Joh. 8, 44; 1. Joh. 3, 12). Nie vermag er Leben zu schaffen, denn alles Leben ist aus Gott; er kann nur vernichten. Die sieben Köpfe mit sieben Kronen stellen ihn als den großsprecherischen Fürsten dieser Welt dar. Die Zahl der Hörner ist wohl an Dan. 7, 7 angelehnt. Wie die Hörner sich auf die Köpfe verteilten, wird nicht gesagt (vgl. 13, 1). Es fehlt in der Erscheinung jede Symmetrie, die als Zeichen der Ordnung dem Störenfried aller Ordnung fremd ist. Aber um jeden Preis sucht der Teufel als „Affe Gottes“ die Hoheitszeichen des Lammes und des himmlischen Christkönigs nachzumachen und zu überbieten; denn das Lamm hat nur sieben Hörner (5, 6), der Himmelskönig aber trägt auf seinem Haupt nur eine aus vielen Diademen übereinander gebildete, der Tiara ähnliche Krone (19, 12).

Die Kräfte scheinen sehr ungleich verteilt zu sein, und zwar zu Gunsten des Drachen. Was will die hilflose Frau in ihrer Not gegen das lauernde Ungeheuer ausrichten! Aufgereckt zum Angriff wie eine Riesenschlange steht es vor ihr, um das Kind zu verschlingen, sobald es geboren ist. Ein Augenblick voll unheimlicher Spannung! Satans Sieg scheint ganz sicher zu sein. Als wollte er im Übermut seine unwiderstehliche Kraft durch eine sensationelle Rekordleistung beweisen, schlägt der Drache mit dem Schwanz um sich, fegt dabei ein Drittel der Sterne vom Firmament hinweg und schleudert sie auf die Erde (vgl. Dan. 8, 10 und Erklärung zu Offb. 6, 13). Sterne sind ihm verhaßt, weil sie Licht spenden und Wahrzeichen der kosmischen Ordnung sind; Satan aber liebt die Finsternis und das Chaos. Es geht hier um die bildhafte Schilderung der Wut und scheinbaren Übermacht des Teufels, wie er sie mehr als einmal im Laufe der Geschichte des Gottesreich darzutun versuchte. Vielleicht hat aber dieser Einzelzug im Bild über die nächste Bedeutung hinaus einen tieferen allegorischen Sinn, der sehr gut in den Zusammenhang paßt, während der Wechsel der Zeitform im Text kein ernstes Bedenken weckt: Einst war der Drache als Luzifer einer der leuchtendsten Sterne im Reich der Geister. Sein Stolz brachte nicht nur ihn selbst zu Fall, sondern zog mit ihm einen großen Teil der Engel in den Abgrund (vgl. die Erklärung zu 9, 1). Dieser Fall der Engel wird schon im Paradieses-Bericht voraus gesetzt, aber nirgendwo in der Bibel ausdrücklich erwähnt. Auch ist es gerade für die Einbeziehung in die Vision von der Geburt des Messias wichtig, daß viele Theologen die sünde der gefallenen Engel in deren Auflehnung gegen den göttlichen Plan der Menschwerdung des Sohnes Gottes erblicken. So wäre der Ingrimm des Drachen gegen die Mutter des Messias und ihr Kind doppelt begreiflich. Jetzt, da geschichtliche Wirklichkeit werden soll, was ihn damals mit seinem Anhang als etwas Zukünftiges zur Empörung getrieben und zu Fall gebracht hat, will er um jeden Preis den Heilsplan Gottes durchkreuzen und das Messiaskind vernichten, sobald es ans Licht tritt. Das wäre seine Rache für den Sturz aus dem Himmel und die Sicherung seiner Machtstellung für immer; denn er weiß, daß der Messias geboren wird, um die Menschen aus der Knechtschaft Satans zu befreien und ihn zu vernichten (Joh. 12, 31; Hebr. 2, 14).

Die Dinge nehmen aber einen ganz anderen Verlauf, als die wahrnehmbare Verteilung der Kräfte es befürchten ließ. Gott offenbart in majestätischer Ruhe, daß er der Stärkere ist und alles lenkt, wie er will. Das Kind kommt zur Welt. Nachdrücklich wird betont, daß es „ein Sohn, ein männliches Kind“ ist. Nur ein solches konnte kraft der göttlichen Verheißungen Träger der Messiaswürde sein. Das Zitat aus dem Christkönigs-Psalm (2, 9) weist ihn als den ersehnten Herrscher über alle Völker aus. Ehe der Drache ihm ein Leid antun kann, wird das Kind zu Gott entrückt, wo sein Thron bereit steht. Diese Entrückung wird als etwas Vergangenes erzählt. Sie hat sich geschichtlich in der Himmelfahrt Christi vollzogen. Vom Erdenleben Jesu wird hier nur die Geburt und Rückkehr zu Gott erwähnt, weil es dem Seher darum geht, von höchster Warte aus kurz darzustellen, wie der Teufel über Christus gar keine Gewalt gewann, nicht einmal über das wehrlose neugeborene Kind. Mit der Himmelfahrt aber ist ihm jede direkte Angriffsmöglichkeit entzogen worden. Vom Kindermord in Bethlehem, von der Versuchung in der Wüste, vom Verrat des Judas, in den der Teufel einfuhr (Joh. 13, 27), um sich seiner zum letzten, entscheidenden Schlag gegen den Messias zu bedienen, brauchte nichts gesagt zu werden. Alles spielt sich in übergeschichtlicher Perspektive ab. „Nicht einmal, daß das Kind auf der Erde geboren und von der Erde zum Himmel entrückt wird, ist deutlich ausgesprochen. Zweier Welten Schlachtgebiet schaut Johannes in unbegrenzter Weite. Die Urmächte der Höhe und der Tiefe ringen im unendlichen Raum um die Herrschaft in letzter Entscheidung. Gottes Sieg gegen den furchtbaren Ansturm des Satans ist das, was gezeigt und gewiß gemacht werden soll. Sein Triumph ist, daß der Weltvollender erschienen und an das ihm von Gott gesetzte Ziel gelangt ist allem Widerstand des Feindes zum Trotz“ (J. Behm, Die Offenbarung des Johannes [Göttingen 1935] 66f). Davon die Christenheit vor Beginn des Ansturmes der antichristlichen Mächte ganz tief zu überzeugen, ist der Zweck dieses Vorspiels. Hiermit erweist sich die Apokalypse erneut als Theologie der Geschichte, als geoffenbarte Widerlegung aller bloß materialistischen Auffassung des Weltgeschehens.

Was der Seher als die beiden „großen Zeichen am Himmel“ schaute, lehrt uns die Menschwerdung des Gottessohnes in ihrer zentralen Bedeutung verstehen: das Hineingestelltsein Christi in den gesamten Kosmos, so daß Sonne, Mond und Sterne ihm in seiner Mutter dienen. Es lehrt aber auch im Kontrastbild des Drachen achthaben auf die Tatsache, daß er in seiner Person und seiner Kirche von Anfang an ein „Zeichen des Widerspruchs“ ist, angefeindet und bedroht durch den Gegenspieler aus dem Abgrund, der um jeden Preis Gottes Heilspläne zunichte machen will.

Wird nun die schutzlose Mutter dem Drachen zum Opfer fallen, da sie nicht mit ihrem Kind entrückt worden ist? Der Seher begnügt sich mit einer knappen und nur vorläufigen Antwort auf diese nahe liegende Frage, weil er nachher darauf zurück kommen will (Vers 13-16). Es gelingt der Frau, in die Wüste zu fliehen. Sie ist also aus der Verklärung am Himmel in die rauhe Wirklichkeit des Erdendaseins zurück versetzt; aber nach wie vor steht sie in Gottes besonderer Hut. Das ist für die Deutung der Vision wichtig. In der Wüste hätte sie elend umkommen müssen, wenn nicht die Vorsehung ihr dort ein Asyl bereitet und für ihre Ernährung Sorge getragen hätte. Die Dauer des Wüstenaufenthaltes entspricht der Notzeit der Kirche unter der Heidenherrschaft im äußeren Vorhof, während die Gemeinde Gottes im schützenden Bereich des abgegrenzten Heiligtums und des Altars geborgen ist (11, 1f). So wird unvermerkt die Frau zum Symbol der verfolgten, aber von Gott behüteten Kirche. Nicht an den Auszug der kleinen Christenschar aus Jerusalem nach Pella vor der Umzingelung der Stadt durch die Römer ist hier gedacht; denn Pella liegt nicht in der Wüste. Aber auch nicht die Zerstreuung Israels in alle Welt nach dem Verlust der nationalen Selbständigkeit meint Johannes mit der Entrückung der Frau in die Wüste. Israel hatte sich seiner Würde als Gottesvolk selbst begeben und verdiente nicht mehr einen solchen Schutz… –
aus: Herders Bibelkommentar, Die Heilige Schrift für das Leben erklärt, Bd. XVI.2, 1942, S. 177 – S. 180
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